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Grüne geben sich billig her

Politik fürs Auto ist im Hamburger Bezirk Wandsbek Grundlage der Koalitionsgespräche zwischen SPD, Grünen und FDP. Der kleinste Partner stellt dabei die Bedingungen

Von Lotta Drügemöller

Noch steht sie nicht, die Koalition aus SPD, Grünen und FDP in Hamburgs größtem Bezirk Wandsbek, aber die Kritik an ihr klingt bekannt: Die Ampel lasse sich von der FDP, dem kleinsten Koalitionspartner, treiben, insbesondere die Grünen gäben dabei wesentliche Teile ihres Programms auf.

Die drei Fraktionen haben in ihren Sondierungsgesprächen verabredet, auf Bezirksebene den Autoverkehr zu priorisieren – und konterkarieren damit das Verkehrswende-Ziel des rot-grünen Senats, so die Kritik des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC).

Mitte September, nach über 100 Tagen Sondierungsgesprächen, hatten sich SPD, Grüne und FDP in Wandsbek darauf geeinigt, in Koalitionsgespräche zu gehen. Das Sondierungspapier selbst bleibt allgemein. Sehr klar dagegen wird die Stoßrichtung in der zugehörigen gemeinsamen Pressemitteilung der drei Fraktionen.

Vor allem die FDP wird dort konkret – die kleinste Fraktion mit ihren vier Sitzen verkauft ihr Fell teuer und stellt als einzige klare Bedingungen: „Grundlage für den Eintritt in Koalitionsverhandlungen ist für uns die Bereitschaft von SPD und Grünen, den Korrekturbedarf in der Verkehrspolitik anzugehen und damit zen­trale Forderungen unseres Wahlprogramms umzusetzen“, heißt es in dem gemeinsamen Schreiben als Zitat der beiden FDP-Bezirksvorsitzenden.

Selbstbewusst formulieren sie ihre Forderungen für die Koalitionsverhandlungen im Indikativ, als seien sie beschlossene Sache. „Wir behalten Tempo 50 als Regelgeschwindigkeit bei“, schreiben die Vorsitzenden. Die großen Straßen des Stadtteils sollen nicht angetastet werden: „Die Wandsbeker Chaussee bleibt sechsspurig erhalten und der Berner Heerweg vierspurig.“ Und: Bei Radwegen konzentriere man sich auf die „notwendige Sanierung des Bestands“. Das Problematische daran, so Thomas Lüthke vom ADFC Hamburg: „Der Großteil der alten Radwege im Bezirk entspricht schon längst nicht mehr den technischen Standards hinsichtlich Breite und Führung.“

Kurzfristig will die neue Bezirksmehrheit laut FDP außerdem „mindestens 300 neue Parkplätze“ schaffen – unter anderem durch den Rückbau „nicht erforderlicher Eichenspaltpfähle“. Die Fraktion greift damit ein Thema der vergangenen Legislatur auf, in der die Bezirksregierung das ordnungswidrige Parken am Randbereich einer Straße, noch jenseits des Bürgersteigs, verhindert hatte. Neue Parkplätze schaffen, das bedeutet also vor allem, öffentlichen Raum wieder rechtswidrig zum Parken freizugeben.

Mit ihren Plänen rennen die Liberalen offenbar bei einem Koalitionspartner offene Türen ein: SPD-Kreisvorsitzender An­dreas Dressel lässt sich in der gemeinsamen Pressemitteilung zitieren, man wolle „notwendige Korrekturen in der Verkehrspolitik zugunsten des Autos“ vornehmen. Erstaunlich ist das, weil Dressel als Finanzsenator auch Teil des Hamburger Senats ist. Und der hat erst Ende 2023 sein Mobilitätswende-Ziel verabschiedet: Bis zum Jahr 2030 sollen 80 Prozent aller Wege in Hamburg zu Fuß, mit dem Rad, oder den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden.

„Die grundsätzlichen und gesamtstädtischen Ziele der Mobilitätswende werden nicht in Frage gestellt“, erklärt sich Dressel auf Nachfrage der taz. „Aber der realistische Blick erfordert in den Außenbezirken andere und auch flexiblere Antworten als in der Schanze oder in Ottensen.“ Verkehrswende ja, aber bitte nicht hier.

Rätselhaft ist aber vor allem die Entscheidung der Grünen für eine mögliche Koalition. In ihrem Statement zum Sondierungspapier bleiben die grünen Bezirksvorsitzenden allgemein und beschreiben die Gespräche als „konstruktiv und geprägt von einer hohen Wertschätzung für die Perspektiven der jeweiligen Partner“. Man sei sich einig bei den Zielen „Schutz und Pflege unserer Umwelt“ und „klimaneutraler Bezirk“. Wie letzteres Ziel mit einer „Korrektur zugunsten des Autos“ erreicht werden soll, bleibt unklar.

Zumal nicht nur in der Verkehrspolitik Kröten zu schlucken sind: Auch beim Wohnungsbau, das verrät die Pressemitteilung zum Sondierungspapier, sollen Anforderungen herabgestuft werden. Man wolle Bauprojekte „nicht mit überzogenen Anforderungen verzögern oder ausbremsen“, schreibt SPD-Mann Dressel. Konkret bedeutet das vor allem Absenkungen beim Energieeffizienzstatus der Wohnungen.

Auf taz-Nachfrage äußern sich die Kreisvorsitzenden der Grünen Wandsbek, Katja Rosenbohm und Justin Orbán, defensiv. Man habe nur zwei Möglichkeiten: „Entweder wir überlassen den Bezirk einer Großen Koalition und riskieren so, dass bisherige Errungenschaften wie die Wochen gegen Rassismus zurückgedreht werden“, schreiben sie. „Oder“, heißt es weiter, „wir regieren weiter mit, sichern so das Erreichte ab und sorgen punktuell für weitere Verbesserungen im Bereich des Radverkehrs“.

Bei den „Wochen gegen Rassismus“ handelt es sich um Aktionswochen der UN, auch in Wandsbek finden Lesungen und Workshops statt; im Wahlprogramm der Wandsbeker Grünen wurden sie nicht explizit als wichtiges Politikziel genannt.

„Die Ziele ihrer Basis, scheinen die Grünen hier komplett aufzugeben“

Dirk Lau, ADFC-Pressesprecher

Genannt wird dagegen die Mobilitätswende – als erster Punkt des Wahlprogramms, mit der expliziten Forderung, „den Straßenraum konsequent gerechter“ zu verteilen und „zusätzlichen Platz für Fuß­gän­ge­r*in­nen und Fahrradfahrer*innen“ zu schaffen. Auch die „Reduzierung des Durchgangsverkehrs in Wohngebieten“, „Tempo 30 auf Schulwegen und in Quartierszentren“, sowie die Einrichtung von Fahrradstraßen gehören dazu. „Die Ziele ihrer Basis, ihrer Stammkundschaft, scheinen die Grünen hier komplett aufzugeben“, kritisiert ADFC-Sprecher Dirk Lau.

Einen echten Grund für die Demut gibt es nicht: Die Grünen hatten bei den Bezirkswahlen zwar 6,9 Prozentpunkte gegenüber der vorigen Wahl verloren – mit 19,4 Prozent der Stimmen landeten sie aber immer noch ihr insgesamt zweitstärkstes Ergebnis in Wandsbek. Die FDP dagegen bekam mit insgesamt 6,9 Prozent die wenigsten Stimmen im Bezirk und landeten noch knapp hinter der Linken.

Auch andere Koalitionen wären auf Bezirksebene möglich: Die CDU hat mehr Stimmen und ebenso viele Sitze wie die SPD erreicht, und hätte eine Große Koalition, oder aber eine Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen anstreben können. Rechnerisch wäre auch eine rot-rot-grüne Bezirksregierung eine Option.

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