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Die Mittelschicht hat Abstiegsängste. Die untere Mittelschicht wurde spätestens mit Einführung des Bürgergelds der Unterschicht ökonomisch gleichgestellt. Das hat in unserer klassistischen Gesellschaft großes Konfliktpotenzial. Zumindest haben die regierenden inzwischen begriffen, dass das Problem nicht mit mehr Sozialleistungen zu kitten ist. Die Mittelschicht rechnet nicht damit diese Leistungen selbst je in Anspruch zu nehmen, sondern sieht sich nicht ganz zu Unrecht als reinen Zahlmeister. Das ist auch hier in unserer AfD-Hochburg in den täglichen Gesprächen stets der Haupttenor. Die eigenen Löhne und Renten sind zwar sehr niedrig, über 40% der Einwohner bekommen nur Mindestlohn. Was die Leute aber wirklich stört, ist das Neuankömmlinge oder Faulenzer das Gleiche erhalten. Die meckern nicht über die eigene Minirente, sondern über Renten für Ukrainer.
Wir können diese Dynamik natürlich entrüstet verurteilen. Ich befürchte nur die Gesellschaft wird sich an dem Punkt nicht kurzfristig ändern. Deutschland müsste das Lohnniveau drastisch anheben. Am einfachsten ginge das über weniger Sozialabgaben und Steuern. Einwanderungsland und Sozialstaat passen sowieso nicht zusammen.
Tobias Schulze trifft meiner Meinung nach den berühmten Nagel auf den Kopf.
Mein Eindruck ist, dass die SPD und die Grünen die Ärmeren und Armen nicht nur vergessen, sondern sie, machttaktisch und bezüglich von Wahlen, "aufgegeben" haben (im Sinne von: die wählen uns sowieso nicht mehr, dann müssen wir ihnen auch nichts mehr bieten).
Meiner Überzeugung nach müssten in Zeiten knapperer Kassen (oder: zwar ausreichend gefüllter Kassen, aber grosser Probleme - Sanierung und Modernisierung der Infrastruktur im Land, Ausrüstung der Bundeswehr, höhere Anforderungen im Bereich der Terrorabwehr und der Bekämpfung der Cyberkriminalität, Klimaschutz, Digitalisierung - mit gewaltig-grossem Finanzbedarf) die staatlichen Leistungen auf den Prüfstand.
Damit nur noch diejenigen staatliche Hilfen bekommen, die sie auch brauchen; die, die gut verdienen und/oder ein entsprechendes Vermögen haben, brauchen weder Kindergeld noch andere staatlichen Leistungen; warum müssen nur die Ärmeren und Armen ihre Bedürftigkeit nachweisen, um staatlich unterstützt zu werden?
@Der Allgäuer Wenn man in Ihrem letzten Absatz den ersten und zweiten Teil tauschen würde, hätte man keine Frage, sondern eine Antwort 😜
Die Wählerschicht und Stammbasis der SPD hat nur leider den Springermüll geschluckt, dass die anderen Armen schuld wären. Die Spitze den neoliberalen Denkmüll nach Nozick, man müsse die Reichen schonen.
Die Linken sollten wohl noch vor der Wahl in die SPD kommen, das Schiff stärken und den Kurs noch stärker auch zum Sozialen wenden.
Das mantraartig vorgetragene Recht Israels auf Selbstverteidigung verschließt in Deutschland den Blick auf die brutale israelische Kriegsführung.
Umverteilungspläne der SPD: Und die ganz unten?
Die Pläne der SPD, den Reichsten mehr zu nehmen, sind löblich und richtig. Transferleistungen für die Ärmsten spielen aber keine Rolle mehr.
SPD-Vorstandsklausur, erstmals ohne Kevin Kühnert Foto: Annette Riedl/dpa
Die Idee klingt so gut, dass wir zum Haken erst später kommen. Der SPD-Vorstand gibt auf seiner Klausur, auf der er Vorentscheidungen für den Wahlkampf trifft, den herrschenden Verteilungskämpfen eine neue Richtung: die Mehrheit gegen die da oben. Das eine Prozent der Bevölkerung, das die meisten Einnahmen hat, soll höher besteuert werden. Die Masse soll dafür weniger Abgaben zahlen, höhere Löhne bekommen, von besserer Bildung und einer besseren Infrastruktur profitieren.
Das ist dreifach richtig. Erstens ist es nicht gerecht, wenn in der Krise für den Großteil das Leben schlechter wird, während die Reichen weiter reicher werden. Zweitens schadet es der Volkswirtschaft, wenn sich der Staat zentrale Aufgaben nicht mehr leisten kann und großen Bevölkerungsgruppen das Geld für den Konsum fehlt. Und drittens: Wenn die Probleme der mittleren Schichten wachsen, aber niemand Politik für sie macht – dann muss man sich nicht wundern, wenn der Blick nach unten geht. Dass Verteilungskämpfe zuletzt nur nach unten so gut funktioniert haben, gegen Flüchtlinge und gegen Arme, kommt nicht von ungefähr.
Und damit kommen wir jetzt doch zum Haken. In den vergangenen Monaten konnte sich den Tritten nach unten auch die SPD nicht entziehen. Im letzten Wahlkampf warb sie noch mit der Überwindung von Hartz IV, und tatsächlich führte sie in dieser Legislatur das Bürgergeld ein. Als sie damit fertig war, schaffte sie es im Kern aber gleich wieder ab. Auch Sozialdemokraten beteiligten sich zuletzt am Diskurs gegen vermeintlich faule Arbeitslose. Im aktuellen Vorstandsbeschluss setzt die SPD diesen Duktus zwar nicht fort. Maßnahmen, die explizit den Ärmsten nützen, tauchen aber auch dort nicht mehr auf.
Ähnlicher Kurs bei den Grünen
Eine ähnliche Schwerpunktsetzung zeichnet sich für 2025 bei den Grünen ab, dem Hauptkonkurrenten im Kampf um die linke Mitte. Auch in deren Papieren ist derzeit verstärkt die Rede davon, die Reichen stärker zu besteuern – etwa durch geschlossene Lücken bei der Erbschaftsteuer. Auf der Ausgabenseite setzen auch sie vermehrt auf Schulen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen der sozialen Infrastruktur. Die Kindergrundsicherung aber, ihr sozialpolitisches Kernprojekt, das in dieser Legislatur sicher nicht vollendet wird? Taucht in den Konzepten nicht mehr auf.
Es scheint, als ob Transferleistungen toxisch geworden sind. Und selbst wenn im Wahlkampf wirklich ein Verteilungskampf gegen die ganz oben beginnt, heißt das nicht automatisch, dass der Verteilungskampf gegen die ganz unten endet. Sie könnten auch einfach unter die Räder geraten.
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Kommentar von
Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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