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Kunst gegen Frauenverachtung„Wir wollen Momente der Unentrinnbarkeit schaffen“

Die Künstlerin Sarah Held bekämpft das Patriarchat mit Performances und Handarbeit. Ein Gespräch über Aktionskunst, Femizide und rechtes Denken.

Sarah Held macht mit ihrer Kunst sexualisierte Gewalt und Femizide im öffentlichen Raum sichtbar Foto: Joanna Pianka
Interview von Katharina Federl

taz: Frau Held, gemeinsam mit Ihrem Kollektiv „Aufstand der Schwestern“ machen Sie sexualisierte Gewalt und Femizide – geschlechtsspezifische Tötungen von Frauen, etwa durch ihre Ex-Partner – im öffentlichen Raum sichtbar. Welche Rolle spielen traditionelle Handarbeitstechniken wie Sticken oder Stricken dabei?

Sarah Held: Wir beschränken uns nicht auf bestimmte Handarbeitspraxen, aber verschiedene Stoffe und ihre Verarbeitung spielen in unseren Performances eine tragende Rolle. Wir machen Kostümbild und Requisiten selbst und verwenden textile Materialien für unsere Aktionskunst.

taz: Wie sieht Ihre Aktionskunst konkret aus?

Held: Bei unserer ersten Performance „Pinker Kreuzzug gegen Femizide“ haben wir beispielsweise ein riesiges pinkes Holzkreuz zu zweit durch Wien getragen, gefolgt von einer schwarz gekleideten Trauergemeinde. Vor dem Parlament haben wir eine Soundcollage mit eingesprochenen Todeszeitpunkten der ermordeten Frauen und Samples aus problematischen Medienaussagen über Femizide abgespielt.

Im Interview: Sarah Held

Die promovierte Kulturwissenschaftlerin und Künstlerin lebt in Wien. Aktuell ist sie Vize-Projektleitung des Forschungsprojekts „Mode und Rechtsextremismus“. Mit dem „Aufstand der Schwestern“ macht sie Aktionskunst gegen Femizide – im öffentlichen Raum, aber auch im Rahmen der documenta fifteen.

Zu jedem Femizid haben wir große Dachnägel ins Kreuz geschlagen. Auch haben wir an unserem Wohnort Wien Geländer, Fußballkäfige und Zäune an besonders befahrenen Straßen oder viel besuchten Orten mit pinkem Stoff umspannt. Die Schriftzüge, die dort entstanden sind, zählen die Femizide in Österreich.

taz: Sie arbeiten viel mit Stoffen im öffentlichen Raum, wollen aber mit Bewegungen wie dem Yarn Bombing oder Guerilla Knitting nichts zu tun haben. Wieso?

Held: Weil Yarn Bombing eher einem Dekorationsbedürfnis folgt, als gesellschaftliche Probleme wirklich zu thematisieren. Statt spießiger Klorollen zu Hause wird jetzt halt die Straßenlaterne mit Strick umwickelt, um den kalten öffentlichen Raum nett und gemütlich zu machen. Wir nutzen Kunst als Widerstandspraxis. Uns geht es darum, Momente der Unentrinnbarkeit zu schaffen, also Momente, denen Menschen sich nur schwer entziehen können.

Die Wut, die ich auf sexistische, rassistische und faschistische gesellschaftliche Verhältnisse habe, kann ich in unseren Performances bündeln. Wir wollen feministische Wut ungehemmt ausleben können, andere mitreißen und uns damit selbst ermächtigen. Das tut gut.

wochentaz

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taz: Sie beschäftigen sich nicht nur aus künstlerischer, sondern auch aus wissenschaftlicher Perspektive mit dem Thema. Ihre Doktorarbeit schrieben Sie über die „Materialität des feministischen Widerstands“. Wie sieht die aus?

Held: In meiner Dissertation habe ich mich stark auf Widerstandspraxen durch feministisch-aktivistisches Crafting fokussiert. Die Kollektive, die ich untersucht habe, wollen Betroffene sexualisierter Gewalt sichtbar machen, sie gehen aber noch darüber hinaus. Auch hier geht es um das Gefühl der Selbstermächtigung, das ich eben schon erwähnt habe.

In den Kultur- und Sozialwissenschaften verwenden wir auch den Begriff agency, auf deutsch Handlungsmacht. Das bedeutet, auf gegebene Umstände nicht nur zu reagieren, sondern auf sich selbst und andere durch bestimmte Aktionen tatsächlich Einfluss nehmen zu können.

taz: Inwiefern kann Kunst bestimmte gesellschaftliche Machtverhältnisse verändern? Können Sie Beispiele nennen?

Held: Ich habe das „Monument Quilt Projekt“ aus den USA untersucht. Hier wird die traditionelle Handwerkskunst des Quiltens für politische Botschaften von Betroffenen sexualisierter Gewalt benutzt. Quilten bedeutet, mehrere Stoffschichten zusammenzunähen und daraus überdimensionierte Bilddecken herzustellen. Die werden dann im öffentlichen Raum ausgelegt, um Räume für Heilung zu schaffen und Betroffene zu supporten. In Chile habe ich mich zum Beispiel mit der queeren Männerstrickgruppe Hombres Tejedores getroffen.

Sie wollen das machistische Männerbild von harten Dudes konterkarieren. Viele der Männer arbeiten auch im Bildungsbereich und geben ihr Wissen an ihre Schüler weiter. Das finde ich eine tolle Form einer progressiven, zeitgenössischen Männlichkeit und ganz im feministischen Leitspruch educate your sons. Sozialisation spielt eine große Rolle beim Überwinden von Traditionalismus und Konservatismus.

taz: Speaking of Konservatismus: Seit einiger Zeit trenden auf Instagram und Tiktok Videos sogenannter Tradwives – kurz für Traditional Wives – und Stay-at-home Girlfriends. Sie präsentieren ein konservatives Familienbild, bei dem die Frau zu Hause bleibt, kocht, den Haushalt macht und eben auch klassische Handarbeitstechniken besetzt. Müssen wir einen Backlash zum Heimchen am Herd befürchten?

Held: Die Tradwives sind nur eine Social-Media-Fortsetzung von einem Phänomen, das ich und andere Wis­sen­schaft­le­r:in­nen schon in den Nullerjahren beobachtet haben. Damals hieß das New Domesticity. Ich halte diese Trends, egal wie sie gerade genannt werden, für sehr gefährlich. Die Tradwives verfolgen klassische faschistische Ideen von Heimat und Geschlechterrollen, sehen Frauen ausschließlich als Kinderversorgerin, Haushälterin und Köchin und romantisieren Care-Arbeit. In einer Welt, die immer weiter in den Rechtsextremismus kippt, passt das natürlich super ins Narrativ und wird auch politisch befördert.

taz: Sie leben in einem Land, in dem eine offen rechtspopulistische Partei die Parlamentswahlen gewonnen hat. Gleichzeitig ist in Österreich von einer „eklatant hohen Femizidzahl“ die Rede.

Held: Je verbreiteter rechte und auch konservative Einstellungen sind, desto gefährlicher wird die Lebenssituation von Frauen und queeren Menschen. Die Politik, aber auch Medien- und Kulturproduktionen tragen zu stereotypen sexistischen Geschlechterbildern bei.

Das sind keine Alleinstellungsmerkmale für Österreich, das ist leider internationale Praxis. Hierzulande gibt es nur eine starke Konzentration, auch wegen der geografischen Lage: Österreich ist durchzogen von Bergen und Tälern und viele Orte waren und sind bis heute immer noch recht isoliert. Mancherorts werden Frauen mit einer sogenannten Herdprämie – ja, die nennen das wirklich so – dafür bezahlt, zu Hause zu bleiben.

taz: Wie reagieren Sie auf den Wahlsieg der FPÖ, sind da schon Aktionen geplant?

Held: Es ist eine Mischung aus erfüllter Erwartungsbefürchtung und dem Gefühl, gegen eine Wand zu laufen. In Österreich regieren rechte und rechtsextreme Parteien schon sehr lange mit, ich bin sehr pessimistisch, was die kommende Legislaturperiode angeht. Mit dem „Aufstand der Schwestern“ planen wir dazu auch Störungsaktionen. An der Akademie der bildenden Künste in Wien co-leite ich in diesem Semester ein Forschungsprojekt zu Mode und Rechtsextremismus. Es bleibt auf allen Ebenen widerständig!

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