: Ottenser Ausnahmezustand
Seit drei Wochen macht die Polizei im Stadtteil Ottensen Jagd auf Punks und die alternative Szene. Gewerbetreibender stellt Strafantrag. Polizei erwidert, Anwohner fühlten sich belästigt
von Kai von Appen
So hat sich Rolf Bahlo Hamburg nicht vorgestellt, als er im ostfriesischen Emden sein Tattoo-Shop verkaufte, um in Ottensen zu arbeiten und zu wohnen. Innenhalb nur weniger Tage ist er von der Polizei im Zuge einer Punkerjagd in Gewahrsam genommen und vom Alma-Wartenberg-Platz mit einem Platzverweis verbannt worden. „Man ist gezwungen auf dem Heimweg Umwege zu gehen“, beklagt Bahlo, „die Leute werden total von der Polizei eingeschüchtert.“ Er hat nun Strafantrag gegen die Polizei gestellt und Feststellungsklage beim Verwaltungsgericht eingereicht.
Am vorigen Samstag war das dritte Wochenende, an dem die Polizei mit einem Großaufgebot in Ottensen gegen Punks aufmarschierte. Aus 200 Metern Entfernung beobachtete Bahlo, wie die Beamten „ohne Grund“ Punker in Gewahrsam nahmen und sogar aus dem Straßenlokal „Insbeth“ zerrten. „Die holten alles raus, was irgendwie nach links-alternativer Szene aussah – selbst Studenten mit langen Haaren“, so Bahlo.
Trotz des Abstands geriet auch er ins Visier und wurde vor seinem Laden in der Bahrenfelder Straße festgenommen „Mein Partner war gerade dabei aufzuschließen, da wurden wir in den Hof gedrängt.“ Als Grund für die Festnahme hätten die Polizisten angegeben: „Wir haben augenscheinlich auf eine bestimmte politische Ausrichtung zu achten, um diese aus dem Stadtteil zu entfernen.“ Erst nachts wurde er wieder freigelassen. Gegenüber den Punks wurden Beamte noch deutlicher. „Wir säubern das Viertel von euch Pack“, so ein Polizist laut Augenzeugen. „Geht doch nach Mecklenburg-Vorpommern, dann sind wir euch los und ihr könnt dort eine Kommune gründen.“
Selbst unter behördlichen Insidern im Stadtteil herrscht Unverständnis: „Das polizeiliche Handeln ist davon geprägt, zu verhindern, dass Jugendliche öffentlichen Raum durch ihre Präsenz in Anspruch nehmen.“ Das sei jedoch nicht nur rechtlich fragwürdig, sondern berge auch die Gefahr einer Eskalation. Ein Sozialarbeiter: „Samstag waren Einheiten eingesetzt, die sehr kriegerisch aussahen und von der Szene keine Ahnung haben.“
Die Polizei versucht ihr Vorgehen zu relativieren. „Es hat sich da eine Szene von Punks und Red Skins etabliert, die zum Teil aus dem Umland stammt und sich dort gezielt trifft,“ sagt Polizeisprecher Ralf Meyer. „Dadurch fühlen sich Anwohner und Gewerbetreibende belästigt.“ Wenn es Beschwerde über Pöbeleien, Urinieren und entwendetes Essen gäbe, sei eine „Gefahrenlage“ vorhanden. „Dann ist dies nicht einfach nur rumsitzen“, so Meyer. Daher werde mit Platzverweisen und Ingewahrsamnahmen reagiert. „Wir werden auch weiter konsequent einschreiten.“
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen