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Zu kurzfristig für die Wahrheit

ALTERSDISKRIMINIERUNG Der europäische Gerichtshof überprüft Fristenpassus im Gleichstellungsgesetz

Es ist kein Geheimnis, dass sich die Bundesregierung 2006 schwer damit tat, die europäischen Richtlinien gegen Diskriminierung in deutsches Recht – dem „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz“ (AGG) – zu kleiden. Im Arbeitsrecht könnten daher Teile des AGG wegen zu kurzer Klagefristen gegen europäisches Recht verstoßen.

Ines B. hatte sich auf eine Stelle in einem Callcenter beworben. „Du bist zwischen 18 bis 35 Jahre alt? Wir suchen MitarbeiterInnen für unser junges Team“, hatte es geheißen. Ines B. erhielt ihre Bewerbungsunterlagen zurück, erfuhr später, dass nur Bewerberinnen um die 20 Jahre eingestellt wurden. Ines B. klagte vorm Arbeitsgericht Hamburg, da sie sich wegen ihres Alters von 41 Jahren nach dem AGG diskriminiert fühlte und forderte eine Entschädigung von drei Gehältern in Höhe von 5.700 Euro.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Denn nach dem §15 Abs. 4 AGG hätte sie einen solchen Anspruch binnen zwei Monaten gerichtlich geltend machen müssen. Die Klage war aber erst nach zehn Wochen eingegangen. In der Berufung vorm Landesarbeitsgericht nahm das Verfahren jedoch eine Wende. „Die Frist von zwei Monaten ist zu kurz“, erklärte ihr Rechtsanwalt Klaus Bertelsmann. „Der Betreffende erfährt häufig erst später, dass er im Bewerbungsverfahren diskriminiert worden ist – dann ist es aber oft zu spät.“

Daher verstößt nach Auffassung Bertelsmann der AGG-Passus gegen EU-Recht. Der Vorsitzende Richter Christian Lesmeister konnte sich dieser Argumentation nicht verschließen, setzte das Verfahren aus und legt den Komplex nun dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in einem „Vorlagebeschluss“ zur Prüfung vor. Die spannenden Fragen: Verstößt der AGG-Passus gegen EU-Primärrecht oder gegen das Verbot der Altersdiskriminierung, wenn für gleichwertige Ansprüche nach deutschem Recht sonst dreijährige Fristen gelten? Eine Antwort wird binnen 18 Monaten erwartet. KAI VON APPEN

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