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Autor über slowakische Regierung„Rechtspopulisten regieren lassen? Lieber nicht!“

Der Schriftsteller Michal Hvorecký spricht über Rechtsruck und kulturpolitischen Umbau in der Slowakei. Ein mahnendes Beispiel auch für Deutschland.

Protest gegen die rechte Regierung am Freiheitsplatz in Bratislava, März 2024 Foto: Patrik Uhlir/Imago
Jens Uthoff
Interview von Jens Uthoff

taz: Herr Hvorecký, in der Slowakei findet gerade ein politischer und kulturpolitischer Umbau auf Betreiben der Regierung statt. Welche Entwicklungen halten Sie für besonders besorgniserregend?

Michal Hvorecký: In der Slowakei haben sich die sogenannten Sozialdemokraten (Hlas) und die Partei von Robert Fico (Smer) 2023 dazu entschieden, mit der rechtsextremen Slowakischen Nationalpartei (SNS) zu koalieren. Mir war von Anfang an klar, dass es eine Illusion ist, zu glauben, die Rechtsextremen würden sich dann entradikalisieren oder selbst entzaubern, wenn sie in der Regierung sind. Und ich habe recht behalten. Inzwischen hat das Land einen massiven Rechtsruck erlebt, die Bilanz ist eine Katastrophe.

Im Interview: Michal Hvorecký

wurde 1976 in Bratislava geboren. Er arbeitet als Schriftsteller und Journalist. Auf Deutsch erscheinen seine Bücher beim Tropen-Verlag. Zuletzt veröffentlicht er den Roman „Tahiti Utopia“.

taz: Worin besteht diese Katastrophe für Sie?

Hvorecký: Der größte Skandal liegt in den Nominierungen von Tomáš Taraba zum Umweltminister und von Martina Šimkovičová zur Kulturministerin. Taraba stammt aus dem Umfeld der völkischen ĽSNS mit Wurzeln in der Neonaziszene, er war früher Vorsitzender der rechtsextremen christlichen Partei Život. Die Kulturministerin ist eine ehemalige TV-Moderatorin, sie wurde von ihrem früheren Arbeitgeber, einem Privatsender, wegen rassistischer Kommentare während der Flüchtlingskrise 2015 entlassen. Seither hat sie Fake News verbreitet, sie ist eine Art rechte Influencerin, mit ihren menschenfeindlichen, homophoben und rassistischen Web-Videos hat sie Hunderttausende erreicht. Ihr Weltbild ist völkisch, und es hat sich nicht verändert, seit sie im Amt ist. Sie wird übrigens auch von der AfD unterstützt. Über die Wahlliste der SNS ist Šimkovičová in die Regierung und ins Ministeramt gekommen, sie ist kein Parteimitglied. Das ist in der Slowakei leider möglich. Vertreter dieser Partei sind hauptsächlich ­Verschwörungstheoretiker, Antisemiten, Klimawandelleugner und Impfgegner.

taz: Šimkovičová hat innerhalb eines Jahres zahlreiche Intendanten und Führungskräfte entlassen.

Hvorecký: Ja, sie hat unter anderem den Generaldirektor des Slowakischen Nationaltheaters, Matej Drlička, entlassen. Auch die Leitungen der Kunsthalle Bratislava, des Kinderkulturzentrums Bibiana, der Slowakischen Nationalbibliothek und der Nationalgalerie hat sie ausgetauscht. Und leider müssen wir mit weiteren Entlassungen rechnen. Der neue Chef der Nationalgalerie, Anton Bittner, ist Finanzmanager, der von sich sagt, er habe keine Ahnung von Kunst. Das genannte Kinderkulturzentrum leitet nun Petra Flachová – auch sie hat keine kulturellen Kenntnisse, sie war aber eine Nachbarin von Šimkovičová, was als Qualifikation offenbar genügt. Kultur soll für Šimkovičová ohnehin bloß Unterhaltung sein und möglichst nichts mit Politik zu tun haben.

taz: Das Kulturministerium hat auch die öffentlich-rechtlichen Sender nach polnischem und ungarischem Vorbild umgebaut.

Hvorecký: Ja, die öffentlich-rechtlichen Medien sind dem Kulturministerium unterstellt, Šimkovičová hat da vom ersten Tag einen klaren Plan verfolgt. Fernseh- und Radiosender begannen unter neuen Namen, die Ministerin hat selbstverständlich behauptet, sie würden nun ausgewogener und kritischer berichten. Tatsächlich sind es jetzt mehr oder weniger Propagandasender der Regierung. Es werden zum Beispiel ellenlange Monologe des Premierministers ausgestrahlt, ohne kritische Fragen des Moderators.

taz: Sie kämpfen dafür, dass Šimkovičová abgesetzt wird. Es gab eine Petition mit mehr als 180.000 Unterschriften, die ihre Absetzung gefordert hat.

Hvorecký: Es gab zwei Petitionen, die zweite habe ich mitinitiiert. Wir haben zweimal rund 190.000 Unterschriften gesammelt. Es gab mehrere Demonstrationen, einen Streik in der Kulturszene. Aber sie ist immer noch im Amt.

taz: Zuletzt wollte die Koalition auch die Steuer auf Bücher erhöhen, von 10 auf 23 Prozent.

Hvorecký: Ja, aber sie haben das Vorhaben zurückgezogen. Es gab zu viele Proteste von Verlagen und Literaturinstitutionen. Es lohnt sich also, zu protestieren!

taz: Die Kulturministerin hat Sie wegen Verleumdung angezeigt, weil Sie sie eine Neofaschistin genannt haben. Sorgen Sie sich um Ihre eigene Zukunft in der Slowakei?

Hvorecký: So weit ist es noch nicht. In dem Fall geht es um einen Text von mir, der bereits bei der Gründung der Koalition vor einem Jahr erschienen ist. Ich habe darin vor der Zusammenarbeit mit Neofaschisten auf Regierungsebene gewarnt. Die Kulturministerin fordert eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren für mich. Das ist absurd. Wenn ich sie eine Neofaschistin nenne, dann es ist es kein Schimpfwort, sondern es beschreibt ihre politischen Ansichten und ihr Weltbild. Sie hat zum Beispiel davon gesprochen, dass die „LGBT-Propaganda“ für „das Aussterben der weißen Rasse“ verantwortlich sei. Grundsätzlich gibt es jetzt viele Versuche, kritische Stimmen und kritische Journalisten einzuschüchtern. Auch Premierminister Fico hat eine Anzeige gegen einen Journalisten gestellt. Ich bin da nicht der einzige Fall.

taz: Es gab nun schon viele Protestaktionen, Demonstrationen mit Tausenden Menschen in der Hauptstadt Bratislava. Glauben Sie, Sie können diesen Widerstand aufrechterhalten?

Hvorecký: Ich hoffe, dass es gelingen kann. Aber man sollte nicht allzu hohe Erwartungen haben, weil Robert Fico seine vierte Amtszeit meines Erachtens vor allem als Rache an seinen Gegnern versteht. Fico war 2018 nach dem Auftragsmord an dem Investigativ-Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten eigentlich politisch am Ende. Seit er wieder an der Macht ist, regiert er mit harter Hand, daran hat auch das Attentat auf ihn nichts geändert. Trotzdem: Seine Partei und die sogenannten Sozialdemokraten spüren wohl eigentlich schon, dass es mit diesem Umweltminister und dieser Kulturministerin so nicht weitergeht. Ihr Koalitionspartner von der Slowakischen Nationalpartei liegt in Umfragen nur noch bei 3 Prozent, sie sind extrem unpopulär.

taz: Also haben Sie noch Hoffnung, dass die Koalition zerbricht?

Hvorecký: Eine kleine Hoffnung besteht, dass sie auseinanderbrechen könnte. Es gab jetzt schon Abstimmungen in der Koalition, die knapper waren. Aber Fico ist ein Machtmensch, er wird alles dafür tun, dass die Stabilität erhalten bleibt.

taz: Gäbe es denn mögliche progressive Bündnisse?

Hvorecký: Das Problem ist, dass die Slowakei kaum noch proeuropäische, demokratische, linke Parteien hat. Natürlich gibt es noch die Opposition, die Progresívne Slovensko („Progressive Slowakei“). Aber sie haben Angst, sich als links zu bezeichnen. In den ehemaligen Ostblockstaaten ist das ein Problem, weil viele Menschen noch die linksautoritäre Zeit erlebt haben und die Bezeichnung „links“ somit vorbelastet ist. Fico dagegen hätte als möglichen Koalitionspartner immer noch die Partei Hnutie Republika (Republika-Bewegung), die aus der Neonaziszene kommt und gerade in Umfragen bei fast 10 Prozent steht – sie in der Regierung zu haben, wäre auch eine Horrorvorstellung.

taz: Sind Sie enttäuscht von den ausbleibenden Reaktionen seitens der EU auf den Rechtsruck in der Slowakei?

Hvorecký: Ich bin ein bisschen enttäuscht, wie wenig die Europäische Kommission auf diese Situation reagiert, auch auf die Justizreform zum Beispiel, auf den Abbau der Rechtsstaatlichkeit. Positiv überrascht aber bin ich von der großen Welle der Solidarität aus der europäischen Kulturszene. Jahrzehntelang blieb die slowakische Kultur eher im Schatten und wurde wenig beachtet, nun nimmt man sie wahr. Gerade aus dem Nachbarland Österreich, wo es mit dem Wahlsieg der FPÖ ähnliche Tendenzen gibt, ist die Solidarität sehr groß; aber auch aus Deutschland oder Frankreich.

taz: Kann die Slowakei ein mahnendes Beispiel für andere Länder wie Deutschland sein?

Hvorecký: Auf jeden Fall. Es zeigt, was es bedeutet, wenn man mit diesen Menschen koaliert. Sie werden nicht plötzlich milder oder versuchen, tatsächlich Probleme zu lösen. Viele in den europäischen Ländern sagen jetzt: Lasst die Rechtspopulisten doch regieren, damit die Leute sehen, dass sie es nicht können. Ich sage: Bitte lieber nicht.

taz: In der Kultursparte wird in Deutschland im öffentlich-rechtlichen Rundfunk massiv gekürzt. Wird der kulturelle Sektor als politisches Feld unterschätzt?

Hvorecký: Nicht nur als politisches Feld, sondern überhaupt. Gerade in den Zeiten multipler Krisen sollten wir in Kultur und Bildung investieren, sie als Prioritäten betrachten. Wir tun in Europa viel zu wenig, um Tendenzen zum Autoritären zu stoppen. Ich bin in der Diktatur groß geworden. Ich war 13, als die demokratische Wende und die Öffnung kamen. Ich möchte, dass meine Kinder auch demokratisch leben dürfen. Insofern ist es auch kein gutes Zeichen, wenn eine Mitte-links-Regierung in Deutschland bei Kultur und Bildung drastisch spart. Denn Kultur ist eine Option, die Demokratie zu stärken.

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1 Kommentar

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  • "Es werden zum Beispiel ellenlange Monologe des Premierministers ausgestrahlt, ohne kritische Fragen des Moderators."



    Ich wünsche mir eigentlich auch in Deutschland, dass der Kanzler bei Bedarf nach Belieben eine Erklärung seiner Politik im ÖR geben darf. Das hindert ja nicht daran, der Opposition auch entsprechend Zeit zum Diskutieren zu geben! Vielleicht kann unser ÖR einfach mal die Zahl der Krimis und Tatorte etwas reduzieren, um so etwas möglich zu machen.