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Drohender Kita-Streik in BerlinIm Kinderladen gibt es alles

Bessere Arbeitsbedingungen und mehr Betreuung: Eine Erzieherin erzählt, warum sie in eine Eltern-Initiativ-Kindertagesstätte gewechselt ist.

Die vielen Warnstreiks haben nicht geholfen, jetzt wollen die Er­zie­he­r*in­nen unbefristet streiken Foto: Britta Pedersen/dpa

Berlin taz | Wenige Minuten von der Landsberger Allee entfernt hört man aus dem Hinterhof eines Wohnblocks helle Stimmen. Die Kinder der Eltern-Initiativ-Kindertagesstätte (EKT) „Im Känguru“ übertönen beim Spielen sogar den Verkehrslärm von der Hauptstraße. Als private Einrichtung ist der „Kinderladen“, wie EKTs auch heißen, von den Streiks nicht betroffen, über deren Rechtmäßigkeit am Freitag das Landesarbeitsgericht entscheidet (siehe Kasten). Denn bestreikt werden sollen nur die landeseigenen Betriebe, etwa zehn Prozent aller 2.900 Kitas, die allerdings etwa ein Fünftel aller Berliner Kita-Kinder betreuen.

Alexandra Gammrath ist Erzieherin, sie ist im August von einer Zeitarbeitsfirma, die sie vor allem in große landeseigene Kitas schickte, in die EKT „Im Känguru“ gewechselt. Grund dafür waren vor allem die Arbeitsbedingungen und die tägliche Überlastung. „Als Erzieherin in einer staatlichen Einrichtung würde ich nicht mehr arbeiten“, sagt sie – vielen Kol­le­g*in­nen gehe es ähnlich.

Für viele Eltern ist die „Streiksicherheit“ von EKTs offensichtlich Grund genug, ihre Kinder in Einrichtungen wie diese zu schicken. Bereits im August – nachdem Verdi zu Warnstreiks aufrief – kam es in den Eigenbetrieben zu mehr Abmeldungen als üblich. Die Senatsbildungsverwaltung glaubt, dass rund 700 Abmeldungen „streikbedingt“ sind, so eine Sprecherin zur taz. Ob das tatsächlich so ist, lässt sich allerdings nicht nachweisen. Zumal 700 von insgesamt 33.000 Kindern in landeseigenen Kitas nur einen Bruchteil darstellen.

Seit April fordert Verdi den Senat zu Tarifverhandlungen über einen Entlastungsvertrag auf, der einen verbindlichem Personalschlüssel und individuell einklagbaren Belastungsgrenzen enthalten soll. Der Senat verweist jedoch auf die Mitgliedschaft in der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, der den einzelnen Bundesländern verbietet, Tarifverträge auf eigene Faust abzuschließen. Verdi kam dem Senat entgegen und bot an, den Streik durch eine andere Lösung im Sinne der Beschäftigten, etwa einer schuldrechtlichen Vereinbarung, abzuwenden. Der Senat blieb zögerlich, wollte das juristisch prüfen lassen – dann untersagte das Arbeitsgericht den Streik, wogegen Verdi in Berufung ging.

Kita-Streik vor Gericht

Der von den Gewerkschaften GEW und Verdi beschlossene Streik zur Erzwingung von Verhandlungen über eine Entlastung der Erzieher*innen in landeseigenen Kitas wurde vom Arbeitsgericht Ende September untersagt. Zur Begründung hieß es unter anderem, wegen des laufenden Gehaltstarifvertrages für den öffentlichen Dienst, der auch Erzieherinnen und Erzieher in städtischen Kitas umfasst, herrsche Friedenspflicht. Bei einer Urabstimmung von Verdi hatten sich fast 92 Prozent der Mitglieder für unbefristete Streiks ausgesprochen. Am Freitag entscheidet das Landesarbeitsgericht über die Rechtmäßigkeit des Kita-Streiks. (dpa, taz)

Verdi fordert den Senat zu Tarifverhandlungen

Ein „Erzwingungsstreik“ wäre für die betroffenen Kinder und ihre Familien natürlich hart. „Das macht was mit Kindern. Sie brauchen Stabilität, vorhersehbare Strukturen und Beziehungen“, sagt Nina Hogrebe, Professorin für Bildung und Erziehung in der Kindheit der TU Dortmund. Das gelte allerdings nicht nur für Arbeitskämpfe. „Auch aufgrund von Krankheitsfällen und personellen Engpässen gibt es regelmäßig Notbetreuung, punktuell keine Betreuung.“

Mit einer angespannten Personalsituation müssen viele Kitas ständig leben. Auch wenn gesetzlich geregelte Personalschlüssel offiziell eingehalten werden, leidet der Betreuungsschlüssel unter Krankheitsfällen. Eine kürzlich vorgestellte Studie der Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass pädagogische Fachkräfte in Berlin im Vergleich zu allen anderen Berufsgruppen mit Abstand am häufigsten krankheitsbedingt fehlen. Diese Berufsgruppe liegt mit 36 Fehltagen ganze 15 Tage vor allen anderen Berufsgruppen und ist außerdem am stärksten von Burnout bedroht.

Die hohe Anzahl der krankheitsbedingten Fehltage entstehe vor allem durch die Überlastung der Erzieher*innen, sagt Verdi. Diese müssen häufig auf zu viele Kinder gleichzeitig aufpassen, ausreichend Zeit für pädagogische Arbeit bleibt da nicht. Laut dem „Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme“ wurde die Mehrheit der Kinder in Berliner Eigenbetrieben im vergangenen Jahr mit einem nicht kindergerechten Personalschlüssel b­etreut. Das führt zur Überlastung von Erzieher*innen, die dann häufiger krank werden – ein Teufelskreis. Das kennt auch Erzieherin Gammrath. „Nach außen hin wurde der Personalschlüssel eingehalten. Wir waren sechs Er­zie­he­r*in­nen auf 40 Kinder, die Er­zie­he­r*in­nen waren aber nie alle da. Irgendjemand war immer krank, einige permanent.“ Gammrath hat in unterschiedlichen stadteigenen Erziehungseinrichtungen gearbeitet, teilweise mit bis zu 300 Kindern. Die Situation sei überall die gleiche. „In jeder Kita, egal wie groß sie war, war die Überforderung überall gleich zu spüren. Viele standen kurz vor dem Burnout.“

Kinderläden gibt es seit den 1970er Jahren

Gammrath arbeitete für eine Zeitarbeitsfirma, weil dort die Bezahlung besser sei. Zeit­ar­bei­te­r*in­nen seien in stadteigenen Erziehungseinrichtungen keine Seltenheit. „Die ganzen staatlichen Kitas bauen eigentlich nur noch auf Zeitarbeit“, sagt sie. Genaue Erfassungen zur Anzahl der Er­zie­he­r*in­nen in Zeitarbeit gibt es nicht, weil diese in den Personalmeldungen der Eigenbetriebe an das Land Berlin keine eigene Kategorie darstellen.

Im August fing Gammrath dann „Im Känguru“ an. Unter anderem wegen der besseren Betreuungsqualität, sagt sie. „Neben den Kol­le­g*in­nen hat man es vor allem an den Kindern gesehen. Hier blühen sie auf, sind kreativ.“ Sie selbst zogen auch bessere Arbeitsbedingungen, mehr Mitspracherecht und der höhere Betreuungsschlüssel in die Einrichtung.

EKT sind basisdemokratisch organisiert und auf die Initiative der Eltern angewiesen. Ihren Ursprung haben die Kinderläden in den 70er Jahren, als sich Eltern zusammenschlossen und selbst alternative Betreuungskonzepte für ihre Kinder umsetzten. Bei Problemen wie Personalengpässen springen die Eltern ein oder finden mit dem Vorstand und dem Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden (DaKs) andere Lösungen.

Die Anzahl an Berliner Einrichtungen im DaKs sei in den vergangenen 15 Jahren von 600 auf 1.000 gestiegen, sagt Babette Sperle aus der Mitgliedervertretung. Sie betreuen 35.000 Kinder, also ähnlich viele wie die Berliner Eigenbetriebe. „Die Finanzierung ist so wie bei allen anderen Kitas auch“, erläutert Sperle. „Viele Kitas brauchen Zusatzbeiträge. Kinderläden auch. Sie bewegen sich meist zwischen 40 bis 80 Euro.“

Währenddessen spitzt sich die Lage zwischen dem Senat und den Gewerkschaften mit jedem verhandlungsfreien Tag weiter zu. „Nun ist es am Senat und den Gewerkschaften, einen unbefristeten Streik zu verhindern“, sagt Alexander Freier-Winterwerb, Sprecher für Jugend, Kinder und Familien der SPD-Fraktion. Er befürchtet, dass der Streik tatsächlich eine Abwanderung von Kindern und Eltern aus den Eigenbetrieben zur Folge haben könnte. „Das stellt deren Existenz insgesamt infrage.“

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1 Kommentar

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  • Die Kinderläden funktionieren also nur, weil die Eltern mithelfen. Incl. Mehrwertsteuer käme das mindestens 20€ pro Stunde Zusatzbeitrag gleich, vielleicht sogar 40€. Ob man jeder Mutter die Kinder anvertrauen möchte, ist auch nicht sicher. Also nicht für jede Familie. Ehrenamtler und Kurz-Qualifizierte zu verwenden ist auch nicht unumstritten.



    Es wird leider nicht mitgeteilt, wie viele Stunden da anfallen. Wenn eine Kita pro Kind 200 oder 300€ höhere Einnahmen hat, kann sie natürlich großartiges vollbringen. Muss man sich leisten können oder wollen.