piwik no script img

#BerlinIstKulturAm falschen Ende gespart

Der Senat muss sparen. Auch in der Kultur. Das Aktionsbündnis #BerlinIstKultur will Mittwoch ein Zeichen gegen die geplanten Kürzungen ab 2025 setzen.

Auch in der Volksbühne (die sich am Protest beteiligt) werden Audiodeskriptionen angeboten, diese könnten nächstes Jahr wegfallen Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Berlin taz | Hans Peter Sperber aus Neukölln ist so empört, dass er sich bei der taz per Leserbrief meldet. Sperber ist als blinder Mensch persönlich von den geplanten Haushaltskürzungen betroffen. Jede Senatsverwaltung ist vom schwarz-roten Senat dazu aufgefordert, ab nächstem Jahr ganze 10 Prozent des Budgets einzusparen. Damit drohen Einschnitte in sozialen, gesundheitlichen und eben auch kulturellen Belangen.

„Die Theater und andere Institutionen sprechen vom radikalen Kahlschlag“, schreibt Sperber über seine ganz eigenen Sorgen: „Seit wenigen Jahren gibt es Bühnenaufführungen mit Audiodeskription für blinde Menschen.“ Audiodeskription ermögliche ihm einen genussvollen Besuch einer Bühnenaufführung „auf Augenhöhe mit den sehenden Menschen“.

Ein Besuch einer Oper oder Show ohne Audio­deskription wäre für blinde Menschen nutzlos und Geldverschwendung. „Nun besteht die reale Gefahr, dass diese Aufführungen ab 2025 dem Sparwahnsinn des Finanzsenators zum Opfer fallen. Dann ist das Gerede der Politik von Teilhabe, Inklusion, Integration und Barrierefreiheit in der Kultur eine weitere politische Lüge.“

Zur Erinnerung: Im Dezember 2023 wurde der Doppelhaushalt 2024/2025 beschlossen. Rund 40 Milliarden Euro Ausgaben umfasst der Landeshaushalt für 2025. Drei Milliarden davon sind auf der Einnahmeseite nicht gedeckt. Daher die fatale Idee von Schwarz-Rot, jede Senatsverwaltung solle 10 Prozent vom Budget einsparen – nach dem Rasenmäherprinzip.

Katharina Thalbach und Lars Eidinger kommen

Gegen diese Pläne trommeln Kulturarbeiter:innen, Verbände und Einrichtungen sowie einzelne Betroffene seit Längerem. Als ein Höhepunkt des Protestes kann die Demonstration am Mittwoch ab 10 Uhr am Brandenburger Tor gelten: Das breite Aktionsbündnis #BerlinIstKultur will ein Zeichen gegen die geplanten Kürzungen im Kulturbereich setzen.

„Damit reagieren wir auf den tagenden Hauptausschuss, der über geplante Kürzungen im Kulturetat des Berliner Haushalts verhandeln wird“, heißt es im Demo-Aufruf. Erwartet werden künstlerische Beiträge unter anderem von Katharina Thalbach, Alexander Scheer und Lars Eidinger, von der ufa-Fabrik Berlin und dem Berliner Staatsballett, vom GRIPS Theater und der Clubcommission sowie den drei Berliner Opernchören, die für die Demo gemeinsam singen wollen.

Berlin lebt von der Kultur, sie ist der Standortfaktor

Aus dem Demo-Aufruf

„Berlin lebt von der Kultur“, heißt es im Aufruf. „Sie ist der entscheidende Standortfaktor. Sie ist unsere Schwerindustrie. Jeder Euro, der in die Kultur investiert wird, ist eine Investition in die Zukunft der Stadt“, daher geht der Appell an den schwarz-roten Senat und alle Abgeordneten, „die geplanten Kürzungen im Kulturbereich abzuwenden“.

Gegen diesen „drohenden Kahlschlag in der Berliner Kultur“ macht auch Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles, mobil. Im Newsletter des Hauses lädt er dazu ein, „mit uns zusammen zum Brandenburger Tor zu kommen und laut zu werden für eine weiterhin vielfältige Kulturlandschaft in Berlin“. Reese wird eine Rede halten. „Wir dürfen nicht daran sparen, darüber nachzudenken, wer wir als Gesellschaft sind“, fordert er im Vorfeld der Demo, „wer wir waren und vor allem wer wir sein wollen – gerade in diesen aufgerissenen Zeiten.“

„Irreparabler Schaden“

Das harte Wort vom „Kahlschlag“ benutzt auch Daniel Wesener, Sprecher für Kulturfinanzierung der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Einsparungen von 10 Prozent würde die kulturelle Infrastruktur der Stadt gefährden, sagt er. Es drohe die „Schließung wichtiger Kulturorte und der Kollaps ganzer Fördersysteme. Das würde der Kunst- und Kulturmetropole Berlin irreparablen Schaden zufügen.“

Dabei sei der Kulturetat bereits heute der anteilig kleinste Fachhaushalt und mache (je nach Rechnungsweise) „gerade einmal 2,0 bis 2,5 Prozent des Landeshaushalts aus“, sagt Wesener. Das mache den Kohl nicht fett, zumal das meiste Geld an Personalkosten gebunden wäre. Er spricht von „maximaler Unsicherheit“ unter allen Beteiligten. Würde eine Struktur wegbrechen, wäre das ein langfristiger Schaden für eine Stadt, die doch in aller Welt mit ihrer Kunst und Kultur Werbung mache.

Außerdem, sagt Wesener, wären weite Teile der Berliner Kulturarbeit unterfinanziert und verdienen Kunst- und Kulturschaffende im Durchschnitt deutlich weniger als die allermeisten Berufsgruppen. Das gilt insbesondere für freischaffende Künst­le­r:in­nen und Solo-Selbstständige aus der Kultur- und Kreativwirtschaft, „die von den Kürzungen am härtesten betroffen wären“.

Jana Kreisl ist eine Solo-Selbstständige, sie arbeitet als Illustratorin und Comicautorin in Lichtenberg für private Kunden und auch mit Fördergeldern vom Senat. „Es ist ein Mix“, sagt Kreisl der taz, „und da würde dann ein großer Teil wegfallen.“ Ihre Comic-Workshops für Kinder, Jugendliche und Erwachsene würde es etwa nicht mehr geben können.

„Wir leben ja eh schon sehr prekär“

Die Sparvorhaben seien „großer Mist“, sagt Kreisl auch stellvertretend für Kolleg:innen: „Wir leben ja eh schon sehr prekär.“ Fördergelder stark zu reduzieren hätte zudem ein demokratiefeindliches Moment, weil das Projekte unmöglich macht, „die vielleicht nicht nach kapitalistischen Logiken funktionieren, die die gesellschaftspolitische Entwicklungen kritisch begleiten; Projekte, die Menschen zusammenbringen, die ihnen Raum und Stimme geben“. Gerade mit dem Erstarken der rechten Kräfte sei das nötiger denn je.

„Berlin ist Kultur“, sagt auch Manuela Schmidt, Mitglied im Hauptausschuss (also da, wo es ums Geld geht) und Sprecherin für Kultur. „Es ist unsere Aufgabe, dass das genauso bleibt. Und dazu gehört eben auch, mal ein bisschen kreativ zu sein und Visionen zu entwickeln, wie ich einen Haushalt aufstellen kann, ohne derart gravierend in die einzelnen Fachbereiche gehen zu müssen. Da ist diese Koalition bis heute in der Bringschuld.“

Der Senat habe seine Hausaufgaben, im Ergebnis müssen alle 10 Prozent kürzen. Und wo kann man kürzen, wenn alles andere an Verträge gebunden ist, fragt sie rhetorisch – an der Produktion von Bühnenprogrammen. „Es geht zu Lasten der produktiven Kultur und Kunst“, sagt Schmidt der taz.

„Kunst und Kultur“, sagt Schmidt mit Bedauern, „ist leider nach wie vor keine Pflichtaufgabe. Trotzdem ist doch klar, dass Kunst und Kultur kein nice to have sind. In einer Zeit, die derart im Umbruch ist, wo uns allen der Kompass verlorengegangen ist, kann gerade Kunst und Kultur so ein wichtiger Kompass sein – für Demokratie, den Zusammenhalt, für Diskurse, für konstruktive Auseinandersetzungen, all diese Spielräume nehmen wir uns weg.“

Nach der Demo am Mittwoch wird es weitere Proteste gegen den Kürzungswahnsinn geben. Am 27. November veranstaltet der Berliner Spielplan Audiodeskription um 17.30 Uhr eine Online-Demonstration gegen mögliche blindenfeindliche Sparvorgaben; eine Online-Petition zum Thema läuft bereits.

Bei der Demo via Zoom geht es um den Erhalt von Audiodeskription in verschiedenen Theatern auch im nächsten Jahr und darum, „die Notwendigkeit kultureller Teilhabe für Menschen mit (Seh-)Behinderung auch in den schweren Zeiten des Sparens in Erinnerung zu halten“, sagt Imke Baumann, Projektmanagement Förderband e.V.

„Als Erstes werden höchst wahrscheinlich sogenannte Extrawürste wie Audiodeskription ausgedünnt oder vielleicht sogar ganz verschwinden. Wer denkt noch an die kulturelle Teilhabe von Menschen mit Behinderung, wenn die Kultur selbst vor der Sparkrise steht? Wir denken daran, denn Inklusion ist selbst dann noch Pflicht, wenn jedes Theater nur noch ein Stück pro Spielzeit aufführen könnte.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!