: „Soldaten fürchten den Karriereknick“
BUNDESWEHR Bis zu zehn Prozent aller Soldaten kommen traumatisiert von Auslandseinsätzen zurück, schätzt Psychiater Peter Zimmermann. Die psychische Störung ist in der Truppe ein Tabu, kann aber geheilt werden
■ Ist Spezialist für Traumaerkrankungen. Der 41-Jährige leitet die Abteilung für Psychiatrie am Bundeswehrkrankenhaus in Berlin.
INTERVIEW CHRISTIAN JAKOB
taz: Herr Zimmermann, zurzeit sind 6.900 deutsche Soldaten im Ausland im Einsatz. Wie viele von ihnen werden traumatisiert zurückkehren?
Peter Zimmermann: Wir wissen es nicht. Im Moment liegt die Rate bei gut einem Prozent. Es stellt sich aber eine steigende Zahl von ihnen in den Bundeswehrkrankenhäusern vor.
Wie viele denn?
Im Jahr 2006 waren es 80, ein Jahr drauf 130 und letztes Jahr schon 250. Es ist aber unklar, ob diese Zahl so stark ansteigt, weil es mehr werden, oder weil sich mehr in Behandlung begeben.
Oder weil posttraumatische Belastungsstörungen, kurz: PTBS, erst nach und nach ausbrechen?
Das ist auch denkbar. Das kann Jahre später geschehen. Meist bricht eine PTBS aber binnen sechs Monaten aus.
Was für Vorfälle sind es, die bei Ihren Patienten PTBS ausgelöst haben?
Es gab etwa den Fall einer Afghanin, die eine medizinische Behandlung brauchte. Als zwei Soldaten sie in ihr Dorf zurückbrachten, wurde sie gesteinigt, weil sie bei den männlichen Ärzten der Bundeswehr war. Oder ein Soldat, der mit angesehen hat, wie ein alter Mann mit Beinprothese ihnen vom Straßenrand zuwinkte – und im nächsten Moment auf die Motorhaube des vorausfahrenden Fahrzeugs sprang und explodierte.
Ist es für Soldaten ein Problem, zuzugeben, dass sie eine psychische Störung haben?
Ja. Das kann man aber heutzutage nicht mehr den Vorgesetzten anlasten. Die sind besser aufgeklärt als früher und entsprechend fürsorglich. Das heißt aber noch lange nicht, dass der Soldat auch glaubt, dass das so ist. Der Betroffene befürchtet vielleicht trotzdem einen Karriereknick.
Die Vorgesetzten sind eine Sache. Aber was ist mit den Kameraden?
Mit den einfachen Soldaten gibt es da natürlich auch Schwierigkeiten. Wenn in der Gruppe einer sagt: „Ich habe eine psychische Störung“, können Sie sich ja vorstellen, was er sich anhören kann. Das hat viel mit dem Männerbild in hierarchischen Systemen zu tun.
Wie gehen Sie mit diesem Problem um?
Wir bauen niedrigschwellige Angebote unterhalb eines Besuchs beim Truppenarzt auf, etwa eine Telefonhotline und „psychosoziale Netzwerke“. Die Hotline wird etwa einmal pro Tag genutzt.
Was geschieht mit einem Soldaten, der mit einer PTBS zu Ihnen kommt?
In der Regel behalten wir sie für eine zweiwöchige Stabilisierungsphase mit Aromatherapie, Akupunktur, Entspannungstraining und Ergotherapie im Krankenhaus. Danach wird die Behandlung ambulant fortgesetzt oder es folgt eine weitere stationäre Therapie, zum Beispiel mit der EMDR-Technik, einer Technik zur Traumatherapie mit Augenbewegungen.
Kennen Sie Fälle, in denen eine PTBS zum Selbstmord von Bundeswehr-Soldaten geführt hat?
■ Die Bundeswehr ist an mehreren Orten auf der ganzen Welt vertreten. Hier eine Auswahl der wichtigsten Einsätze:
■ Afghanistan: Mit mehr als 3.000 Soldaten ist Deutschland der drittgrößte Truppensteller der International Security Assistance Force (Isaf) in Afghanistan. Vor allem im Norden des Landes leistet die Bundeswehr Aufbauarbeit.
■ Vor Somalia: Die Europäische Union hat im Dezember 2008 die Antipirateriemission Atalanta gestartet. Deutschland beteiligt sich daran mit bis zu 1.400 Soldatinnen und Soldaten. Die Operation soll die vor der Küste von Somalia operierenden Piraten abschrecken und bekämpfen.
■ Kosovo: Seit zehn Jahren hat die Kosovo Force (KFOR) den Auftrag, ein friedliches und demokratisches Umfeld mit aufzubauen und dies militärisch abzusichern. Aktuell beteiligt sich die Bundeswehr mit rund 2.200 Soldaten und Soldatinnen an der Kosovo Force und ist damit größter Truppensteller von gut 30 Ländern.
Ja, solche Fälle gibt es. Dieses Phänomen ist in und nach Auslandseinsätzen vorgekommen. Aber selten. Wie oft das genau passiert, ist bisher aber nicht untersucht worden.
Sind an einer PTBS erkrankte Soldaten dennoch weiter dienstfähig?
Grundsätzlich ja. Einige behalten eine Restsymptomatik, die meisten Erkrankten können danach aber normal weiterarbeiten.
Aber sicher nicht wieder im Ausland?
Doch, doch. Wenn jemand gut und suffizient behandelt wurde, gibt es gar keinen Grund, ihn nicht wieder ins Ausland zu schicken. Wen man aber keinesfalls wieder in einen Einsatz schicken sollte, sind unbehandelte Soldaten. Von uns wird etwa ein Prozent der Soldaten behandelt, es ist aber damit zu rechnen, dass vier bis zehn Prozent erkranken. Die nicht behandelten sollten keinesfalls wieder ins Ausland, die sind hochgefährdet. Das steht aber niemandem auf die Stirn geschrieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen