: Auf Kosten der Demokratie
Die Ampelregierung ist geplatzt, ein neuer Haushalt auch. Nun müssen viele zivilgesellschaftliche Projekte um ihre Existenz fürchten – mal wieder
Von Konrad Litschko und Dinah Riese
Jedes Jahr am 12. Juni widmen sich Schüler*innen in Deutschland dem Leben von Anne Frank. Zum Geburtstag des von den Nationalsozialisten ermordeten jüdischen Mädchens führen sie durch Ausstellungen, sprechen mit Zeitzeug*innen, organisieren Stadtspaziergänge. Ob Projekte wie der „Anne Frank Tag“ auch 2025 stattfinden können, ist keineswegs sicher. Grund dafür ist das Ampel-Aus – und der dadurch nicht verabschiedete Bundeshaushalt für 2025.
Organisiert wird der Schulaktionstag vom Anne Frank Zentrum, einer bundesweit tätigen Bildungseinrichtung mit Sitz in Berlin. Rund 600 Schulen nehmen jedes Jahr teil. „In allen Bundesländern und über alle Schulformen hinweg erinnern Schüler*innen und Lehrkräfte an Anne Frank und werden für Antisemitismus und Rassismus sensibilisiert“, sagt Direktorin Veronika Nahm. Wie wichtig das derzeit sei, zeige sich am massiven Anstieg antisemitischer Vorfälle oder jüngst in der Leipziger Autoritarismus-Studie. „Die Zufriedenheit mit der Demokratie schwindet, Rassismus hat sich zu einem bundesweit verfestigten Ressentiment entwickelt. Dabei ist ein Grundbestandteil der Demokratie der Schutz von Minderheiten und dass jeder Mensch gleich an Würde ist.“ Genau da wolle man mit Projekten wie dem Aktionstag ansetzen.
Möglich wird das durch Fördermittel, viele kommen vom Bund. Eines der größten Programme, „Demokratie leben“, ist beim Familienministerium von Lisa Paus (Grüne) angesiedelt. Es förderte dieses Jahr 700 Projekte mit 182 Millionen Euro. Auch das Auswärtige Amt, das Entwicklungs-, Justiz- oder Innenministerium fördern die Zivilgesellschaft. Das Problem: Viele Projekte sind befristet. Schon in den Vorjahren fürchteten sie jedes Mal um ihre Weiterexistenz. Durch die Neuwahlen ist die Lage noch prekärer.
Die ganze Präventionslandschaft drohe zu zerfallen, warnt Thomas Mücke vom Violence Prevention Network, das bundesweit Aussteigerprogramme für Islamist*innen und Rechtsextreme umsetzt. Auch Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung, die Präventions- und Aufklärungsprojekte betreibt, sagt: „Es herrscht eine extreme Unsicherheit, wie es weitergeht. Und ob es überhaupt weitergeht.“ Angesichts der Gesellschaftslage, in der „zunehmend Menschen in den Rechtsextremismus abgleiten, wäre es fatal, wenn Prävention hier wegbricht und Expert*innen entlassen werden müssen.“
Ähnliches berichtet Irina Bukharkina vom Verein Austausch. Die NGO arbeitet mit Organisationen in Osteuropa, der Kaukasusregion und Zentralasien zusammen. Ein Schwerpunkt ist die Ukraine und einer der wichtigsten Geldgeber das Auswärtige Amt, das schon im vergangenen Haushalt massiv Gelder einsparen musste – mit direkten Auswirkungen auf die Arbeit der Organisation. „Wir haben aktuell 16 Mitarbeitende, 2023 waren wir noch 36“, sagt Bukharkina. „Und von unseren Projekten hängen auch Stellen bei den Partnerorganisationen vor Ort ab.“ Auf dem Spiel stehe etwa ein Projekt, das in der Ukraine, Georgien und Armenien Geflüchtete mit Behinderung unterstützt, ebenso eines zur Stärkung der Zivilgesellschaft aus Belarus und ein Umweltprogramm.
Obwohl man auch auf private Mittel setze, bleibe öffentliche Förderung wichtig, so Bukharkina. Schon bisher war oft erst im März klar, welche Projekte im gleichen Jahr finanziert werden können. „Aber jetzt ist völlig unabsehbar, wann es Klarheit gibt. Da können wir als fairer Arbeitgeber eigentlich nur sagen: Such dir einen anderen Job. So sehr uns das wehtut.“
Beim Familienministerium sind die Ängste angekommen. Ein Sprecher verweist auf die vorläufige Haushaltsführung, die das Finanzministerium bald ausrufen werde. Damit können Gelder weiter fließen, bis ein neuer Haushalt beschlossen ist, um etwa bereits beschlossene Gesetzesmaßnahmen umsetzen. Darunter falle auch „Demokratie leben“, so der Sprecher. Man treffe alle Vorkehrungen, „um eine Projektförderung ab 2025 während der vorläufigen Haushaltsführung zu gewährleisten“.
Nach taz-Informationen sicherte das Ministerium den Initiativen inzwischen schriftlich zu, dass ein Projektstart zum 1. Januar gesichert sei und für 2025 zunächst eine anteilige Zuwendung ausgezahlt werde. Auch andere Ministerien versuchen zu beruhigen. So heißt es aus dem Auswärtigen Amt, in einer vorläufigen Haushaltsführung werde man „seinen rechtlich begründeten Verpflichtungen weiter nachkommen“.
Timo Reinfrank ist vorerst erleichtert. „Wir gehen davon aus, dass wir dadurch die ersten Monate im kommenden Jahr überbrücken können und niemanden kündigen müssen.“ Dann aber sei die neue Bundesregierung gefordert, die bisherigen Mittel für die Projekte im Haushalt zu verankern und die Demokratieförderung „langfristig abzusichern“. Auch Thomas Mücke betont, dass „völlig offen“ sei, was nach den kommenden Monaten folge. Gerade in der Arbeit mit Hochradikalisierten oder Syrienrückkehrern wäre ein Auslaufen der Förderung fatal, sagt der Präventionsexperte. 132 gewalttätige junge Menschen betreue das Violence Prevention Network derzeit, 58 würden schwerste Delikte zugetraut. Diese Arbeit müsste im schlimmsten Fall eingestellt werden, die Personen könnten sich wieder radikalisieren, warnt er. Von den derzeit 150 Mitarbeitenden seien bereits 26 entlassen worden.
Veronika Nahm vom Anne Frank Zentrum nennt die Zusicherungen aus den Ministerien „sehr wichtig“. Aber auch Fördermittel aus einigen Bundesländern seien derzeit ungewiss.
Vor allem in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist die Lage seit den Landtagswahlen prekär. Mehrheitsfähige Regierungen sind nicht in Sicht. In Sachsen sei ein neuer Landeshaushalt noch in weiter Ferne, sagt Andrea Hübler von der RAA Sachsen, die neben der Beratung für Opfer rechter Gewalt auch Bildungs- und Integrationsprojekte betreibt. Die geplante Minderheitsregierung aus CDU und SPD müsse für jedes Vorhaben neue Mehrheiten organisieren. „Gerade für Integrationsarbeit und Unterstützung für Geflüchtete sieht es bitter aus“, so Hübler. Dass CDU und SPD aber Mehrheiten mit der AfD ausschließen, sei „eine wichtige Linie, die gezogen wurde“.
Die Ampel hatte genau diese Unsicherheiten bei der Finanzierung eigentlich beenden wollen: mit einem Demokratiefördergesetz, das solche Projekte langfristig absichern würde. Das Gesetz war im Koalitionsvertrag vereinbart, Paus und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) legten einen Entwurf vor. Doch dann stellte sich die FDP quer, weil sie fürchtete, auch radikale Projekte könnten gefördert werden.
Die zivilgesellschaftlichen Initiativen fordern das Demokratiefördergesetz weiter ein. „Die Dringlichkeit für dieses Gesetz ist eher noch gestiegen“, sagt Reinfrank. Grüne und SPD haben sie an ihrer Seite: „Selbstverständlich“ werde er auch in der nächsten Legislatur wieder einen Anlauf für das Demokratiefördergesetz nehmen, sagt der SPD-Abgeordnete Felix Döring der taz. Seine Partei sei aber auch offen für eine gemeinsame Initiative mit der Union in den verbleibenden Sitzungswochen. Auch CDU-Kommunalpolitiker*innen würden sich für das Gesetz einsetzen, so Döring. Und: „Nur durch die Kombination von Prävention und gezielter Sicherheitsarbeit können wir unsere Demokratie langfristig schützen.“
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