piwik no script img

Lang geplantes Ende der AmpelkoalitionSeine feuchten Augen

Cem-Odos Gueler
Kommentar von Cem-Odos Gueler

Eine Spurensuche im Umfeld von Christian Lindner zeichnet Szenen von Illoyalität bei den Liberalen. Ist das der Anfang des Endes vom FDP-Chef?

Tränen, Trauer, Täuschung: Christian Lindner bei seiner ersten Rede, nach der Kündigung durch Scholz am 6. November 2024 Foto: Lisi Niesner/reuters

N ach seiner Entlassung als Finanzminister konnte man fast schon Mitleid mit Christian Lindner bekommen. Der FDP-Chef berichtete vor den Kameras von seinen Enttäuschungen, und er wollte den Eindruck erwecken: Hier ist jemand ernsthaft gekränkt. Aufgewühlt und mit feuchten Augen sprach Lindner davon, wie der Bundeskanzler mit „einem kalkulierten Bruch“ das Land ins Chaos gestürzt habe.

Der 6. November ist als das Ende der Ampelregierung in die Geschichte der Bundesrepublik eingegangen. Spurensuchen im Umfeld Lindners legen nun nahe, dass die FDP-Spitze seit Monaten dieses Ende herbeiführen wollte, in einer Chatgruppe sollen führende Liberale vom „D-Day“ gesprochen haben.

Die Zeit hat die Szenen im inneren Zirkel der FDP-Spitze akribisch nachgezeichnet. Dabei wird einmal mehr klar, dass es sich bei der Partei der Individualisten nur noch um einen Christian-Lindner-Fanclub handelt und dass der Boss Widersprüche durchaus auch mit Wutanfällen und Ausschluss quittieren kann. Tränen, Trauer und Täuschung, in den letzten Szenen des Theaters war sich Teamleader Christian keines Mittels zu schade.

Eine Kurzfassung der Zeit-Recherche geht so: Nach den miesen Ergebnissen bei den Landtagswahlen (in Brandenburg erhielt die FDP so viele Stimmen wie es dort ungültige Wahlzettel gibt, 0,8 Prozent) sind sich alle sicher: So geht es nicht weiter. In drei Treffen bespricht die FDP-Führung demnach Strategien, um das Ende der Ampel herbeizuführen und so liberale Prinzipientreue zu inszenieren.

Wahlkampf

Lindner hat die Recherchen der Zeit und auch der Süddeutschen Zeitung, die über die Schlachtpläne der FDP ebenfalls berichtete, nicht dementiert. Er teilte lediglich mit, dass Wahlkampf sei. „Wo ist die Nachricht?“

Nur wer keine Erwartungen an ein Mindestmaß an menschlichem Anstand hat, sieht hier keine Nachricht. Die Zeit schreibt, Lindner habe bei den internen Beratungen gerufen, er könne die Fressen der anderen Regierungsmitglieder nicht mehr sehen und die FDP müsse raus aus der Ampel, denn sonst könne er die Partei nicht in den nächsten Wahlkampf führen. So soll er auf Bedenken reagiert haben, die Noch-Verkehrsminister und Ex-FDPler Volker Wissing bei einem der Treffen geäußert haben soll.

Christian Lindner bangt um sein Lebensprojekt, kein Wunder also, dass er in Diskussionen auch mal laut wird. Die FDP ist seine One-Man-Show, er hat die Partei nach den Jahren der Knechtschaft unter der Union und der darauf folgenden politischen Bedeutungslosigkeit wieder in den Bundestag geführt. Bei den Strategietreffen sei es deshalb einhellige Meinung gewesen, dass nur Lindner die Liberalen erneut ins Parlament führen könne, sprich: Wer Loyalität mit der Regierung zeige, ist illoyal zum Parteichef.

„Vernünftige Wirtschaftspolitik“

Laut Zeit besprach die FDP-Spitze bereits am 29. September, ein wirtschaftspolitisches Papier aufzusetzen, dass innerhalb der Koalition nicht einigungsfähig sein sollte. Diese Grundsatzschrift sollte dann mit dem Framing, in der Ampel sei eine „vernünftige Wirtschaftspolitik“ nicht möglich, ihren Weg in die Presse finden – so geschehen am Freitag vor Lindners Entlassung.

Es sind filmreife Szenen: Mit disziplinierender Rhetorik nach innen und spalterischen Standpunkten nach außen habe die FDP ihre Koalitionspartner provozieren und so ihren Rauswurf aus der Regierung herbeiführen wollen – oder zumindest Bundeskanzler Olaf Scholz mit einem Rücktritt aller FDP-Minister*innen auf kaltem Fuß erwischen wollen.

Die durchgeskriptete Abrechnung von Scholz mit Lindner zeigte, dass ihn das perfide Spiel nicht ganz überraschend traf.

Dabei geht Lindners Strategie über das nun bekannt gewordene hinaus: Mit kalkuliertem Selbstmitleid versuchte der FDP-Chef seinen Plan, das Ende der Regierung herbeizuführen, zu kaschieren. Auch innerhalb der Liberalen müssen diese Krokodilstränen des Parteichefs für Stirnrunzeln sorgen. Und da Loyalität dort nicht groß geschätzt zu sein scheint, ist der Anfang des Endes von Lindner als Parteichef wohl eingeleitet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Cem-Odos Gueler
Parlamentsbüro
Berichtet seit 2023 als Korrespondent im Parlamentsbüro der taz unter anderem über die FDP und die Union. Studium der Sozialwissenschaften und Volkswirtschaftslehre in Köln, Moskau und London.
Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • Seit dem Ende von Helmut Schmidts Kanzlerschaft dachte ich, dass Illoyalität zur DNA der FDP gehöre. Wenn es schwierig wird, läuft die FDP weg.



    Es ist auch schon vorgekommen, dass die WählerInnen ein Einsehen hatten und die FDP in die außerparlamentarische Opposition schickten.

  • Im Gegensatz zu SPG und Grünen hat die FDP aus der Ampel nichts vorzuweisen. Als einziges Narrativ bleibt: "Ohne uns wäre es noch schlimmer gekommen." Die existenzbedrohenden Umfragewerte spiegeln dass. Habe schon vor zwei Jahren mit einem Freund gewettet, dass die FDP diese Politik nicht bis zum Ende durchhält. Die haben sich vorbereitet, na und? Ich erwarte ja auch nicht, dass der Kanzler sich für seinen vorbereiteten und vom Teleprompter abgelesenen Wutausbruch entschuldigt.



    Er hätte halt der FDP auch mal irgendeinen erfolg gönnen sollen. Aber da hat er von Merkel gelernt.

  • Ich Mutmaße (Einfach weil er sich schon die letzten 1,5 Jahre so destruktiv aufgeführt hat), daß Herr Lindner, diese Idee schon die ganze Zeit im Hinterkopf getragen hat.



    Jedenfalls war die FDP, die letzten 2-1,5 Jahre, immer zerstörerischer gegenüber der Ampel.



    Jedoch die Bereitschaft solch eine extreme Lügenstory zu inszenieren, macht die FDP absolut unwählbar.



    Ich hoffe das diese Reichen-Lobby Partei, es endlich geschafft hat, permanenten politischen Selbstmord zu begeben.

  • Linders Drang nach Abhauen kann ich nachvollziehen. Wenn du dreimal hintereinander derart auf die Fresse kriegst...



    Andererseits hätte er einsehen müssen, dass es für einen Exit zu spät ist🤷‍♂️



    Der Bruch hätte nach der EU-Wahl kommen müssen. Jetzt war es zu spät - aussitzen wäre sinnvoller gewesen, denn tiefer kann die FDP, aber auch die Ampel im gesamten kaum mehr fallen. Die Werte die SPD, Grüne und FDP jetzt noch haben kann man getrost unter Stammwählerschaft verbuchen - das hätten Lindner, Habeck und Scholz einsehen müssen.



    Man hätte nochmal ein Jahr gehabt auf ein Wunder zu hoffen oder sich zusammenzuraufen, so aber wird die FDP wahrscheinlich aus dem Parlament fliegen - Scholz und Habeck bekommen ihre Kandidaturen geschenkt, wer will schon um ein totes Pferd mit dem jeweiligen Fürsten konkurrieren...



    Lindner Scholz und Habeck haben es verbockt - Lindner sicher mit dem Löwenanteil, fraglos.



    Das schlimme daran ist, dass dieses Scheitern die Republik um eine realistische Alternative auf lange Sicht dauerhaft beraubt.



    Dafür sollten alle drei ihre Hüte nehmen müssen.

  • Seit Monaten wird über das Aus der Ampel spekuliert. Offenbar haben sich sowohl SPD wie FDP mit verschiedenen Szenarien darauf vorbereitet. Wo ist da der Skandal?

  • Himmel, ist der Mann peinlich! Auch klar, dass - aus seiner Sicht - er natürlich keine Schuld am Scheitern der FDP und der Ampelkoalition hat. Opferrolle, alle anderen haben Schuld ... und diese Schmierenkomödie kostet auch noch Steuergelder. Und ja, One-Man-Show trifft es ganz gut. Lindner als Selbstdarsteller. Nur, dass Politik kein Entertainment sein sollte. Wohin das führt, sehen wir derzeit in den USA.

  • Welche Wählerschaft, meinen eigentlich unsere Volksvertreter, in dieser Ampel 2021 / 2024 - und die Volksvertreter aus der Opposition, zu repräsentieren ?



    In diesem - " regieren " im Namen der Wählerschaft - war dies doch wohl der Wahlauftrag seit 2021 - durch ihr agieren beziehungsweise nicht agieren, wurde uns in aller Deutlichkeit gezeigt, von diesen



    " Volksvertretern " kann man sich nicht vertreten lassen.



    Wir brauchen mehr Mitbestimmung, Stimme abgeben - so haben wir gerade die letzten Jahre wieder erleben dürfen, funktioniert nicht mehr.

  • Christian Lindner ist als FDP Chef schon seit langem am Ende, insofern er schon lange wieder dort ist wo Westerwelle aufgehört hat. Eine Erneuerung der FDP jenseits von Klientelpolitik für Reichen und Allerreichsten hat es nicht gegeben und kann es wohl auch nicht. Nur der Wähler sollte endlich merken, daß das der alleinige Kern der FDP ist. Es schadet auch nichts mal auf Merz zu achten.

  • ...machen mich so sentimental...



    youtu.be/9NzdmQkd-z4?feature=shared



    ...total egal...

  • Das steht doch alles ausführlicher in der Zeit. Wo ist das neue?

    • @Fabian Lenné:

      Erstens handelt es sich hier nicht um eine Nachricht sondern um einen Kommentar, also einen Meinungsbeitrag, der sich auf die ZEIT-Recherche bezieht. Und zweitens liegt der ZEIT-Artikel hinter einer Bezahlschranke - es ist also durchaus sinnvoll, dass Herr Gueler hier noch einmal Teile davon für Nicht-Abonnent:innen der ZEIT paraphrasiert.

  • Ziemlich peinlich. Aber vielleicht hilft's, und die FDP wird mal... naja irgendwas anderes?! Ehrliches? Grundsätzlich (und nicht bloß klientel-) liberales...?

  • Wer so distinguiert effektvoll parliert am Ende zu Recht Vertrauen verliert, ein Kritikpunkt auch ist der vieler: Minister darf nicht sein Schauspieler.



    /



    Bei threads.net fand ich:



    "Marco Buschmann zu Christian Lindner: "Der beste Schauspieler kann seine Rolle nur authentisch spielen, wenn er sich in ihr wohlfühlt."



    Ich möchte diesen „Ratschlag“ gerne mal aus schauspielerischer Sicht aufgreifen, denn Buschmann hat/hätte Lindner damit einen Bärendienst erwiesen."



    Irgendwie erinnere ich mich auch an Hans Apel, der als Ex-Verteidigungsminister eine bemerkenswerte Analyse zu seiner ultraschnellen Verwandlung im Amt auf der Hardthöhe vorlegte. Wenn's ein "Pyrrhussieg" für Lindner ist, wird die Fünf-Prozent-Hürde ein echtes Problem.

  • Im Grunde war doch lange klar was CL und seine FDP vorhatten. Schon im September wurde ein "Herbst der Entscheidungen" angekündigt..dann getrennte Wirtschaftsgipfel..und schließlich ein Thesen Papier was nur als Affront bezeichnet werden kann..

    Aber offenbar hat Olaf Scholz CLs Plan durchschaut und ist ihm zuvor gekommen.. hat also rechtzeitig erkannt worauf das hinaus laufen würde und ist in die Initiative gegangen.

    Das allerdings hat CL dann doch so überrumpelt, daß er seine Überraschung und (vermutlich) echte Trauer benutzt hat um sich als armes kleines Opfer zu inszenieren.. Eine Bewertung erübrigt sich an dieser Stelle..

    Olaf Scholz hingegen hat sich hingegen als der bessere Politprofi erwiesen.. Als alter Fuchs dem so ein kleiner Hase wie CL nicht das Wasser reichen kann.

    Der Wahlkampf und die anstehende Auseinandersetzung mit Merz könnte also noch sehr spannend werden..

  • Scholz ist nicht in der FDP und Lindner hat die Ampel nicht beendet.

    Es ist daher reichlich irrelevant auf welche Szenarie sich die FDP vorbereitet hat. Fakt ist, das Scholz die Ampel beendet hat und kein Interesse an geordnet eingeleitete Neuwahlen hatte.

    Die Ampel hat nicht mal ihr Ende ordentlich hin bekommen. Auch da hat Scholz als Kanzler versagt.

    • @Rudolf Fissner:

      Naja, konsequent von Lindner wäre es gewesen, die Koalition zu verlassen, da er ja bekanntermaßen agierte als säße er in der Opposition. Und noch konsequenter wäre es von ihm gewesen, garnicht erst in diese Koalition einzutreten, denn er sagte doch schon mal nach vorangegangenen Wahlen, daßß es besser ist garnicht zu regieren als schlecht zu regieren. Und da sind wir schon beim nächsten Punkt: warum machen wir alles immer an Lindner fest? Besteht die FDP nur aus Lindner? Wo sind die anderen?



      Übrigens besteht die SPD auch nicht nur aus Scholz, auch wenn dieser sicher denkt, dass nur er der Kanzelerkandidat seiner Partei sein kann. Wo sind denn da die anderen?



      Was wollen wir mit One-Man-Shows?



      Aber nicht gleich denken, mit CDU und CSU wird jetzt alles besser, weil die ja den Merzhasen haben. Im Vordergrund sollten doch vor allem die politischen Themen stehen, nicht die Köpfe.



      Ich sehe das als nicht zu viel verlangt an, auch wenn viele gleich wieder hyperventilieren wollen. :-)

    • @Rudolf Fissner:

      Es gibt doch Neuwahlen Ende Februar?



      Weil Scholz diese als Kompromissmasse zwei Wochen nach vorne verlegt hat, hat er versagt?

      Die Union wollte den 19.1. haben die trotzdem nicht versagt?

      • @SPD-Versteher:

        Genau, und geordnete Neuwahlen wollen auch ordentlich vorbereitet sein. Was soll da also der Schnellschuss mit dem 19. Januar?

  • Eine Miese Nummer ist und bleibt eine miese Nummer. Alles Schönreden kann das nicht beseitigen. Ein solcher Politikstil beschädigt unsere Demokratie massiv und rückt die FDP in die Nähe von AFD und BSW. Es ist die Trumpisierung unseres politischen Gemeinwesens.