piwik no script img

Statistik zu FrauenhäusernÜberfüllt und unterfinanziert

In Deutschland fehlen rund 14.000 Frauenhausplätze. Das zwingt offenbar immer mehr Frauen, Schutz weit entfernt von ihrem Wohnort zu suchen.

In einem Frauenhaus in Bochum: rund 7.700 Frauenhausplätze gibt es in Deutschland Foto: Lars Heidrich/Funke Foto Services/imago

Berlin taz | Die Meldungen sind so häufig, dass sie leicht durchrutschen. Gerade berichtete der Südkurier, dass dem Frauenhaus in Konstanz das Geld fehlt. Vor zwei Wochen entschied der Rhein-Sieg-Kreis, dass das dringend benötigte dritte Frauenhaus dort nicht kommen wird. Und in der Woche davor berichtet eine Lokalzeitung in der Oberpfalz, dass das Frauenhaus in Weiden jede dritte Frau ablehnen muss.

Rund 7.700 Frauenhausplätze gibt es in Deutschland. Ginge es nach der Istanbul-Konvention, dem internationalen Abkommen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, würden 21.000 Plätze benötigt.

Einmal im Jahr erhebt der Verein Frauenhauskoordinierung (FHK) eine Statistik über die Frauen, die in den rund 400 deutschen Frauenhäusern unterkommen. Nach der neuesten Auswertung für das Jahr 2023 sinkt die Zahl derer, die in Wohnortnähe Schutz finden. Nur gut ein Drittel der Frauen stammt aus der Stadt oder dem Landkreis, in dem das Frauenhaus steht. Das könne daran liegen, dass das örtliche Frauenhaus voll ist, oder daran, dass Frauen möglichst weit weg vom Täter wollen, schätzt die FHK.

Dennoch hat es Folgen: Frauen, die aus ihrem Wohnort fliehen, können ihrer Arbeit oder Ausbildung nicht mehr nachgehen, Kinder nicht mehr in Schule oder Kita gehen. Dabei zeigt die Statistik auch, wie prekär die Situation gerade für Kinder ist. In den Frauenhäusern waren im Jahr 2023 mehr Kinder als Frauen untergebracht.

Mehr Kinder als Frauen

Die Zahlen beruhen auf einer Umfrage unter 179 Frauenhäusern. Ausgewertet wurden Daten zu gut 6.200 Frauen und 7.000 Kindern. Hochgerechnet fanden demnach im vergangenen Jahr rund 14.200 Frauen und 16.000 Kinder Schutz in einem Frauenhaus. Die meisten Frauen, 61 Prozent, leben mit einem oder mehreren Kindern im Frauenhaus. Mehr als die Hälfte der Kinder ist jünger als sechs Jahre. Nicht alle Frauenhäuser können Kinder bedarfsgerecht versorgen, es fehlen Erzieher*innen, kindgerechte Räume und psychologische Unterstützung.

Gestiegen ist außerdem der Anteil der Frauen, die nicht in Deutschland geboren sind: Im Jahr 2023 waren das 69 Prozent – zehn Jahre zuvor noch 50 Prozent. Dass so viele Frauen mit Flucht- und Migrationserfahrung in Frauenhäusern landen, erklärt die FHK damit, dass ihnen häufiger als deutschen Frauen das Geld und das Netzwerk fehlt, um der Gewalt anderweitig zu entfliehen.

Die Statistik gibt auch einen Einblick in das Dunkelfeld von geschlechtsspezifischer Gewalt: Nur bei 40 Prozent der Befragten gab es vor der Flucht ins Frauenhaus einen Polizeieinsatz wegen häuslicher Gewalt. 47 Prozent unternehmen auch während ihres Aufenthalts keine rechtlichen Schritte gegen den Täter – aus mangelndem Vertrauen in die Justiz, aber auch aus persönlichen Gründen.

Finanziell abhängig

Die meisten Frauen leben prekär. Nur knapp ein Viertel der Frauen haben vor ihrem Aufenthalt ein eigenes Einkommen bezogen, viele sind finanziell von ihrem (Ex-)Partner abhängig. Das macht auch den Weg ins Frauenhaus schwierig: Mehr als jede vierte Frau musste ihren Aufenthalt teilweise oder vollständig selbst bezahlen.

Die FKH fordert daher, dass die Finanzierung der Frauenhäuser bundesweit sichergestellt wird. Dies sollte das geplante Gewalthilfegesetz leisten. Ein Entwurf liegt aber bis heute nicht vor.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • @HANS MÜLLER, @TOMÁS ZEROLO

    Äh, sorry. Caroline Criado Perez, "Invisible Women" [1]

    [1] en.wikipedia.org/w...d_Designed_for_Men

  • Schulmedizinisch gesehen sind Frauenhäuser doch nur die Bekämpfung des Symptoms, das schrabbelt an der Ursachen vorbei. Solange Regierung und Gesellschaft es sich nicht zur Aufgabe machen, ein täterschützendes System abzuschaffen und alle zuständigen und verantwortlichen Institutionen entsprechend handeln, als auch in den eigene Reihen aufräumen (!), wird sich das Problem nicht beheben lassen. Es gilt anzuerkennen, dass Gewalt ein Geschlecht hat und entsprechende Regulierungen bereits bei der Erziehung anfangen (Eltern, schützt nicht eure Töchter, sondern erzieht eure Söhne). Hierbei müssen Eltern unterstützt werden von Politik & Gesellschaft Themen Medienregulierung (TikTok), Gleichberechtigung (Anerkennung Carework bei der Rente), Gender-Pay-Gap bis hin zu drakonischen Strafen gegenüber Männern die Gewalt als „übliches Kommunikationsmittel“ im Umgang mit Frauen „verstehen“. Der zunehmenden Backlash in Sachen Emanzipation & Feminismus und raumgreifende toxische Männlichkeit (Andrew Tate for example) dürfen ebenso wenig toleriert werden wie der zunehmende Rassismus. Im EU weiten Umland gibt’s ne Menge vorbildliche Aktionen die bereits erste Wirkung zeigen:

    ...

    • @Ceridwen:

      ...

      Rumänien: das EU-Hilfen dafür aufwendet, flächendeckend Frauenhäuser, Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen einzuführen.

      Finnland: wo eine spezielle Datenbank für Tötungsdelikte Alarmzeichen und Muster von Gewalt besser erkennbar macht.

      Kroatien: das mit Kampagnen in Schulen Jungen und junge Männer für das Thema sensibilisiert.

      Spanien & Frankreich setzten ebenfalls erfolgreiche Maßnahmen um siehe

      www.blaetter.de/au...inistische-paradox

      Zitat aus o.g. Artikel:



      Wenn der Staat den misogynen Hatern und Gewalttätern nicht den Nährboden entzieht, sondern ihnen einfach das Terrain überlässt, egal ob im Netz, auf der Straße oder zu Hause, dann formieren diese einen gewalttätigen Backlash gegen den verhassten Aufstieg von politischen Minderheiten, allen voran Frauen.

      Dem kann ich nichts mehr hinzufügen.

  • @HANS MÜLLER

    Das klingt ein wenig wie "white lives matter".

    Für sich genommen sicher richtig. Im Kontext jedoch...

    Lesen Sie mal Perez Cerezo "Invisible Women".

    • @tomás zerolo:

      Naja der Kontext ist, dass etwa 40% der häuslichen Gewalt von Frauen ausgeht, je nach Umfrage. Da steht es doch in keinem Verhältnis, dass es praktisch so gut wie keine Schutzhäuser oder Beratungsstellen für Männer gibt.



      Hast du eine Quelle für deine Literatur? Ich finde das leider nicht. Eine Empfehlung von mir wäre die folgende Studie: Fiebert, M.S. References Examining Assaults by Women on Their Spouses or Male Partners: An Updated Annotated Bibliography. Sexuality & Culture 18, 405–467 (2014)

  • Na ja, hatte ich nicht im April 2022 schon gesagt, dass für unsere Hochrüstung die sozialen Ausgaben gestrichen werden würden? Ob hier gestrichen wurde, oder nur einfach prinzipiell zu wenig Mittel bereit gestellt werden: in diesem Staat mit einem Minister Lindner, der unseren Staat sabotageartig bremst, wird hier sicher nichts passieren.

    Die Frauen können froh sein, wenn man ihnen das Bürgergeld noch gewährt. Denn das ist eine der Gruppen, die von unserer Gesellschaft inzwischen als "faule Nichtszuer" diffamiert werden. Danke dafür auch an alle Parteien außer den Linken. Alle außer ihnen tragen diese Politik mit und bauen weiter an der Hetze.

    • @Jalella:

      Nun haben Sie das argumentative Problem, dass die Frauenhäuser überhaupt nicht vom Bund finanziert werden, sondern aus Landes-und kommunalen Mitteln.

      Das bedeutet, für die Unterfinanzierung ist in Bayern die CSU, in Thüringen die Linke und in Bremen die SPD verantwortlich ist.

      Auch in Berlin mit einer rot-grün-roten Regierung wurde die Quote der Istanbul-Konvention nicht erreicht.

      Weshalb Sie die Linke ausnehmen, wirkt deshalb komplett willkürlich.

      Am wenigsten kann übrigens die FDP dafür.

      Schlicht weil sie nur an zwei Landesregierungen beteiligt ist.

  • Für Männer gibt es praktisch gar keine Schutzhäuser oder Beratungsstellen. Da gab es heute einen Bericht auf der Website der Tagesschau.

    • @Hans Müller:

      Prozentual oder absolut? Denn weit über 90% der häuslichen Gewalt geht von Männern gegen Frauen. Oder war das nur ein "Spaßkommentar"?

      • @Jalella:

        Sowohl als auch.



        Was du schreibst wird zwar ständig überall geschrieben, stimmt aber leider nicht.



        Offiziell geht etwa 80% der häuslichen Gewalt von Männern aus, je nach Polizeistatistik. Allerdings ist die Dunkelziffer viel höher, da sehr viele Fälle nie zur Anzeige gebracht werden. Umfragen zeigen ein deutlich ausgeglicheneres Bild und gehen eher in Richtung 60% oder sogar noch weniger. Ein Beispiel ist diese Studie hier: DOI 10.1007/s12119-013-9194-1

  • Das Ganze ist ein Armutszeugnis, nicht nur der Ampelkoalition sondern der bundesdeutschen Gesellschaft insgesamt. Das Thema Frauen Armut Gewalt ist immer noch eine Nebensache, etwas Peinliches und nicht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe daran wirklich etwas zu ändern.

    • @degouges:

      Nö.

      Es ist ein Armutszeugnis der verschiedenen Landesregierungen.

  • Was soll ich sagen. Das ist so beschämend.