Gleichberechtigung in der Musikbranche: Erst die Fakten, dann die Forderungen
Frauen und queere Menschen sind in der Musikbranche unterrepräsentiert. In Bremen will eine Initiative genaue Zahlen dazu erheben.
Bis Mitte kommenden Jahres wollen die Projektbeteiligten mit Bremer Clubs sprechen und herausfinden: Welche Menschen standen bei ihnen im Jahr 2023 auf der Bühne? Verschiedene Genres sollen abgedeckt, auch künstlerische DJs mit eingerechnet werden.
MusicHBwomen gibt es seit vergangenem Jahr. Die Initiative soll nach eigenen Angaben eine „Stärkung der Präsenz, Qualifikation und Vernetzung von Frauen*, sich als weiblich identifizierenden und nicht-binären Personen in der lokalen Bremer Musikbranche“ vorantreiben.
Organisiert im Dachverband Music Women* Germany findet sich in fast jedem Bundesland eine entsprechende Initiative. Träger in Bremen ist der Verein Musikszene Bremen, in deren Vorstand Königschulte sitzt. Sie leitet das Projekt der Clubstudie. Das Geld dafür bekommt MusicHBwomen von der Initiative Musik vom Bund, auch der Bremische Kultursenator fördert mit.
Anke Königschulte, Projektleiterin Clubstudie
Mit dem Anschauen der Konzertprogramme ist es bei der Clubstudie nicht getan. „Besetzungen von Bands ändern sich ja auch mal. Wir wollen wissen, wer wirklich auf der Bühne stand.“ Außerdem wolle man erheben, ob auch nicht binäre Personen dabei waren. „Wir schauen uns Fotos und Videos an und fragen im Zweifel einfach nach.“
Der Initiative geht es um Vielfalt auf der Bühne. Königschulte spricht vom Recht auf Chancengleichheit. Dieses sei noch nicht verwirklicht, auch weil es an Vorbildern mangele. Es gehe nicht nur darum, dass Frauen auf Bühnen stehen – „sondern auch darum, dass andere das sehen und merken: Ich kann das auch.“
Mit einer Förderung von Frauen auf der Bühne wirke man auch dem „Buddy-Business“ entgegen, wie Königschulte das nennt. „Aufträge werden gern von Männern an Männer vergeben.“ Das Ziel ist ein Verhältnis von 50:50 auf der Bühne. „Es ist noch ein langer Weg“, sagt Königschulte. Aber mit der Studie lasse sich auf einer validen Datenbasis diskutieren. „Fakten sind überzeugend.“
Das weiß auch Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm. „Von einer gefühlten oder nur vage belegten Unterrepräsentanz von Frauen lässt sich nur schwerlich jemand überzeugen“, wird sie bei Instagram von der Initiative zitiert. „Daher sind diese Daten entscheidend.“
Laut Königschulte hat Hamburg die Daten schon erhoben: Erstmals für das Jahr 2022, inzwischen auch für 2023. Die Daten sollten sehr bald gemeinsam veröffentlicht werden, verspricht sie. Im kommenden Jahr wollen die Bremer*innen eine Studie anschließen, die Bremens Festivals wie Breminale und Überseefestival erfasst.
Parität in weiter Ferne
Das Überseefestival, organisiert vom Verein Musikszene, fand Ende August statt. Es habe sich selbst keine feste Quote gesetzt für die Auswahl der Künstler*innen, sagt Sabrina Bläß, die beim Booking mitgewirkt hatte. Aber einbezogen worden sei das Kriterium sehr wohl. „Es war uns auf jeden Fall ein Anliegen, auch FLINTA* Künstler*innen auf dem Überseefestival eine Bühne zu bieten.“
FLINTA* steht für Frauen, Lesben, inter, nicht binäre, trans und agender Menschen. Das sei aber herausfordernd, so Bläß: „Von den 482 Musiker*innen, die sich beworben haben, waren nur 78, also um die 16 Prozent, FLINTA*s.“ Ein Großteil davon seien Solokünstler*innen aus den Bereichen Folk, Pop oder Elektro gewesen. „Wir hatten die Sorge, dass diese ruhigeren Spielarten auf den beiden Hauptbühnen eher untergehen und haben daher zwei weitere Bühnen geschaffen.“
So gab es eine kleine Geheimbühne auf dem Festivalgelände und auf der Aftershow-Party am Freitag des Festivals traten ausschließlich FLINTA*-Acts auf. Daher sei man bei einer Quote von knapp 30 Prozent gelandet. Die Breminale, das große lokale Umsonst-und-draußen-Festival, das im Sommer an der Weser stattfindet, hat das 2023 getoppt. Von insgesamt 447 auftretenden Menschen waren nach Angaben der Organisator*innen 164 nicht männlich. Macht eine Quote von 37 Prozent. Bis zur Parität fehlt also noch ein ordentlicher Schritt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht