Bundestag debattiert zum 7. Oktober: Kanzlerduell statt Gedenken

Statt zu gedenken, nutzt der Bundestag die Debatte zum 7. Oktober für Parteipolitik. Kanzler Scholz kündigt dabei Waffenlieferungen an Israel an.

Abgeordnete in Schwarz bei einer Schweigeminute

Schweigeminute für die Opfer des Hamas Angriffes in Israel im Deutschen Bundestag Foto: Ebrahin Noroozi/ap

Berlin taz | Der Bundestag debattierte am Donnerstagmorgen über den Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023. Als Gedenkveranstaltung begonnen, ging es schnell um Grundsatzfragen und die Folgen des nun ein Jahr andauernden Krieges.

Anlass der Debatte war das Gedenken an die getöteten 1.139 Menschen in Israel und die noch mehr als hundert Geiseln. Gleichzeitig wurde schnell klar, dass einige Abgeordnete dieses Forum für einen Kampf um die Deutungshoheit im Nahostkomplex nutzten. So wurden die sogenannten Pro-Palästina-Demonstrationen oft pauschal als antisemitisch bezeichnet, oder ersatzweise als antiisraelisch.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und andere benannten das Leid der palästinensischen und nun auch libanesischen Zivilbevölkerung. Sie bezeichnete es als Dilemma, wenn zivile Gebäude durch Israel zerstört würden und dadurch Zi­vi­lis­t:in­nen getötet werden. Nicht wenige Abgeordnete argumentierten, dass die Hamas die Bevölkerung als menschliche Schutzschilde missbrauche.

So wies etwa Außenministerin Annalena Baerbock darauf hin, dass zivile Gebäude ihren Schutzstatus laut Völkerrecht verlieren können, wenn sie militärisch genutzt werden. In vielen Fällen zerstörter Infrastruktur mit zivilen Toten gibt es dafür aber bislang keine Belege. Wiederholt mahnte sie dazu, in der Debatte um Israels Krieg die Differenzierung nicht außer Acht zu lassen. “‚Nie wieder‘ heiße, jeden Tag das Richtige zu tun und nicht das Leichte.“

Schuld haben laut Merz Linke und muslimische Flüchtlinge

CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz sprach über den gestiegenen Antisemitismus. Jüdische Einrichtungen stünden allesamt unter Polizeischutz. Mal mehr, mal weniger deutlich machte Merz klar, wer für ihn die Schuldigen sind: So würde man sich als Jude in Gefahr für Leib und Leben begeben, wenn man in der Turmstraße in Berlin-Moabit eine Kippah aufsetze. Ein Stadtteil mit einem hohen Anteil muslimischer Anwohner:innen.

Merz betonte, alle Menschen in Deutschland hätten Anspruch auf das Schutzversprechen des deutschen Staates – seien es Jüd:innen, Muslim:innen, Chris­t:in­nen oder Atheist:innen. Aber: „Antisemitismus ist kein rechtsradikales Phänomen allein“, sagte der CDU-Chef. Der Antisemitismus in Deutschland würde zunehmend gestärkt „vom Denken einer globalen Linken auf der einen Seite und einer in ihren Herkunftsstaaten antisemitisch ausgerichteten Gesellschaft auf der anderen Seite“.

Dann holte er zum Schlag gegen die Ampelregierung aus. Ein wesentlicher Beitrag zur Begrenzung des Antisemitismus sei aus seiner Sicht „der Stopp der ungehinderten Masseneinwanderung“, vor allem von jungen Männern aus dem arabischen Raum, die hier keinen Schutzstatus hätten. Noch bevor Merz diesen Satz beendet hatte, ertönten empörte Rufe aus allen Fraktionen links der Union. Die AfD nahm diese Steilvorlage später dankend auf und verwies auf die in Teilen liberalere Asylpolitik unter der CDU-Kanzlerin Angela Merkel.

Merz sprach sich zwar für eine Zwei-Staaten-Lösung aus, bezeichnete die von Israel illegal besetzen palästinensischen Gebiete aber als „umstritten“. Auch sagte er, dass Deutschlands Solidarität mit Israel keine Risse bekommen dürfe, wenn es „das Notwendige“ tue, um „seine Sicherheit wiederherzustellen“. Er sehe jedoch Risse, an denen die Bundesregierung Schuld sei, etwa durch Deutschlands Enthaltung bei der UN-Resolution zu Gaza Ende Oktober 2023, oder die aktuelle Unklarheit um Rüstungslieferungen an Israel.

So würden sich bei der Union Unternehmen melden, deren Ausfuhranträge seit Monaten nicht durch die Bundesregierung bearbeitet würden. Das interpretierte der Kanzlerkandidat als Verweigerung der Ampel-Regierung. „Was sind Ihre Solidaritätsbekundungen eigentlich wert?“, fragte er Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Menschenrechtsverletzungen durch das israelische Militär sprach er nicht an.

Scholz: Deutschland wird wieder Waffen liefern

Dann ergriff Bundeskanzler Scholz selbst das Wort: „Wir haben Waffen geliefert und wir werden Waffen liefern“, sagte er. Er wolle die Geheimnisvorschriften des Bundessicherheitsrates zwar nicht verletzen, „aber wir haben Entscheidungen getroffen in der Regierung, die sicherstellen, dass es demnächst weitere Lieferungen geben wird“. Dafür gab es lauten Applaus aus Reihen der SPD.

BSW-Abgeordnete Sevim Dağdelen ist an dem Morgen eine der wenigen, die sich für einen Stopp von Waffenlieferungen aussprechen. Das BSW verurteile den Hamas-Angriff als Terrorangriff. Israel habe das Recht auf Selbstverteidigung, unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit. Davon könne aber „keine Rede sein“, sagte sie, die mehr als 40.000 durch Israel getöteten Menschen in Gaza erwähnend.

Dağdelen erwähnte auch das Verfahren gegen Israel wegen des Verdachts auf Völkermord am Internationalen Gerichtshof (IGH) sowie das gegen Deutschland wegen des Verdachts der Beihilfe. „Mit Ihrer Ankündigung jetzt gerade, Herr Bundeskanzler Scholz, erneut Waffen liefern zu wollen nach Israel, setzen sie Deutschland wieder mit auf die Anklagebank des IGH“, sagte sie.

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