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Optionen für eine MinderheitsregierungSachsen sieht schwarz-rot

Michael Bartsch
Kommentar von Michael Bartsch

Die sächsische CDU will nun mit der SPD über eine Minderheitsregierung sprechen. Das lenkt den Blick plötzlich auch auf Bündnisgrüne und Linke.

Die Sondierung für eine Regierungskoalition aus CDU, BSW und SPD in Sachsen ist gescheitert Foto: Robert Michael/dpa

E ine Minderheitsregierung in Sachsen? Bis zum Ausstieg der Wagenknecht-Getreuen- und vor allem Getreuinnen aus den Koalitionssondierungen am vorigen Mittwoch galt das in der verwöhnten CDU noch als Teufelszeug. Die absoluten Mehrheiten der 1990er Jahre setzen bis heute Maßstäbe. Kurt Biedenkopf konnte nicht nur durchregieren, er kam auch dem latenten Royalismus der Sachsen entgegen. Nur einmal hatte der „Geenich“ in Sachsen keine Mehrheit, 1918, als der letzte August mit den berühmten Worten abdankte „Macht eich eiern Dregg alleene“.

Nun also doch, der Not gehorchend. CDU und SPD hatten, die Labilität des BSW ignorierend, stets stabile Mehrheitsverhältnisse beschworen. Wohl wissend, dass eine zwar überwiegend materiell gesicherte, aber ob der Perspektiven mental verunsicherte Gesellschaft nichts mehr ersehnt als klare Ansagen von oben. Ministerpräsident Michael Kretschmer, sein Brandenburger Kollege Dietmar Woidke und der Thüringer Möchtegern-Kollege Mario Voigt hatten sich beim BSW geradezu angebiedert. Denn in allen drei Ländern sind nach den Wahlen stabile Bündnisse nur mit der aus dem Stand erfolgreichen Linken-Ausgründung möglich, will man die AfD meiden.

Wenn die CDU nun ab Montag doch mit der SPD über eine Koalition redet, die im Landtag nur über 51 der 120 Sitze verfügt, signalisiert das immerhin, dass sich die AfD-Sympathisanten nicht durchgesetzt haben. Auch vier Jahre Erfahrungen mit einem alles andere als stabilen „Stabilitätsmechanismus“ in Thüringen scheinen nicht abzuschrecken. Demokratietheoretisch mögen Sachentscheidungen mit wechselnden Mehrheiten ja interessant sein. Aber die rot-rot-grünen Abgeordneten in Erfurt stöhnten bald ob des Gezerres um den Haushalt und der Erpressungsversuche der CDU.

Die neue Konstellation in Sachsen lenkt den Blick plötzlich auch auf Bündnisgrüne und Linke als potenziell mitverantwortliche Tolerierer. Mehrheiten könnten sie einer CDU/SPD-Allianz aber nur gemeinsam beschaffen, wenn man sich nicht auf das windige BSW verlassen will.

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Michael Bartsch
Inlandskorrespondent
Seit 2001 Korrespondent in Dresden für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Geboren 1953 in Meiningen, Schulzeit in Erfurt, Studium Informationstechnik in Dresden. 1990 über die DDR-Bürgerbewegung Wechsel in den Journalismus, ab 1993 Freiberufler. Tätig für zahlreiche Printmedien und den Hörfunk, Moderationen, Broschüren, Bücher (Belletristik, Lyrik, politisches Buch „System Biedenkopf“). Im Nebenberuf Musiker.
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5 Kommentare

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  • "Wenn die CDU nun ab Montag doch mit der SPD über eine Koalition redet, die im Landtag nur über 51 der 120 Sitze verfügt, signalisiert das immerhin, dass sich die AfD-Sympathisanten nicht durchgesetzt haben."



    Ob eine Minderheitenregierung die Wende bringt bezweifle ich arg. Die Sachsen haben frei gewählt und präferieren schwarz-blau.



    Dass die CDU sich diesem Wagnis (noch) nicht hingeben will ist verständlich, es sorgt aber auf Dauer nur für Zulauf bei der AfD.



    Ohne Regierungsverantwortung wird das Gespenst AfD nie in die Verlegenheit kommen zugeben zu müssen, dass sie auch nur mit Wasser kochen, ihre vollmundigen Versprechen von Massenremigration bis exzessive Steuersenkung für den 'kleinen Mann' nicht umgesetzt bekommen. Gerade eine Landesregierung wäre hierfür recht, da sie immer noch der Bundesebene unterstellt ist.



    So versucht man halt weiter irgendwie hanebüchene Koalitionen zu schmieden, ob mit dem BSW oder eben nun als Minderheit. Wie das politische Stabilität bringen oder der AfD das Wasser abgraben soll weiß keiner🤷‍♂️



    Hat auch die letzten 10 Jahre nicht funktioniert, egal. Es muss anscheinend erst die AfD irgendwo die absolute Mehrheit holen, dann wirds aber gefährlich.

    • @Farang:

      Einfach mal drüber nachdenken, was eine Landesregierung alles so in die Finger kriegt - Bildung, Justiz, Polizei, Verfassungsschutz, ... - bevor man den aus den dreißiger Jahren bekannten Spruch wieder hervorkramt.

      • @dtx:

        Mir ist der Artikel bekannt. Ich hab in jungen Jahren auch mal ne zeitlang Geschichte studiert. Und ich weiß was eine Landesregierung alles für Kompetenzen hat.



        Ich verstehe alle ihre Bedenken. Ich teile sie. Trotzdem nochmal die sachliche Frage: wer glaubt das Minderheitsregierungen oder BSW-Bündnisse die Politik zukünftig stabilisieren oder der AfD das Wasser abgraben?



        Die AfD wird seit 10 Jahren politisch isoliert und gemieden - Auswirkungen: stetig steigende Werte, teils stärkste Kraft, teils Sperrminorität, bundesweit Platz 2.



        Fazit: ignorieren und isolieren klappt nicht.



        1. Man will nicht mit der AfD, 2. man kann aber schon fast nicht mehr ohne sie und 3. den Verbotsantrag fürchtet man nach wie vor🤷‍♂️



        Gleichzeitig lässt man sich 4. parteiübergreifend von der AfD bundesweit politisch treiben.



        Das ist unterm Strich viermal fatal. Ich bin für jegliche Vorschläge offen, aber ein 'weiter so' in Sachen ignorieren und isolieren führt ganz offensichtlich in naher Zukunft zu einer Unregierbarkeit der ostdeutschen Bundeslandesländer oder noch schlimmer, zu absoluten Mehrheiten für die AfD - und dann wirds wirklich dunkel.

    • @Farang:

      Selbst wenn das alles so stimmen sollte: mit der AfD zusammen zu regieren, würde genauso wenig funktionieren und den Wählerfrust ebenso weiter nach oben treiben.