Schwierige Tarifverhandlungen: Metall- und Elektro-Tarifrunde geht in die heiße Phase
An diesem Montag läuft in der deutschen Metall- und Elektroindustrie die Friedenspflicht aus. Die IG Metall startet eine erste Welle von Warnstreiks.
Verhandelt wird über die Arbeitsbedingungen von rund 3,9 Millionen Beschäftigten in gleich mehreren Schlüsselbranchen der deutschen Industrie. In den regional gefassten Flächentarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie sind Maschinenbau, Elektro sowie große Teile der Autoindustrie versammelt.
Die Positionen sind noch weit auseinander, was nach zwei Verhandlungsrunden allerdings auch nicht ungewöhnlich ist. Die IG Metall fordert bei einer Laufzeit von zwölf Monaten für die Beschäftigten 7 Prozent mehr Geld und überproportional 170 Euro im Monat mehr für die Auszubildenden.
Außerdem will sie mehr Beschäftigten die Wahlmöglichkeit zwischen freier Zeit und Bezahlung eröffnen. Die Gewerkschaft begründet diese dritthöchste Forderung der vergangenen 30 Jahre mit den Kaufkraftverlusten, die ihre Mitglieder in den zurückliegenden Jahren der Hochinflation erlitten haben.
Was bieten die Arbeitgeber?
Die Arbeitgeber haben flächendeckend ein erstes Angebot vorgelegt, das bei einer mehr als doppelt so langen Laufzeit von 27 Monaten in zwei Stufen auf eine Steigerung um 3,6 Prozent kommt. Die erste Stufe von 1,7 Prozent solle dabei erst im Juli 2025 greifen.
Gesamtmetall verweist auf die schlechte konjunkturelle Lage der Unternehmen, die zusätzlich unter zahlreichen Standortnachteilen litten. Die Produktion der Unternehmen liege bislang 7,4 Prozent unter dem Vorjahr und 15 Prozentpunkte hinter dem Vorkrisenniveau von 2018. Weder in diesem noch im laufenden Jahr sei eine Trendwende erkennbar. Die Betriebe dürften daher nicht weiter belastet werden.
„Was die Arbeitgeber angeboten haben, ist zu wenig, zu lang und zu spät“, sagte demgegenüber die IG Metall-Vorsitzende Christiane Benner im taz-Gespräch. „Da muss mehr drin sein.“ Das werde die IG Metall am Verhandlungstisch deutlich machen – „und wenn da nichts passiert, auch auf der Straße“.
Separate Verhandlungen bei VW
Separate Verhandlungen finden derzeit bei VW statt. Der größte deutsche Autohersteller fällt mit seinen sechs westdeutschen Werken und 120.000 Beschäftigten nicht unter den Flächentarifvertrag, sondern hat einen eigenen Haustarif mit der IG Metall.
Die VW-Krise, in der das Management seit September Entlassungen und Werksschließungen nicht mehr ausschließen will, wirkt insofern nur indirekt auf den Flächentarif, zeigt aber auch die Gefahren von De-Industrialisierung und Arbeitsplatzverlust.
Auf Druck der Gewerkschaft sind die VW-Tarifverhandlungen um einige Wochen vorgezogen worden, hängen aber eng mit strategischen Entscheidungen über die künftige Auslastung der Werke zusammen. Warnstreiks sind bei VW erst ab dem 1. Dezember möglich. Die Gewerkschaft fordert wie in der Fläche 7 Prozent mehr Geld und die Rücknahme der Schließungspläne.
Wann gibt es in der Fläche Warnstreiks?
Die IG Metall hat angekündigt, dass mit dem Ende der Friedenspflicht am 29. Oktober eine erste bundesweite Warnstreikwelle beginnt. Das ist durchaus unmittelbar gemeint, denn bei Tarifverhandlungen in der Vergangenheit haben die ersten Beschäftigten bereits um 00.01 Uhr in ihren Nachtschichten „den Hammer fallengelassen“.
Durch die Arbeitsniederlegungen wird zunächst einmal die Produktion der bestreikten Betriebe gestört. Bezahlt wird die Arbeitszeit während eines Warnstreiks nicht. Anders als beispielsweise bei Streiks im Verkehr mit ausgefallenen Zugfahrten oder Flügen kann die Produktion aber später nachgeholt werden. Die Metall- und Elektroindustrieprodukte werden zudem häufig an andere Industriebetriebe geliefert. Es ist daher zunächst sehr unwahrscheinlich, dass Endkunden größere Nachteile spüren.
Reguläre Streiks sind zum jetzigen Zeitpunkt sehr unwahrscheinlich, auch wegen des bereits früh in der zweiten Runde vorgelegten Angebots. Der letzte reguläre Streik mit vorheriger Urabstimmung datiert aus dem Jahr 2002, als laut Zählung der Arbeitgeber 166 Betriebe in Baden-Württemberg und Berlin-Brandenburg bestreikt wurden. Die IG Metall betont zwar stets ihre volle Streikkasse, geht aber selten diesen letzten Schritt. In der Tarifrunde 2022 hat der damalige Verhandlungsführer Roman Zitzelsberger nach eigenem Bekunden mit Urabstimmung und Streik gedroht.
Parallele Verhandlungen in elf Regionen
Ungeachtet der Warnstreiks gehen die Verhandlungen in elf Regionen parallel weiter. Den Anfang der dritten Verhandlungsrunde machen die Tarifgebiete Küste und Niedersachsen bereits an diesem Dienstag. Die übrigen Gebiete folgen bis zum 5. November. In den Gesprächen wird geschaut, wo eine Annäherung möglich scheint.
Wenn sich ein Pilotbezirk herauskristallisiert, wird dort stellvertretend zu Ende verhandelt. Dabei können sich auch die zentralen Einheiten einschalten, also der Dachverband Gesamtmetall in Berlin und der Vorstand der IG Metall in Frankfurt. Wenn es ein Ergebnis gibt, wird dies in den folgenden Tagen auf die anderen Tarifgebiete übertragen.
Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf warnte im Gespräch mit dem Nachrichtenportal t-online, es helfe überhaupt nicht, die Erwartungshaltung weiter anzuheizen. „Die Lage ist, wie sie ist.“ Da machten Warnstreiks eine Einigung nicht leichter.
Wie wird ein Pilotbezirk ausgewählt?
Das ist ein informeller Prozess zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern, der auch vom Ehrgeiz der regionalen Verhandler abhängt. Beide Seiten müssen zudem darauf achten, dass ihre jeweiligen Verhandlungsführer ausreichend Rückhalt auch in den anderen Regionen haben.
Schon aus diesem Grund stammen die Abschlüsse der jüngeren Vergangenheit ausschließlich aus den mitgliederstarken IGM-Bezirken Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern. 1997 war mit Niedersachsen letztmals eine der kleineren Einheiten dran. Besonders häufig wird „der Pilot“ in Baden-Württemberg geschmiedet, wie zuletzt auch 2022 in Ludwigsburg. Dort wurde eine Lösung in der fünften Runde gefunden, eine über die Jahre durchaus übliche Dauer.
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