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Wer im Gefängnis sitzt, muss lange auf den Arzt warten

GESUNDHEIT Berliner Inhaftierte berichten über schlechte medizinische Versorgung in der Haft

„Wer kann, vermeidet es, dorthin zu kommen“

HÄFTLING ÜBER DAS JVA-KRANKENHAUS

Zu wenige Fachärzte, zu wenig Vertraulichkeit, zu lange Wartezeiten für Behandlungen: das sind Probleme, denen Inhaftierte in Berlin begegnen. So schilderten es vier Betroffene am Montag auf der Tagung „Gesundheit und Haft in Berlin“ des Paritätischen Wohlfahrtsverbands.

„Wenn man an einen Arzt kommt, läuft die Sache gut“, sagt Erich Pantel*, inhaftiert in der JVA Tegel. Aber, schiebt er hinterher: Bis zum Behandlungszimmer sei es ein aufwendiger Weg. Auch um die ärztliche Schweigepflicht stehe es in der Haft schlecht. „Darauf vertraut bei uns keiner. Auch die Ärzte können von oben immer zu Auskünften verpflichtet werden.“

Auch ein Mitglied der Insassenvertretung der JVA Tegel klagt. Krankenpfleger seien oft überlastet, Ärzte nur bis mittags in der JVA. „Dann wird ein Herzinfarkt schon mal erst am nächsten Tag festgestellt.“ Die U-Haft sei im Extremfall mit nur einer Stunde Freigang „psychisch ein echtes Problem“, so der Mann. „Dabei gelten die Leute da noch als unschuldig.“ Ähnlich restriktiv sei im Justizvollzugskrankenhaus in Charlottenburg der Einschluss geregelt: „Wer kann, vermeidet es, dorthin zu kommen“. Häftling Martin Brecker* beklagt den Fachärztemangel. HNO-Ärzte kämen nur alle zwei Wochen. „Da ist die Warteliste oft so lang, dass nicht alle drankommen.“ Auch Verbesserungsvorschläge gibt es: Ein Ärztehaus in der JVA, schlägt der Interessenvertreter vor. Oder zumindest eine Arztstelle, die rund um die Uhr vor Ort besetzt sei. Marc Lehmann, ärztlicher Direktor am Justizvollzugskrankenhaus, sieht die Lage weniger prekär: Berlin liege bei der Gesundheitsversorgung seiner 4.600 Inhaftierten bundesweit im oberen Mittelfeld. Doch müssten die tatsächlich Hilfsbedürftigen besser erreicht werden, so Lehmann. Viel Zeit gehe mit nichtmedizinischen Fragen verloren. „Wenn ein Inhaftierter um religiöse Kost bittet, ist das keine Aufgabe für den Arzt.“

Neue Wege will Berlin mit der im Bau befindlichen JVA Heidering im brandenburgischen Großbeeren gehen. Dort soll es künftig eine Art Ärztehaus geben, an dem auch private Fachärzte außerhalb des Landesdienstes tätig würden, so Lehmann. Das Konzept habe sich bereits in der JVA Moabit bewährt. Auch sollen in Heidering „messbare Qualitätsindikatoren“ für die Gesundheitsversorgung eingeführt werden. Die neue Justizvollzugsanstalt soll Ende des Jahres fertig sein und 648 Haftplätze bereitstellen.

Alles schön und gut, warf ein Teilnehmer ein. Er sehe aber ein anderes Problem: Heidering liege derart „ab vom Schuss“, dass Angehörigen Besuche schwer möglich seien. „Und das bedeutet weitere Vereinsamung der Inhaftierten.“ KONRAD LITSCHKO

*Name geändert

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