Zero Waste in Berlin: Zu viel für die Tonne
Aktuell werben die ersten Berliner „Zero-Waste-Aktionswochen“ für die Vermeidung von Abfall. Ein Blick auf Berlins Müllberge zeigt: Das reicht nicht.
Schlendert man durch die Gänge, kommen allerdings Zweifel auf. Wer investiert 120 Euro in ein gut abgesessenes Ledersofa, das noch nicht mal ironisch als cool rüberkommt? Wer mag all die billigen Ölgemälde von Kirchtürmen und Blumensträußen nach Hause tragen, wer hat Interesse an der zehnbändigen gebundenen Ausgabe von „Die Großen. Leben und Leistung der sechshundert bedeutendsten Persönlichkeiten unserer Welt“, Erscheinungsjahr 1978?
Am beliebtesten scheint noch die Bekleidungsabteilung zu sein, und auch für Teller und Tassen, die es schon ab 50 Cent gibt, stehen die Chancen besser. Wie gut die NochMall bei den BerlinerInnen ankommt, verrät die BSR aber nur bedingt: „Zu den Umsätzen möchten wir keine Auskunft geben“, heißt es dort. Besucht hätten das Kaufhaus im vergangenen Jahr allerdings 340.000 Menschen, und mehr als 500.000 Artikel seien verkauft worden, Tendenz steigend.
Können Angebote wie die NochMall, dieser „Erlebnisort für Kreislaufwirtschaft und Abfallvermeidung“ (BSR), die Müll-Lawine bremsen, die wir täglich erzeugen? Können eine Handvoll Unverpackt-Läden, ein paar Dutzend Reparatur-Cafés und Tauschbörsen für Gebrauchtes den Unterschied machen? Oder gehen diese oft sehr nischenhaften Initiativen im Dröhnen von Kaufen und Wegwerfen unter, das aus den Möbelhäusern, Elektronikdiscountern und Supermärkten dringt?
Die Problematik reiner Awareness-Kampagnen zeigt der „Better World Cup" der Senatsumweltverwaltung. 2017 gestartet, sollte das geschätzte Aufkommen von jährlich 170 Millionen To-go-Bechern reduziert werden. Kaffeedurstige sollten sich lieber ihre eigenen Behälter auffüllen lassen. Im Juni sagte die Kampagne leise Servus: „Mission erfüllt", hieß es auf Instagram, es gebe ja jetzt eine „Mehrwegpflicht" – gemeint ist die Pflicht für Gastronomen, Mehrweg anzubieten oder mitgebrachte Behälter zu akzeptieren. Wie oft das genutzt wird, ist ebenso unklar wie die Entwicklung der To-go-Flut. Meike Al-Habash von der Zero-Waste-Agentur räumt ein, die Wirkung der Kampagne sei „schwer messbar", „da konkrete Zahlen zum Rückgang des Einwegverbrauchs bisher nicht öffentlich verfügbar sind". Was wir wissen: Die von der BSR aus den orangen Eimern geleerte Müllmenge ist von 6.400 Tonnen im Jahr 2013 auf 8.600 im Jahr 2023 gestiegen – und die BSR rechnet mit Zuwachs. (clp)
Es ist Meike Al-Habashs Job, daran zu glauben. Sie ist die Chefin der von der BSR eingerichteten „Zero-Waste-Agentur“, die seit einem Jahr daran arbeitet, „Abfallvermeidung und Ressourcenschonung zu fördern und Innovationen sowie Projekte und Angebote in diesem Bereich voranzubringen“. Unter der Leitung von Al-Habash finden gerade die ersten Berliner „Zero-Waste-Aktionswochen“ statt. Auf dem Programm, das rund 300 Termine umfasst, stehen Videokurse wie „Die Macht der Secondhandkleidung“ oder vorweihnachtliche Upcycling-Workshops, aber auch BSR-Kieztage, bei denen AnwohnerInnen in Wohnortnähe Gebrauchtes loswerden können – was keinen Abnehmer findet, wird als Sperrmüll entsorgt.
„Null Müll“ oder „Null Verschwendung“?
„Wir zeigen Möglichkeiten auf, um Ressourcen in den Kreisläufen zu halten“, sagt Al-Habash. Sie sei „optimistisch, dass durch Vernetzung und Kooperation mehr und weitere Zero-Waste-Angebote entstehen, die künftig von zunehmend mehr Bürger:innen verstärkt in Anspruch genommen werden“. Von „Null Verschwendung“ spricht Al-Habash. Es ist die Lesart des Senats von „Zero Waste“, einem Begriff, den viele Umwelt- und KlimaaktivistInnen eher mit „Null Müll“ übersetzen würden. Aber ein Blick in die Berliner Abfallstatistiken zeigt, dass Letzteres auf absehbare Zeit wenig mit der Realität zu tun hat.
Ganz leicht sind diese Statistiken nicht zu lesen. Das liegt unter anderem daran, dass die Müllfraktionen nach den unterschiedlichen Orten erfasst werden, an denen sie anfallen – in den Tonnen von Wohngebäuden oder Gewerbebetrieben, aber auch auf den Recyclinghöfen der BSR oder bei den verschiedenen Entsorgern, die jeweils zuständig sind. Glas und Papier etwa tauchen nur zu einem kleinen Teil in den Bilanzen der BSR auf, weil diese bloß das zählt, was auf die Recyclinghöfe gebracht wird: Für die Leerung der Haustonnen ist die unabhängig agierende BSR-Tochter Berlin Recycling zuständig.
Auch der Inhalt der Wertstofftonnen – Plastikverpackungen und kleinere Gegenstände aus Kunststoff oder Metall – wird nur zu einem kleinen Teil von der BSR abgefahren, in der Hauptsache aber von der privaten Alba GmbH. Gezählt werden diese Mengen dann in den Sortieranlagen, die von Unternehmen der sogenannten „Dualen Systeme“ betrieben werden. Der gewichtsmäßig mit Abstand größte Batzen des Berliner Abfalls – Schutt aus Abriss oder Sanierung von Gebäuden oder Straßen, der zu großen Teilen weiterhin auf Deponien landet – findet sich dabei noch nicht einmal in der offiziellen, zweijährlichen Abfallbilanz des Landes Berlin, denn die öffentlich-rechtlichen Entsorger sind dafür seit 2009 nicht mehr zuständig.
Die aktuell jüngste Abfallbilanz für 2021 weist für Hausmüll und Sperrmüll – alles, was von Haushalten und Kleingewerbe nicht vorsortiert entsorgt wird – ein Menge von 879.000 Tonnen aus, ein leichtes Plus zur Bilanz für 2019 (867.000 t). Wohin die Kurve mittlerweile zeigt, muss die ausstehende Bilanz für 2023 noch zeigen.
Immerhin: Blickt man lediglich auf die grauen Tonnen für gemischten Restmüll, hat sich die darin gesammelte Menge laut den jährlichen Bilanzen der BSR von 2021 (809.000 t) zu 2022 (778.000 t) und 2023 (776.000 t) verringert. Bei den Wertstofftonnen gab es diesen Trend zuletzt allerdings nicht: Nach den Zahlen der Interzero GmbH, die zu den Dualen Systemen gehört und den Inhalt der Berliner Tonnen sortiert, hat sich das Aufkommen von 83.000 t im Jahr 2022 auf 84.000 t im Jahr 2023 sogar leicht erhöht.
Wortwörtlich ins Gewicht fällt die Sammlung in der Biotonne, die 2019 deutlich ausgeweitet wurde: 2013 landeten 63.000 t organischer Müll darin, seit 2020 sind es rund 120.000 t. Das heißt aber: Betrachtet man die Entwicklung des Hausmülls über diesen längeren Zeitraum hinweg, bleibt die Summe von Rest- und Biomüll praktisch unverändert, es wird jetzt lediglich mehr „Organik“ getrennt gesammelt.
Zwei Drittel Organik gehen daneben
Das ist gut, trotzdem ist die Erfassungsquote durch die Biotonne mit rund 32 Prozent (2022) des Hausmülls weiterhin mager: „Im Umkehrschluss heißt das, dass 2022 zwei Drittel der Nativ-Organik, die in jedem Berliner Haushalt anfiel, über die Hausmülltonne entsorgt wurden“, so ein BSR-Sprecher. Das meiste von dem, was in Biogas und Kompost verwandelt werden könnte, wird also weiterhin unsortiert verbrannt.
Insgesamt landen immer noch 64 Prozent (2021) aller Berliner Siedlungsabfälle in der „thermischen Verwertung“, also im Feuer, unmittelbar in der Müllverbrennung in Ruhleben oder mittelbar – nach Vorbehandlung und Abgabe etwa an die Zementindustrie. Beim Rest- und Sperrmüll waren es 2021 fast 90 Prozent, bei den Kunststoff-Leichtverpackungen immer noch 55 Prozent. Strahlende Sieger sind Glas und Papier, die praktisch vollständig recycelt werden.
Vorläufiges Fazit: Die Müllberge, die die BerlinerInnen Tag für Tag und Jahr für Jahr produzieren, verändern sich bislang nur marginal. Da klingt es schon optimistisch, wenn die BSR auf Anfrage mit einer „leicht sinkenden Pro-Kopf-Menge“ des gemischten Haus- und Geschäftsmülls in der nahem Zukunft rechnet und auf das Abfallwirtschaftskonzept des Landes verweist. Das sieht bis 2030 eine Reduzierung vor von derzeit rund 206 kg pro EinwohnerIn und Jahr auf 182 kg.
Wie und vor allem wann soll da eine drastische Verringerung dieser Menge auf 100 kg erreicht werden, wie sie der Landesverbands des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) fordert? Man müsse sich diesem Ziel eben „immer weiter annähern“, sagt Daniel Affelt, Koordinator für Abfall- und Ressourcenpolitik beim BUND-Landesverband – durch verbesserte Mülltrennung und Recycling, durch den Bau einer weiteren Biogasanlage, vor allem aber durch Vermeidung.
Affelt verweist hier wie Zero-Waste-Chefin Al-Habash auf mehr Reparatur, gemeinschaftliche Nutzung von Gütern und Geräten und Gebrauchtkauf. Erreicht werden soll das durch ein stadtweites, „umfassendes Abfallberatungskonzept“ mithilfe „zivilgesellschaftlicher Akteure“, aber auch durch eine Steuer auf Einwegverpackungen.
Pay as you throw
Bei der Müllsammlung schwebt dem BUND auch der Einsatz von Technologie vor, um den weiterhin riesigen Anteil an Mischmüll zu reduzieren: „Ein gutes Beispiel sind Pay-as-you-throw-Systeme, bei denen diejenigen mehr zahlen, die mehr Restmüll verursachen“, sagt Affelt. Grundsätzlich von großer Bedeutung sei die bedarfsgerechte Ausstattung mit Müllbehältern und deren regelmäßige Leerung: „Wir hören immer wieder von Fällen, wo Tonnen wochenlang nicht abgeholt werden oder sich Hausverwaltungen aus vorgeblichen Platz- oder Kostengründen weigern, ihren Mieter*innen alle erforderlichen Recyclingtonnen zur Verfügung zu stellen. Das frustriert Menschen, die Müll trennen wollen.“
Aber zurück zu den kleinen Gesten und Maßnahmen, wie sie auch von der Zero-Waste-Agentur promotet werden. Was bringt es, wenn ein paar Menschen wiederverwendbare Netze für den Gemüseeinkauf im Supermarkt nutzen, während sich daneben die Plastikverpackungen in den Einkaufswagen türmen? Eine berechtigte Frage, findet Meike Al-Habash. Solche Maßnahmen seien ein „erster Schritt in die richtige Richtung, aber sie allein genügen nicht, um das Gesamtbild zu ändern“.
Es brauche neben umfassender Aufklärung auch Kooperationen mit dem Einzelhandel, um Einwegplastik zu reduzieren. Der Weg zu „Null Verschwendung“ könne wie eine Sisyphosaufgabe erscheinen, aber sei nicht aussichtslos. „Umgekehrt“, so Al-Habash, „muss die Gegenfrage erlaubt sein, ob stattdessen ein ‚Liegenlassen‘ der Zero-Waste-Angebote als sinnvolle Alternative scheint, wenn wir uns gleichzeitig mit Fragen von Ressourcenknappheiten, Klimawandel und resilienten Gesellschaften auseinandersetzen müssen.“
Man könnte es auch so sagen: Es gibt keinen Grund, auf die ganz kleinen Schritte in Sachen Müllvermeidung zu verzichten – aber ohne ein großes Umsteuern durch die Politik wird ihre Wirkung verpuffen.
Hinweis: Die ursprüngliche Version des Artikels legte nahe, dass auch Elektrokleingeräte in die Wertstofftonne gehören. Das ist nicht der Fall – diese müssen auf dem Recyclinghof oder per Rücknahme durch den Handel entsorgt werden.
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