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Osten jetzt absetzbar

Der Stabilitätspakt wird aufgeweicht. Kosten für deutsche Einheit werden künftig angerechnet. Darauf haben sich die EU-Finanzminister verständigt. Defizitsünder gehen auf Dauer straffrei aus

BERLIN taz ■ Deutschland steht im Glaubenskampf. Weil die EU-Finanzminister die Lockerung des Maastricht-Pakts zur Schuldensenkung beschlossen haben, beschimpfen sich Rot-Grün und Opposition sowie diverse Interessenvertreter gegenseitig. SPD-Finanzminister Hans Eichel gefährde den Wert des Euros, begünstige Inflation und Rekordverschuldung, so die Union.

Eichel habe sich die „Lizenz zum Schuldenmachen“ verschafft, sagte gestern CDU-Finanzexperte Michael Meister. FDP-Chef Guido Westerwelle sieht Europa auf dem Weg zur „zukunftsfeindlichen Weichwährungskultur“. „Die Politik verliert an Glaubwürdigkeit“, assistierte Ludwig Georg Braun, Chef der Industrie- und Handelskammern. Der Ton ist so harsch, weil mit dem Stabilitätspakt der Kern der derzeitigen Wirtschaftspolitik zur Disposition steht – die Politik der knappen Staatsausgaben.

Eichel betrachtet die veränderten Schuldenkriterien als einen Beitrag zu künftigem Wirtschaftswachstum. „Es geht nicht um eine Lockerung des Stabilitätspaktes, sondern darum, ihn ökonomisch vernünftig anzuwenden“, so Eichel.

Die EU-Finanzminister hatten sich am Sonntagabend darauf geeinigt, die Bedingungen für ein Strafverfahren im Stabilitätspakt zu lockern. Auf Betreiben Deutschlands und Frankreichs können künftig Milliardenbeträge aus der Verschuldung herausgerechnet werden: u. a. Kosten für die „Vereinigung Europas“, also die deutsche Wiedervereinigung, und Mittel für „internationale Solidarität“. Höhere Schulden in ökonomischen Krisen sollen durch umfangreichere Rückzahlungen im Aufschwung kompensiert werden.

Im taz-Interview kritisiert Ökonom Michael Wohlgemuth die Beliebigkeit der neuen Kriterien. Eine Wertverfall des Euros oder eine höhere Inflation brauchten aber nicht das Ergebnis zu sein, so Wohlgemuth.

HANNES KOCH

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