piwik no script img

Altenheim-KostenWenn Pflege zum Luxus wird

Ein Platz in einem Pflegeheim kostet im Schnitt mehr als 3.000 Euro monatlich. Für viele Se­nio­r*in­nen und ihre Angehörigen ist das nicht zu stemmen.

Bett, Nachttisch, Mondpreis Foto: Stefanie Loos

Berlin taz | Die Partnerin von Alfred Bouß ist schwer dement. Jahrelang hat der 72-Jährige sie zu Hause selbst gepflegt – bis es nicht mehr ging. „Ich konnte sie nicht mehr alleine lassen, hätte ich nicht ständig aufgepasst, wäre sie gestorben. Ich hatte kein eigenes Leben mehr“, erzählt Bouß. Als die Belastung zu groß wurde und schließlich seine eigene Gesundheit dadurch beeinträchtigt wurde, versuchte er, sie in einem Pflegeheim unterzubringen.

Von fünf Einrichtungen habe er Absagen bekommen, weil seine Partnerin zu krank sei, erzählt Bouß. Denn wie viele dementkranke Menschen büchste die 72-Jährige auch schon mal aus, zweimal habe deswegen schon die Polizei gerufen werden müssen. Die Erleichterung war also groß, als er einen freien Platz im Seniorenheim „Haus Sonne“ in Lichterfelde fand.

„Das Haus ist sehr schön und hell und hat einen großen Garten“, erzählt Bouß. Das hat auch seinen Preis: Mehr als 3.100 Euro Eigenanteil kostete der Platz – pro Monat. Seit anderthalb Jahren lebt seine Partnerin nun dort.

Doch dann kam der Schock: 800 Euro mehr soll Bouß künftig bezahlen, also insgesamt 3.900 Euro. Bei anderen Be­woh­ne­r*in­nen ist es sogar noch mehr: Um bis zu 1.033 Euro wurden die monatlichen Kosten für das Pflegeheim erhöht, wie der Betreiber auf taz-Anfrage mitteilt.

Anstieg um 77 Prozent

Viele Be­woh­ne­r*in­nen beziehungsweise ihre Angehörige stellt das vor große Probleme. Alfred Bouß wollte das nicht hinnehmen und widersprach der Erhöhung.

Bislang mit Erfolg: Für den Monat Oktober sei ihm noch der alte Betrag in Rechnung gestellt worden, sagt er. Eine endgültige Entscheidung über die Preiserhöhung steht noch aus, denn die Kostenträger, also die Pflegekasse AOK und das Land Berlin, müssen noch zustimmen.

Denn die Pflegeversicherung bezahlt nur einen Grundbetrag, von den Krankenkassen gibt es noch eine Pauschale, und den Rest müssen die Be­woh­ne­r*in­nen beziehungsweise ihre Angehörigen stemmen – oder der Staat über die Sozialhilfe.

Und diese Zuzahlungen sind nicht gerade wenig – und werden immer mehr: Laut einer Erhebung der AOK lag der Eigenanteil im Jahr 2017 bundesweit noch bei 1.752 Euro. Im Juni dieses Jahres waren es satte 3.099 Euro – ein Anstieg um rund 77 Prozent.

Steigende Kosten werden weitergegeben

Berlin liegt dabei mit durchschnittlich 3.146 Euro über dem Bundesdurchschnitt auf Platz fünf. Am teuersten ist es im Saarland mit 3.608 Euro, am „günstigsten“ in Sachsen-Anhalt mit 2.602 Euro.

Als Grund für die steigenden Kosten geben die Betreiber allgemeine Preissteigerungen an, während die Leistungen von der Pflegekasse stagnierten. Auch der Betreiber vom Haus Sonne verweist auf Mehrkosten in den Bereichen Personal, Energie und Lebensmittel.

„Die Eigenanteilserhöhung liegt im Rahmen des Branchenüblichen“ und sei mit Blick auf die ausgebliebenen Pflegesatzerhöhungen im vergangenen Jahr „unvermeidbar“, so ein Unternehmenssprecher zur taz.

Für Pascal Bading von der Verbraucherzentrale Berlin ist die Erhöhung allerdings „außergewöhnlich hoch“. Er fordert, dass die Betroffenen oder ihre Angehörigen bei den Verhandlungen um Pflegesatzerhöhungen als Vertragspartner mit am Tisch sitzen.

Pflegereform lässt auf sich warten

Denn für viele sind solche Summen nicht zu stemmen. „Mit einer normalen Rente ist das nicht bezahlbar“, sagt die ehemalige Sozialsenatorin Elke Breitenbach, Sprecherin für Pflege bei der Linksfraktion, zur taz. Zumal die Kosten weiter steigen dürften: „Pflegeheime haben einen enormen Investitionsbedarf, vor allem wenn man an den Hitzeschutz denkt“, so Breitenbach mit Blick auf den Klimawandel.

Sie fordert, dass künftig die Länder die Investitionskosten tragen – und nicht die Angehörigen. Zumal die Staatskasse ohnehin belastet werde, denn wer sich die Heimkosten nicht leisten kann, muss Sozialhilfe beantragen. Im Schnitt liegen die Investitionskosten in Berlin derzeit bei 402 Euro. Im Fall des Pflegeheims in Lichterfelde sind es sogar 1.521 Euro pro Monat – das sind 50 Euro pro Tag.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat angesichts der gestiegenen Pflegekosten angekündigt, zeitnah einen Vorschlag für eine Pflegereform vorzulegen. Breitenbach hat bereits einen konkreten Vorschlag: Eine solidarische Pflegeversicherung, in die alle einzahlen. Denn Be­am­t*in­nen müssen derzeit nicht in die gesetzliche Pflegeversicherung einzahlen.

Bedarf wächst, doch Einrichtungen müssen schließen

Laut Senatsgesundheitsverwaltung gibt es in Berlin insgesamt rund 186.000 Pflegebedürftige. Davon werden etwa 15 Prozent in einem Pflegeheim betreut. Gut die Hälfte wird zu Hause durch Angehörige gepflegt, ein weiteres knappes Viertel mit Unterstützung durch ambulante Pflege- und Betreuungsdienste. Laut Prognosen wird die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 auf rund 205.000 ansteigen.

Doch statt mehr Plätze in Pflegeheimen werden es weniger: So mussten im vergangenen Jahr in Berlin 13 Einrichtungen schließen. Häufige Ursachen dafür sind laut Senatsgesundheitsverwaltung Personalmangel, auslaufende Mietverträge oder Umwidmungen in andere Wohnformen.

Pflegebedürftigkeit wird durch die steigenden Eigenanteile zunehmend zum Armutsrisiko

Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD)

Der Berliner Senat setzt hier auf eine Verstärkung der Ausbildung in den Pflegeberufen sowie auf eine einfachere Anerkennung von Fachkräften mit ausländischem Abschluss. Außerdem setze man sich auf Bundesebene dafür ein, dass die Ausbildungskosten nicht mehr von den Pflegebedürftigen getragen werden müssen, sondern aus der Umlage herausgenommen werden, so ein Sprecher der Gesundheitsverwaltung zur taz. „Pflegebedürftigkeit wird durch die steigenden Eigenanteile zunehmend zum Armutsrisiko“, so Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Jetzt ist die Lücke zwischen Durchschnittsrente und durchschnittlichen Pflegekosten so groß, dass eigentlich sofortiger Handlungsbedarf besteht. Da die theoretische gesetzliche Höchstrente von knapp 3.400€* jetzt noch nicht mal für den im Beispiel genannten Pflegesatz reicht ist hier doch bezüglich des Sozialsystems die Systemfrage zu stellen.

    *)www.mainpost.de/im...10-24-art-11193248

    www.merkur.de/lebe...g-zr-92582765.html

  • Das Problem ist ein solidarisch finanziertes, aber kapitalistisch organisiertes System. Hier wird im großen Stil Geld abgegriffen.



    Die Durchschnittsrente liegt unter 1000€. Der Durchschnittspflegeplatz kostett über 3000€. Wer erkennt den Fehler? Wer was hat, der muss das verbrauchen und dann schießt der Staat zu - im Schnitt, wie wir sehen, 2000€. Die Betreiber freuen sich.

    Das ganze System ist krank. Und es wird zusammenbrechen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann dem Staat das Geld ausgeht und wir unsere Angehörigen wieder selber pflegen.



    Aber das Geld ist ja nicht weg. Es haben dann nur andere.

    • @Herr Lich:

      wann dem Staat das Geld ausgeht und wir unsere Angehörigen wieder selber pflegen.

      Fragt sich nur, ob das besser für die Angehörigen ist. Heute sollen und müssen alle arbeiten, möglichst vollzeitnah. Für die Lebenshaltungskosten für sich und Kinder, für die Miete/das Wohneigentum, für die eigene Altervorsorge. Die wenigsten können es sich leisten, länger unbezahlt oder für ein bisserl Pflegegeld aus dem Job auszusteigen. Dem Pflegebedürftigen drohen in der häuslichen Pflege also Ruhigstellung, Eingesperrtsein im Pflegezimmer, XLiter Windeln, Einsamkeit und TV Marathon. Jedenfalls mindestens solange die betroffenen Angehörigen beruflich unterwegs sein müssen. Und nach dem Job dürften die wenigsten noch viel Kraft für den Pflegebedürftigen haben, da warten Kinder, Haushalt usw. Und schlafen muss man auch noch. Wer soll sich da also tatsächlich kümmern. Ich meine, realistisch.

      • @Carolin Rudolf:

        Wie haben das die Leute nur vor 100 Jahren geschafft?

        Und natürlich meine ich hier nicht Personen die künstliche Beatmung oder sowas brauchen.

        Die meiste Pflege ist keine 100% Beschäftigung. Man kann und sollte sich da reinteilen. Ich spreche aus Erfahrung.

        Ein weiterer Punkt - der durchschnittliche Aufenthalt im Pflegeheim liegt unter 6 Monaten. Das ist nicht viel Zeit bezogen auf ein ganzes Leben.

        Und noch ein Punkt - Pflegedienste kommen auch nach Hause für Dinge die man selber nicht machen kann oder will.

        Und ein letzter Punkt: "Ruhigstellung, Eingesperrtsein im Pflegezimmer, XLiter Windeln, Einsamkeit und TV Marathon" - das beschreibt genau meine Erfahrungen mit Pflegeheimen ...

        Aber vielleicht haben sie ja andere Erfahrungen gemacht. Das fände ich gut.