: „Ellbogen raus und durch“
Hartz IV und die Frauen, Teil 1: Frauen werden benachteiligt, die Bagis sortiert sich immer noch und will nicht mehr beschimpft werden, das wenige Gute am neuen Gesetz ist nur als Kann-Bestimmung verankert – ein erstes Fazit der Reform im belladonna
Hartz IV benachteiligt Frauen: „Hier zeigt sich ein Verständnis von Geschlechterrollen, das mit Zukunftsfähigkeit nichts zu tun hat“, erklärte Katja Barloschky, Geschäftsführerin der Bremer Arbeit GmbH (bag, siehe Kasten) und fand damit die schärfsten Worte des Abends. Im Frauenbildungszentrum belladonna diskutierten am Donnerstag sieben Expertinnen und Kundinnen der Arbeitsmarktverwaltung – das Wort „Betroffene“ fand keine passend –, was die unter dem Titel „Hartz IV“ laufende Reform des Sozialgesetzbuches II gebracht habe. „Wo bitte geht’s zur Zukunft“, so der Titel des Abends. Um Strukturelles ging es wie um Aktuelles: nämlich um schlechte Erfahrungen mit der fürs Alg II zuständige Bagis (siehe Kasten).
Als „ungelernte Hilfskraft“ fand sich hier Manuela Kreft wieder. Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin und allein erziehende Mutter von fünf Kindern hatte zwischen den Kinderphasen immer wieder versucht, Arbeit zu bekommen. Schließlich lebte sie von Sozialhilfe. „Das Sozialamt hat uns toll betreut, da kam alles rüber, was man zum Leben brauchte“, erzählt die 43-Jährige, dennoch setzte sie Hoffnung in Hartz IV: „Ich dachte, das sei eine Chance, wieder auf die Beine zu kommen.“ Bisher Fehlanzeige: Weiterbildungen, für die sie sich interessiert, sind für Alg-II-Empfänger nicht mehr drin, stattdessen „wurde mir gesagt, als erstes würde man mich in einen Ein-Euro-Job packen.“ Aber erst, wenn die Bagis sich sortiert hat. „Ich soll in einem halben Jahr wiederkommen“, hat Kreft erfahren, „das finde ich unmöglich.“ Dass sie statt weitergebildet per Ein-Euro-Job abserviert werden soll, will sie nicht hinnehmen.
Die Kritik an der Bagis schlug hoch an jenem Abend. Sabine Kettler von der Arbeitsagentur nahm ihre Bagis-Kollegen in Schutz: „Es gibt Missstände, keine Frage.“ Dennoch habe die Bagis die Leistungsgewährung, die materielle Versorgung der Alg-II-Empfänger gut bewältigt. „Bei der Integration tun sie sich noch schwer“, so Kettler über das angestrebte Fallmanagement, „aber die Bagis muss das umsetzen und zwar sehr schnell.“ Die tagtäglichen Beschimpfung von Bagis-Kollegen seien da aber wenig hilfreich: „Wir fühlen uns wie die Fußabtreter der Nation.“
Auch Gitta Barufke von der Beratungsstelle Agab gestand zu, dass im Vergleich zu anderen Städten der Alg-II-Start hier „relativ gut gelungen“ sei. Doch fehlten den Bagis-Leuten notwendige Schulungen. Barufke: „Das Chaos ist erstmal implizit.“
Diesem Chaos von vornherein ausweichen wollten Jutta Flerlage und Christina Schweigert. Flerlage, allein erziehende Mutter zweier Kinder und Dozentin in Altenpflegeschulen, hat sich im November zur Ich-AG erklärt: „Ich wollte in dieses Alg-II-Chaos nicht reinrutschen.“ Unterstützt habe sie sich nicht gefühlt: Dass ihr als Ich-AG Coaching-Mittel zustehen, habe sie selbst herausgefunden. Ohne Hartz IV bezöge Flerlage, das sagt sie selbst, wohl immer noch Arbeitslosenhilfe, mit Zuverdiensten. „Das finde ich auch legitim: Ich arbeite soviel ich kann und die Möglichkeit dazu habe, aber ich brauche noch staatliche Unterstützung.“ Doch sie sieht die Ich-AG als Chance. „Ob ich in drei Jahren auf eigenen Füßen stehe, weiß ich nicht. Aber das Risiko kann ich tragen.“
Christina Schweigert, 43, ist Verhaltenstherapeutin, Dozentin und allein erziehende Mutter. Ihre feste Stelle verlor sie im vergangenen Jahr. Nun will sie sich selbstständig machen und Überbrückungsgeld beantragen. Die Betreuung der Arbeitsagentur sei „super“ gewesen. Doch mit Hartz IV zog auch hier das Chaos ein. „Seit Januar ist es der totale Horror: Ich werde meinen Antrag nicht los.“ Bei der Agentur fühle sich keiner zuständig.
Kaum eine der Frauen auf dem Podium konnte Hartz IV Positives abgewinnen – der Personalschlüssel bei der Betreuung der Alg-II-Empfänger sei zwar um ein Vielfaches besser als zuvor, so Sabine Kettler, Kinderbetreuung, psychosoziale wie Schuldnerberatung seien gesetzlich verankert und dass das Arbeitsamt „als bessere Bank“ betrachtet werde – damit sei es auch vorbei. Aber, da war sich Kettler mit Barloschky einig, fatales Defizit bei Hartz IV ist das Nicht-Heranziehen der Arbeitgeber. „So schafft man keine neuen Arbeitsplätze“, so Katja Barloschky, „und das wird zum Glück auch nicht mehr behauptet.“
Und Kettler wie Barloschky nickten nachdrücklich, als Beraterin Barufke die strukturellen Schwächen des „Förderns und Forderns“ aufzeigte: Die Anforderungen an den Arbeitslosen seien im Gesetz als Muss-Bestimmung formuliert – die Ansprüche der Alg-II-Empfänger auf Integrationsmaßnahmen hingegen nur als Kann-Bestimmung – Barufkes Fazit: Hartz IV bewirke einen „tierischen Machtzuwachs“ der Sachbearbeiter, Alg-II-Empfänger „werden zum Objekt gemacht.
Und wo bitte geht’s zur Zukunft, fragte Moderatorin Monica Kotte am Ende des Abends. Bei Hartz IV fehlt die institutionelle Frauenförderung, stellte Sabine Kettler fest, „das müsste gefordert werden und ich könnte mir vorstellen, dass das hier politisch durchsetzbar ist.“ Von den 78 Millionen Euro, die der Bagis für Integrationsmaßnahmen zur Verfügung stehen, müsste ein Teil für Frauen reserviert werden, fand Jutta Flerlage. „Die offenen Beratungsstellen sind absolut unverzichtbar“, erklärte Katja Barloschky, und was die Frauen angeht: „Es muss ein Chancengleichheitsprogramm geben zumindest für die Frauen, die aus allen Bezügen rausfallen. Da muss das Land eintreten.“ Und Manuela Kreft empfahl: „Sich nicht einschüchtern lassen. Ellbogen raus und durch.“
Susanne Gieffers
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