Ausstellung über Waren und Kirche: Glaubst du noch oder kaufst du schon?
In Lübeck konfrontiert Christian Jankowski mit der Kunstaktion „Heilige Geschäfte“ Warenwelt und kirchlichen Wahrheitsanspruch.
Die Silhouetten der sieben Lübecker Kirchtürme werden in Tourismus und Warenwerbung genutzt. Und die Kaufleute der einst reichsten Stadt der Hanse haben die Kirchen des Weltkulturerbes finanziert. Warum nicht Kirche, Kommerz und Kunst wieder näher zusammenbringen? So kam der Berliner Konzeptkünstler Christian Jankowski zu seinem Projekt „Heilige Geschäfte“.
Der 1968 geborene Multikünstler-Kurator liebt es, unterschiedliche soziale Bereiche in Kontakt zu bringen, ja zu konfrontieren. Er verband schon indigene Jagd und Supermärkte, Zahnarztpraxen und Kunst, Gewichthebervereine und Ehrendenkmäler, TV-Wahrsagerinnen und die Biennale di Venezia. Jetzt haben sich nach weit über einjährigen Bemühungen vier der Kirchen der Stadt seinem konzeptuellen Projekt geöffnet. Und so kommen die mehr oder weniger heiligen Hallen und der gewöhnliche Kommerz sogar noch näher zusammen als einst im Mittelalter.
Vielleicht auch, weil die traditionsreiche und sehr aktive Overbeck-Gesellschaft schon länger für Kunstausstellungen mit der Kirche St. Petri kooperiert, gibt es als ersten Teil des Projekts im Kunstverein in Videos zu verfolgen, wie eine reformierte Pastorin und vier evangelische Pastoren im traditionellen schwarzen Talar mit der norddeutschen historischen weißen Halskrause im Lebensmittelladen, in Möbel-, Mode oder Elektronikgeschäften oder in einer lichtblitzenden Diskothek auf wohlformulierte Gottsuche gehen. Pastoren im Alltag und Alltag in der Kirche: Jankowski agiert als Agent der gedankenöffnenden Kombinationen – als ein Künstler an der sozialen Plastik.
Verkaufsfilialen in den Kirchen
Jankowskis künstlerischer Werkbegriff schließt die lange Vorbereitungsphase mit vielen kontroversen Gesprächen mit ein. Einige Pastoren und Kirchengemeinden lehnten das Ansinnen Jankowskis ab, hielten es für provokant, ja für blasphemisch. Nun ist eine evangelische Kirche zwar nur ein Versammlungsort und nicht per se heilig, wie manche meinen. Doch die in der altehrwürdigen Ratskirche St. Marien, der ältesten und größten Backsteinbasilika der Hanse geplante „Churchnight“-Disco mit allem, was musikalisch und technisch möglich ist, samt Referenz auf den berühmten historischen Totentanz, konnte nicht stattfinden. Andererseits war auch manchen Firmen die Verbindung mit der christlichen Kirche suspekt. Andere aber ließen sich durch die Neukontextualisierung begeistern.
Da der Berufsstand der Prediger eine profunde rhetorische Schulung erhält, fällt es den Pastoren nicht schwer, zu Weintrauben oder zum ekstatisch-spiritualisierenden Tanz direkte Bibelbezüge zu finden. So ist vor vollen Gemüseregalen zu hören: „Alle können besser leben, wenn alle genug zu essen haben.“ Zu teuren Möbeln gibt es Gedanken darüber, dass auch das Schöne nicht ewig sei, welches besondere Möbel die alttestamentarische Bundeslade gewesen sei und wie und wo Gott wohne.
Anhand von Kleidung, die eigene Tracht inbegriffen, kann über den „Äußeren und den inneren Schein“ nachgedacht werden und besonders einleuchtend zum quasireligiösen Fetisch Smartphone Martin Luther zitiert werden: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ Es hat etwas Irritierendes, dass es in diesem Kunstprojekt Pastoren sind, die im „falschen“ Umfeld den realen Dingen ihre symbolische Bedeutungen erschließen, etwas was ansonsten eher eine Funktion der Künstler ist.
Der zweite Teil des Projekts interveniert direkt in den religiösen und wirtschaftlichen Alltag: Vier Lübecker Firmen eröffnen für 14 Tage Verkaufsfilialen in den Kirchen. In der klassizistischen reformierten Kirche trifft das rituelle Abendmahl auf das faktische Lebensmittelsonderangebot des Genossenschaftsladens „Landwege“. Der quasireligiöse ökologische Glaube an regionale und biologische Produktionsweise und die systemtranszendierende Organisation der Produzenten und Verbraucher beteiligenden Gemeinschaft wird vergleichbar mit dem besonders ausgeprägten ökonomischen Pragmatismus der reformierten Glaubenslehre.
Auch, dass der ansonsten stets nahezu völlig leere weiße gotische Hallenraum der St.-Petri-Kirche in eine Sitzlandschaft aus hellen skandinavischen Designermöbeln verwandelt wurde, passt ähnlich gut zum Selbstverständnis der gemeindelosen Universitätskirche. Deren erklärtes Ziel ist es, neue diskursive Arten religiöser Aktions- und Verbildlichungsformen zu finden.
In der vom Krieg verschonten Pilger- und Seefahrerkirche St. Jacobi bietet die Telekommunikations- und HiFi-Branche aktuelle Varianten zur traditionell von Engeln geleisteten Kommunikation. Und ja: 25.000 Euro für ein zweifelsfrei qualitätsvolles Lautsprecherpaar haben dann auch etwas himmlisch Abgehobenes.
Bei der Eröffnung vor dem schwarz-weißen Barockaltar und den mittelalterlichen Wandmalereien in der über 800 Jahre alten Kirche, nach A-capella-Gesang und unter dem machtvollen Klang einer der bedeutenden historischen Orgeln Norddeutschlands, nach Predigt und weiteren ritualisierten Traditionen, hieß der Pfarrer auch die Kunstaktion willkommen – ein leichtes Gefühl der Überlegenheit der eigenen künstlerischen Inszenierungen war dabei durchaus zu spüren. Doch die Pracht lübscher Kirchen bezahlte einst der Handel und er repräsentierte dabei durchaus auch sich selbst. Zwar jagte Jesus die Händler aus dem Tempel, die Kirche aber machte und macht immer Geschäfte, heute gibt es zwar keinen Ablasshandel, allerdings mindestens einen kleinen Shop – nicht nur mit Devotionalien.
Die Metaphysik ist längst nicht mehr in den Kirchen eingesperrt und der Kapitalismus hat weitgehend sakrale Züge angenommen. In Jankowskis Projekt ist allen gemeinsam, dass sie an ihre Sache glauben und andere überzeugen wollen, ob als Verkäufer oder Pastorin. Das in einem Raum zusammengebrachte Handeln, sei es persönlicher, ökonomischer oder symbolischer Art, wird für die Beteiligten zur Performance. Sie alle geraten in fluktuierende Kontexte, sind zugleich Gemeindemitglieder, Kunden und Teil der Kunst. Auch die Dinge können ihre Bedeutung verändern: Wäre ein in der Kirche gekauftes Objekt vielleicht mehr als ein Markenfetisch, irgendwie besser, wenn schon keine Reliquie, möglicherweise ein nun künstlerisch geadeltes Multiple samt blauwolkigem Einkaufsbeutel, der „Himmlische Geschäfte“ attestiert?
Leser*innenkommentare
Alex_der_Wunderer
...in Zeiten des Neoliberalismus wäre es doch sehr " Kunstvoll " die Kirchen zu heizen, mit Lebensmitteln auszustatten und den Obdachlosen zur Verfügung zu stellen damit diese nicht erfrieren müssen....