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„Ich habe immer rot gewählt“

TAZ-Serie zur NRW-Wahl Teil VI: Der Maschinenschlosser Hartmut Braun fertigt in Bochum Getriebe für Windkraftanlagen. Obwohl die seinen Arbeitsplatz gerettet haben, würde er nie Grün wählen. Die Sozialdemokraten haben schon wieder seine Stimme, da geht er auf Nummer sicher – per Briefwahl

„Die SPD sollte endlich mit diesen ganzen Kürzungen aufhören“

Von ELMAR KOK

„Da kommen einem schon Existenzängste“, sagt der 54-jährige Maschinenschlosser Helmut Braun, der bei der Bochumer Firma Eickhoff Getriebe für Windkraftanlagen herstellt. Er macht sich Sorgen um den Ausgang der morgen stattfindenden Landtagswahl. „Wir haben schon mitbekommen, was der Herr Westerwelle da auf dem Parteitag in Köln gesagt hat“, sagt Braun und beugt sich vor, um seine Hände über dem Tisch mit den Fingerspitzen zusammen zu führen. Wenn er in Wallung gerät, stockt dem Mann mit den kurzen grauen Haaren ein wenig die Stimme. Die Wörter müssen eine kleine Hürde nehmen, wenn er sagt, „die FDP ist schon eine Gefahr für unsere Arbeitsplätze“.

Braun hat alles miterlebt, was den nordrhein-westfälischen Strukturwandel ausmacht. Er selbst hat sich den Veränderungen stets gefügt. Bei Eickhoff arbeitet er länger, als die SPD in Nordrhein-Westfalen regiert. Früher hat er für seinen Betrieb Maschinen für den Bergbau zusammengeschraubt, nun fertigt der Schlosser Windkraftgetriebe. Er steht in einer großen Halle, aufgeräumt, seine Werkzeuge liegen akurat geordnet im Regal, das seinen Arbeitsbereich vom Rest der 15 Meter hohen Fertigungshalle trennt. Es ist nicht laut an seinem Arbeitsplatz und Brauns Blaumann sieht aus, als käme er frisch aus der Wäsche.

Im April 1966, da war er 14 Jahre alt, fing er als Lehrling bei Eickhoff an. Im nächsten Jahr feiert er sein 40-jähriges Firmenjubiläum und bekommt dafür von seiner Firma 1.750 Euro. Dass die SPD ihre 40 Jahre noch vollmacht, darüber ist sich Braun nicht sicher. „Ich habe bei der Wahl kein so gutes Gefühl“, sagt er. Und daran sei die SPD nicht ganz unschuldig. „39 Jahre habe ich gearbeitet“, sagt er und sein Schnäuzer vibriert ein wenig dabei, „davon war ich nicht einen Tag arbeitslos“. Wenn es einen Regierungswechsel gebe und Schwarz-Gelb die Subventionen für die Windkraft und den Bergbau kürze, bekäme er gerade „mal ein Jahr Arbeitslosengeld. –Wegen Hartz IV.“

Die SPD soll endlich „mit den ganzen Kürzungen aufhören“, wünscht sich Helmut Braun. Wie es ist, wenn der Firma die Aufträge ausgehen, hat der Schlosser schon einmal erlebt. Von 1988 bis Mitte der 90er Jahre musste sein Betrieb Leute entlassen. Der Rückgang im deutschen Bergbau und die Zechenschließungen in England unter Maggie Thatcher ließen die Montansparte der Firma beängstigend schrumpfen. Kollegen wurden versetzt, in eine Transfergesellschaft gesteckt oder schlicht entlassen. „Ich wusste nicht, ob ich meinen Arbeitsplatz behalten werde“, sagt er. Für den Schlosser kam aber die Förderung der Windkrafttechnologie gerade noch rechtzeitig. Vor über 10 Jahren baute Eickhoff den ersten Prototyp eines Windkraftgetriebes, eine 600 Kilowatt-Anlage. Ein Jahr später fing Braun an seinem neuen Arbeitsplatz an. Bis dahin hatte er „Bergbaumaschinen, Walzenlader, Vortriebs- und Teilschnittmaschinen hergestellt. Unwissende sagen immer noch Schrämmaschinen,“ sagt er und lacht. Hinter seiner dezenten Brille kräuseln sich dabei einige Fältchen um seine kleinen, wachen Augen. „Aber geschrämt wird im Bergbau schon lange nicht mehr, heute sagen die Bergarbeiter Walze oder Hobel.“ Der „immense technologische Wandel im Unternehmen“ habe aus den ehemals hydraulisch getriebenen Bergbaumaschinen elektrische gemacht – und nebenbei Eickhoff dazu bewogen, Getriebe für Windkraftanlagen herzustellen.

Mittlerweile arbeitet Braun wieder 40 Stunden die Woche – wie damals, als er 1966 anfing. Natürlich habe es bei Eickhoff auch Arbeitszeitverkürzungen gegeben, „die 35 Stunden Woche haben wir hier jedoch nie gehabt“, sagt er.

Dass er bis 65 arbeiten muss, um seinen vollen Rentenanspruch zu erhalten, empfindet er als ungerecht. Wenn er bis 60 arbeite, dann habe er 45 Jahre durchgearbeitet, rechnet er vor. „Das schafft doch heutzutage niemand mehr.“ Wenn er dann in Rente geht, „bekomme ich noch 18 Prozent abgezogen, nämlich 0,3 Prozent pro Monat.“ Warum werde die Rente nicht nach Lebensarbeitszeit berechnet?

Seinen jüngeren Kollegen neidet der 53-jährige dennoch nichts. Dass er mit 14 Jahren als Auszubildender direkt 40 Stunden in der Woche arbeiten musste, sei eben damals so gewesen, „da war Kinderarbeit ja noch nicht verboten“. Nach dem Ende seiner dreieinhalbjährigen Lehrzeit wurde er dann „ins kalte Wasser geworfen“. Früher hatte die Ausbildung relativ wenig mit den Abläufen im Betrieb zu tun. „Das ist wie mit dem Führerschein, Autofahren lernt man beim Fahren, nicht durch die Theorie.“ Heutzutage erledigten Azubis viel mehr Arbeiten im normalen Betriebsablauf.

Helmut Braun, der keine eigenen Kinder hat, kommt mit den Jüngeren im Betrieb gut zurecht. Den privaten Zugang zur Jugend hat Braun als fürsorglicher Onkel. „Mein Neffe hat früh seinen Vater verloren“, erzählt er, ein „Scheiss-Gefühl“ sei das damals gewesen“, denn der Mann seiner Schwester sei gerade einmal 40 Jahre alt geworden. „Ich habe mich dann auch um den Jungen gekümmert, denn zwischen meine Schwester und mich passt nämlich kein Blatt.“

Vielleicht habe er durch die Nähe zu seinem Neffen auch einen guten Draht zu den Jüngeren im Betrieb. „Wir waren damals ja auch nicht alle so lammfromm“, sagt er und schmunzelt. Jedenfalls sind die Auszubildenden keine „No-Future-Generation“, sagt Braun bestimmt. Im Vergleich zu den Azubis, die heute zu Eickhoff kommen, hat er es leicht gehabt. „Ich habe mich genau einmal beworben“.

Das ist lange her und seinen Job und die Zeit spürt Braun schon längst in den Knochen. Deshalb wird er den von ihm hergestellten Getrieben nie aus nächster Nähe beim Rotieren im Wind zusehen können. „Arthrose im Bein“, sagt er lakonisch und zeigt auf sein linkes Knie. Schade sei das, aber „da oben auf die Windkraftanlagen komme ich nicht mehr rauf.“

Damit auch die jungen Kollegen nicht so oft in die luftigen Höhen der Windräder steigen müssen, prüft Braun die Getriebe in einer hauseigenen Anlage. Zurzeit hat er ein Getriebe für ein 3,6 Megawatt-Windrad im Prüfstand. Über 100 Stunden testet Braun das gerade hergestellte Getriebe in der Anlage und setzt es drehend unter Strom. Der wird, wie beim echten Windrad, dabei wieder zurückgewonnen. Hergestellt wurde das Getriebe für einen der großen Kunden von Eickhoff, der General Electric Windenergy.

„Die Grünen bremsen zu viel, vor allem der Trittin mit seinen Dosen“

„Darüber, dass ich Öko-Strom bestellen sollte, habe ich noch nie nachgedacht“, sagt Braun. Seine Stromrechnung bezahlt er immer noch bei den Bochumer Stadtwerken. Grün würde er sowieso nie wählen, sagt der Schlosser und lehnt sich zurück, um die Hände ineinander zu legen. Obwohl die Ökopartei für die Förderung der Windkraft so viel getan hat, ist Braun überzeugt, dass „die zu viel bremsen, vor allem der Trittin mit seinen Dosen“. Da gebe es doch wirklich wichtigere Probleme, um die man sich kümmern sollte, meint er.

Echte Sorge macht ihm, dass mit der EU-Erweiterung die Konkurrenz um Arbeitsplätze in Deutschland immer heftiger wird. Die osteuropäischen Billiglohnarbeiter in der Fleischindustrie „sind nur die Spitze des Eisbergs“, glaubt er.

Dass die Maschine an der er arbeitet demnächst in China stehen könnte, davor hat Braun keine Angst. „Das ist zu kompliziert“, sagt er selbstsicher, so einfach sei der Prüfstand an dem er arbeite nämlich nicht zu kopieren. „Der hat ja auch einige Millionen Euro gekostet,“ sagt er stolz.

Geldsorgen hat Braun nicht. Von seinen 30 Tagen Urlaub im Jahr ist er stets sechs Wochen verreist, herumgekommen ist er so schon viel. In Mexiko und Brasilien und den USA sei er gewesen, sogar fünf Wochen auf Montage in Pittsburgh. Auf einen sich daran anschließenden Urlaub in den Staaten hatte er dann aber keine Lust. Denn fünf Wochen, „das reicht dann auch, außerdem muss meine Frau ja auch arbeiten.“ Obwohl sein Arbeitgeber Englisch-Kurse anbietet, spricht Helmut Braun keine Fremdsprache. „Vielleicht wäre Spanisch eher etwas für mich“, sagt er. Denn im Herbst fliege er immer auf die Kanaren, im Frühjahr nach Mallorca. Jeweils in die gleiche Finca, sagt Braun lachend.

Von Helmut Brauns Treue profitieren in Nordrhein-Westfalen auch die Sozialdemokraten. Seine Stimme bei den Landtagswahlen bekommt die SPD. Er habe schon, wie jedes Jahr, per Briefwahl gewählt, „das ist sicherer“.

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