Chappell Roan live in Berlin: Herzdame mit Zuckerwatte
US-Sängerin Chappell Roan gab ihr Deutschlandkonzertdebüt im Berliner Velodrom – und schaffte eine ekstatische Sommernacht.
Wie in einen Hexenkessel schlängeln sich bunt geschmückte Leute ins Berliner Velodrom. Am Montagabend gastiert dort der US-Popstar der Stunde: Chappell Roan. Schon von draußen hört man es raunen, kreischen und klatschen, noch bevor die 26-Jährige aus Missouri, die eigentlich Kayleigh Rose Amstutz heißt, die Bühne betritt. Den Reigen eröffnen drei Dragqueens, erotisieren die Menge und bereiten sie auf das Kommende vor.
Chappell Roan, die neue Lady Gaga, die Madonna der Gen Z – vor kaum einem Vergleich schreckt die Presse zurück. Innerhalb kürzester Zeit gelang es ihr, Kleinstadtpublikum gegen Weltbühnen einzutauschen. Heute ist sie LGBTQ-Ikone: Wallendes, lockiges Haar wie Zuckerwatte, tiefrot im Kontrast zum weißgeschminkten Gesicht, das fast wie eine Maske wirkt. Ihr Look, auch inspiriert von den Dragqueens, ähnelt dem einer Herzdame: sinnlich, charismatisch, erotisch, bildschön.
Mit drei Pophymnen beginnt Chappell Roan, begleitet von ihrer dreiköpfigen Band – natürlich Musikerinnen –, die Show. Mit Fischnetzstrümpfen und eingeschnürt in ein blutrotes, strassbesetztes Korsett hüpft und stampft sie im Beat von „Femininomenon“ über die Bühne. In „Naked in Manhattan“ besingt sie dann die erste Liebe zu einer Frau und spätestens nach „Super Graphic Ultra Modern Girl“ sieht man auf den Stirnen die ersten Schweißperlen glitzern, während sie den Männern endgültig abschwört: „We’re leaving the planet / And you can’t come“.
Fischnetzstrümpfe und Korsett
Genug gestampft, es braucht neue Schuhe, „sonst hebe ich noch ab“, kichert Roan und schlüpft in gemütlichere Stiefel. Die Herzdame bezeichnet sich selbst als Prinzessin. Ihr 2023 erschienenes Debütalbum und die Tour tragen den Titel „The Rise and Fall of a Midwest Princess“. Darin verabschiedet sie sich von der Provinzialität, von der Engstirnigkeit, von der Scheu vor der eigenen Queerness, von Maskeraden.
„Das ist mein größtes Konzert bisher“, sagt Roan irgendwann ungläubig. Dabei hätte sie locker noch größere Hallen füllen können. Ein Ticket für das Konzert zu bekommen, war fast unmöglich. „25.000 Leute warten in der Schlange vor dir“, musste lesen, wer versuchte, eins zu ergattern. Nachdem ihr Auftritt beim Berliner Festival Lollapalooza und ein früheres Konzert abgesagt wurden, hat es nun geklappt: „Can you believe it? We’re in Berlin!“ Das Terminchaos haben ihr die Fans verziehen.
In der Menge sieht man Prinzessinnenkronen, pinke Cowboyhüte und Teufelshörner, aufwendige Kostüme, mit Perlen und Federn geschmückt. In der ersten Reihe dreht sich eine Frau um und hält ihren Handybildschirm hoch: „Where are my lesbians?“, steht darauf, der Block dahinter winkt ihr zu. Der Geruch schwerer, süßer Parfums hängt in der Luft. Wo man hinsieht, glitzert, blitzt und funkelt es.
Eine „YMCA“ für Lesben
Dann setzt „Hot to Go!“ ein, Roans viraler Mittanzsong: „H-O-T-T-O-G-O“ gestikulieren alle während des Refrains mit, eine Art „YMCA“ für Lesben. Schwächelnden in der ersten Reihe, die sich gegen die Absperrung stemmen, werden Wasser gereicht, mit pinken Fächern wedelt man sich Luft zu. „Ich bin so dankbar, dass ich Menschen hinter mir habe, die mich verstehen, die Queerness verstehen.“
Dann kommen einige Balladen. Der Saal verstummt, in die Stille singt Roan „Kaleidoscope“, ein Lied über gescheiterte Liebe, und begleitet sich am Keyboard. „Liebe ist wie ein Kaleidoskop / Wie sie funktioniert, werden wir nie verstehen“, sinniert sie mit kristallklarer Stimme. Es hat was Engelhaftes, wie ihre Haare wie in Burgunder getränkte Wolken um ihr blasses Gesicht spielen. Die Scheinwerfer spiegeln sich in tränengefüllten Augen.
Aber nicht für lange. War es Sekunden zuvor still im Saal, tobt die Meute jetzt und grölt die Songtexte mit, als habe es immer nur sie gegeben; als habe Chappell Roan nicht erst vor Kurzem ihr Debüt veröffentlicht, das den 12.000 im „Velodrom“ schon die Welt zu bedeuten scheint. Wie aus einer Ekstase strömen die Leute aus dem Konzert in die Sommernacht. Grinsend, verschwitzt und mit geröteten Wangen, berauscht von diesem Kraftakt, dem Zauber, den Roan verbreitet hat.
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