piwik no script img

Netzwerkveranstaltung der PornoindustrieFetisch-Party ohne die EU

Erstmals sollte ein EU-Vertreter offiziell mit der Pornoindustrie sprechen. Seine Absage verstärkt ihr Gefühl mangelnden Respekts seitens der Politik.

Wird die Industrie von politischen Ent­schei­dungs­trä­ge­r weiterhin respektlos behandelt, wehrt sie sich mit Latex-Peitschen Foto: Christian Charisius/dpa

Berlin taz | Es ist eine Business-to-Business-Veranstaltung der unüblichen Sorte: Zwischen Zimtschnecken und Pizzen fliegen Sticker mit BDSM-Motiven, Menschen mit Augenbinden, Lederbällen im Mund und Peitschen in der Hand herum. „Würg mich!“, oder „Yes, Mistress!“ steht darauf. Kronleuchter und eine Discokugel schmücken den Raum, an dem sich am Dienstagmittag rund 80 Menschen versammeln.

Es ist die Adult Industry Only (AIO), die Netzwerkveranstaltung für die Pornoindustrie, die in der Forum Factory in Kreuzberg diese Szenerie bietet. Zwei Tage lang werden hier Workshops und Panels zu ethischen Standards, Produktion und politischen Themen angeboten. Die Veranstaltung findet im Rahmen des Pornfilmfestival Berlin (PFFB) statt, das seit 2006 jährlich Filme rund um die Themen Sexualität, Politik, Genderdiversität, Post-Porn und Body Politics präsentiert. Vom 21. bis 27. Oktober werden diese in den Kinos Moviemento und Babylon Kreuzberg ausgestrahlt.

Der Titel des Panels, mit dem die AIO eröffnet wird, lautet: „Die Zukunft des Erwachsenensektors: neues Recht, neue Technik, neue Stimmen“. Doch eines fehlt: die neue Stimme – Prabhat Agarwal, Leiter des Teams der Europäischen Kommission für Online-Plattform-Regulierung. Dieser sagte kurzfristig ab. Es sei etwas dazwischengekommen.

„Ich bin zwar enttäuscht“, sagt Paulita Pappel, die Moderatorin des Panels und Programmkoordinatorin des PFFB, dazu. Überrascht sei sie jedoch nicht. „Es ist nicht das erste Mal, dass politische Ent­schei­dungs­trä­ge­r*in­nen eine Gelegenheit ablehnen, mit der Industrie zu sprechen“, kritisiert Pappel. Noch nie ist ein Abgesandter der Europäischen Kommission offiziell zu einer Veranstaltung innerhalb der Porno-Industrie gekommen.

Offener Brief gegen die Teilnahme des EU-Abgesandten

Zuvor hatte eine Frauenrechtsorganisation in einem offenen Brief deutlich gemacht, dass sie das Engagement der EU-Kommission für eine Industrie ablehne, „die grundlegend in der Kommerzialisierung und Objektivierung von Frauen und Mädchen verwurzelt ist“. Die Porno-Streamingplattformen Pornhub, Stripchat und XVideos würden weiterhin gegen das europäische Gesetz über digitale Dienste (DSA) verstoßen, indem sie systematisch illegale Inhalte verbreiten, heißt es in dem Brief.

Im Dezember 2023 wurden die drei Porno-Streamingplattformen mit mehr als 45 Millionen EU-Nutzer*innen pro Monat als sehr große Online-Plattformen eingestuft. Damit unterliegen sie laut DSA zusätzlichen Pflichten, wie dem stärkeren Schutz Minderjähriger, der sorgfältigeren Moderation von Inhalten sowie mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht.

Gegen den offenen Brief regt sich am Dienstag Widerstand: „In der Industrie gibt es viele Probleme, wie Frauenfeindlichkeit und Vergewaltigungskultur, die dringend bekämpft werden müssen“, sagt der Rechtsanwalt Alessandro Polidoro. Aber die Anti-Porno-Lobby lebe davon, alle in der Industrie über einen Kamm zu scheren. Dabei gebe es extreme Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Branche. „Es gibt eine alte Garde, die den Fortschritt der Industrie behindert“, erklärt Polidoro. Aus der Schublade, in die sie in der öffentlichen Wahrnehmung mit diesen zusammen gesteckt würde, müsse sich die Branche befreien. „Dazu müssen wir uns um Rechenschaftspflicht und Verantwortung bemühen.“ Der DSA biete der Industrie dafür einen Raum.

„Die neue Stimme hätte heute die EU sein sollen“, sagt Polidoro. „Aber da sie fehlt, müssen wir unsere eigene Stimme erheben.“ Die Branche müsse geschlossen auftreten, besonders bei der Forderung nach Legalität. Eine ebenso starke Lobby wie die Anti-Porno-Bewegung sei notwendig. „Wir wollen mehr Einfluss“, fasst Polidoro zusammen. „Lasst uns diesen nutzen – aber richtig.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • "Aber die Anti-Porno-Lobby lebe davon, alle in der Industrie über einen Kamm zu scheren.", so die Aussage des Rechtsanwalts Alessandro Polidoro laut Artikel. Was soll das denn für eine Lobby sein, die davon "lebt"? Es sind doch in erster Linie Feministinnen, die die Pornoindustrie kritisieren, und die leben ganz bestimmt nicht davon. Niemand kann davon leben, dass er Pornographie kritisiert, es sei denn als hauptamtlicher Funktionär einer staatlich finanzierten "NGO", aber mir ist keine Organisation bekannt, die sich der Bekämpfung der Pornographie widmet und dafür Staatsknete kassiert.