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Schill wollte es schon richten

In den Ermittlungen um den polizeilichen Todesschuss auf Julio V. mischte die Politik kräftig mit. Schlampige Ermittlungen sorgen für offenbar gewollte Beweislücken

Die Politik hat sich von der ersten Stunde an massiv in die Ermittlungen des polizeilichen Todesschusses am Heiligabend 2002 eingemischt. Das zeigt sich im Prozess gegen den Polizisten Wolfgang Sch. (42), der sich wegen fahrlässiger Tötung verantworten muss. Der Beamte hatte dem Einbrecher Julio V. (25) auf der Flucht in den Rücken geschossen und bekam, noch am selben Tag, vom damaligen Innensenator Ronald Schill „Unterstützung“ zugesichert.

Schill hatte damals im Zuge seiner Heiligabend-Tour auch das Revier 31 in der Oberaltenallee aufgesucht, in dem Sch. tätig war und in dem er sich gerade im Sozialraum die Ereignisse der vorangegangenen Stunde vergegenwärtigte. „Er war fertig, er weinte“, schilderten Kollegen übereinstimmend vor Gericht. Obwohl Sch. den Senator nicht sehen wollte, habe sich Schill förmlich mit einem „Monolog“ aufgedrängt. „Ich hätte ihn rausgeschmissen“, erinnerte sich der Wachhabende Bernd H., „wenn er nicht mein Senator gewesen wäre.“

„Wir konnten den Senator nicht aufhalten“, bestätigte auch Kollege Peter N.: „Ohne den Sachverhalt zu kennen, laberte er rum.“ Dabei habe Schill gesagt: „Sie sind dafür ausgebildet, da müssen sie jetzt durch, für mich war es Notwehr, und wenn nicht, gibt es ja noch die ,putative Notwehr‘.“

Dieser Vorgang erklärt, warum Polizeisprecher Ralf Kunz tags darauf eine Meldung herausgab, die von einer Notwehrsituation im Treppenhaus ausging – und im krassen Widerspruch zu den Ergebnissen der Spurensicherung stand. Und warum die Mordkommission auf Direktive des damaligen Innenstaatsrats Walter Wellinghausen von den Ermittlungen abgezogen wurde – und diese dem ihm unterstellten Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) übertragen wurden.

„Bei Tötungsdelikten war bis dahin primär das LKA 41 (Mordkommission, d. Red.) zuständig, seitdem ist bei Polizeibeamten primär das DIE zuständig“, sagte der zuständige DIE-Ermittler Dirk A., der sich gestern bei der Befragung wegen seiner Ermittlungsmethoden massiver Kritik durch Nebenklagevertreter Manfred Getzmann ausgesetzt sah. „Warum haben sie nicht gleich die Bänder mit dem Funkverkehr des Einsatz abgehört?“ Diese sind mittlerweile vernichtet worden. „Warum sind Sie nicht auf die Idee gekommen, den Tatort nachzustellen?“ „Warum haben Sie nicht mit den Fachleuten vom LKA 41 über den Schusskanal gesprochen?“ Fragen, auf die A. nur spärliche Antworten hatte: „Auf die Idee bin ich nicht gekommen.“ Oder: „Dafür war ich nicht zuständig.“

Für Getzmann haben diese Pannen System: „Da werden die Spezialisten vom LKA 41 ausgeschaltet und die Ermittlungen einem einzigen Beamten übertragen – ohne Erfahrungen mit Tötungsdelikten.“ Kai von Appen

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