Ausstellung „Totentanz“ in Lübeck: Wenn der Schnitter kommt
Ein Dauerbrenner, unser irdisches Ende: Eine deutsch-finnische Ausstellung in Lübeck zeigt Variationen zum zerstörten „Totentanz“-Bild von 1464.
Ein universelles Thema der Menschen ist ihr irdisches Ende. Besiegt ist er nicht, der Tod, neue medizinische oder technische Entdeckungen sind nichts als Bemühungen, diesem Ziel näher zu kommen. Der große Wunsch nach der Überwindung des Todes zeigt sich nicht nur in der christlichen Spiritualität in der Erwartung eines Lebens danach – und sei es in der Hölle.
Doch erst mal müssen alle mit hinüber tanzen ins Jenseits, unabhängig vom gesellschaftlichen Rang, ob Superstar oder Obdachloser, ob Geistlicher oder Weltlicher.
Seit der „Schwarze Tod“, also die Pest, vor etwa 600 Jahren das Bewusstsein für die Unentrinnbarkeit geschärft hatte, verbreitete sich das groteske Motiv des künstlerischen Totentanzes, auch bekannt als „Makabertanz“, französisch: „Danse macabre“; in ganz Europa sind über 100 Beispiele bekannt. Bis dahin war eine populäre Darstellung des existenziellen Themas der gekreuzigte Jesus gewesen, zu seinen Füßen der Schädel Adams.
Der Papst geht zuerst
In Lübeck malte Bernt Notke 1463/64 eine der berühmtesten „Totentanz“-Versionen in die St. Marien-Kirche: Auf mehr als 30 Metern Lauflänge zeigen 24 lebensgroße Figuren und ein Text, in welcher Reihenfolge der Tod – dargestellt als Gerippe, in ein mehr oder weniger zerfetztes Tuch gehüllt – die verschiedenen Stände zum Tanz lädt, mithin abholt. Den Anfang machte bei Notke – der Papst.
1701 malte Anton Wortmann eine Neufassung mit einigen Korrekturen in der Hierarchie, entsprechend wohl sich wandelnder politischer Verhältnisse. So kam etwa der Bürgermeister jetzt ein wenig eher dran mit dem Sterben. Den Abschluss machte aber weiterhin das Mädchen, gefolgt nur noch von einem Kind in einer Wiege. Auch die Verse wurden aus dem Mittelniederdeutschen ins Hochdeutsche übersetzt.
Ein alliierter Bombenangriff am Palmsonntag 1942 verwandelte den Totentanz in Asche, heute erinnert an ihn noch ein von Alfred Mahlau gestaltetes Fenster in der Lübecker Marien-Kirche. Eine Replik von Notkes Arbeit ist in Teilen in Tallinn erhalten.
Das Totentanz-Thema aber lebt: In diesem langsam ausgehenden „Jahr des Todes“, wie es die Kuratorin und Künstlerin Heinke Both bezeichnet, gibt es nun eine neue künstlerische Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit, zugleich einen internationalen Austausch der Positionen zwischen Kunstschaffenden aus Lübeck und Finnland. Nicht am alten Ort, der Kirche. Dafür an zwei anderen Orten, der Galerie Artler in der Innenstadt und im „Kettenlager“ der Kulturwerft Gollan im Industrieromantischen Lübecker Hafengebiet.
Ausstellung „Totentanz“: bis 3. 11., Lübeck, Galerie Artler, Große Burgstraße 32; Kulturwerft Gollan/Kettenlager, Einsiedelstraße 6.
Begleitprogramm:
So, 27. 10., 16 Uhr (Gollan): Sven Simon liest aus „Ein Gang durch die Katakornben“ von Adalbert Stifter
Do, 31. 10., 16 Uhr (Artler): Filmvorführung „Der Tanz mit dem Tod“ von Eckhard Blach, anschließend Gespräch
Sa, 2. 11., 11 Uhr (Gollan): Ausstellungsführung mit Michaela Berning-Tournier und Jens Lange
So, 3. 11., 15 Uhr (Gollan): Finissage mit Horst Janssens Neujahrsrede 1986 in St. Marien zu Lübeck; ab 17 Uhr Ausklang mit Live-Musik
Zusammen ausgestellt werden jetzt Arbeiten der siebenköpfigen Artists Group „Immortal“ aus Finnland sowie von 18 Mitgliedern der „Gemeinschaft Lübecker Künstlerinnen und Künstler“. Das Alter der Beteiligten bewegt sich zwischen Ende 30 und 84 Jahren, ihre Ansätze sind divers, äußern sich in Malerei, Mosaik, Installation, Drucktechnik, Plastik, Videokunst und, ja: auch Tanz.
Angesichts der materiellen Diskrepanz – Müllrecycling statt Malerei – ist etwa eine Serie von Stephan Schlippe strukturell überraschend nah an Notkes Original-Werk: Die Reihenfolge zu Stühlen umgebogenen Sektverschlüsse entspricht grob dessen Stände-Reigen. „Die silbernen sind die Toten“, erläutert der Lübecker Mit-Kurator sein Werk. Heinke Both lässt Stoff- und Papiertaschentücher erstarren, indem sie sie in Gips tränkt. Sind da nicht noch tödliche Viren drin? Gleicht der Faltenwurf nicht den Leinentüchern des Schnitters, also den Leichentüchern?
Ambivalenz wohnt dem Selbstportrait von Sebastian Schröder inne, der sich als Heiliger Sebastian zeigt. Mit Abstand hat es die Anmutung eines Renaissance-Gemäldes, mit Attributen wie dem schwarzweißen Schachbrettboden, dunklen Hintergrund und einem Heiligenschein. Bei näherem Hinsehen offenbaren sich eine billige Papierrosette, ein Ficus Benjamini im Kunststofftopf und der Tanzboden der Disco „Ziegelei“ in Groß Weeden, wo das Bild entstand. Und wir sehen, dass sich der junge Mann eine Spritze gibt.
Zur Gruppe Immortals, deren Kernthema der Tod ist, gehören Ulla Remes, Anna-Maija Rissanen, Susanne Stiegler, Jouko Alapartanen, Tuomas Korkalo, Olavi Fellmann. Gegründet haben sie sich 2017, die Inspiration zur jenseitigen Materie kam von dem Sammler und Kunsthistoriker Paul Firnhaber, damals selbst Mitglied der „Unsterblichen“.
Schwarze Löcher in der Wiese
Der Maler Mika Vesalahti reflektiert den Tod nun in einer Petersburger Hängung von über 200 kleinen Zeichnungen, Collagen und Foto-Übermalungen. Da lassen sich neben dem vorherrschenden ikonischen Motiv des Schädels auch andere Darstellungen des Verschwindens entdecken, zum Beispiel schwarze Löcher in der Wiese. Wichtig sind die Rahmen: Ironisch kommentieren sie den Inhalt, kitschig trifft auf böse, harmlos auf brutal. Wir erschauern und haben gleichzeitig Spaß. Lachen hat sich bewährt beim Blick aufs Ende.
Susanne Stiegler wiederum parodiert Hostien: von glitzerndem Tand umhüllte Körperteile angeblicher Heiliger. Diese Arbeiten wurden in Eile nach Lübeck gebracht, aus dem polnischen Krakau kommend, aus einer Ausstellung, die abgesagt wurde. Dass das wegen des Vorwurfs der Blasphemie geschah, wäre wunderbar stimmig, der Grund aber war ein viel profanerer: ein Wasserschaden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!