: Drei Tags gemalt – und schon eine öffentliche Gefahr
Das Bundesverfassungsgericht hat Teile des BKA-Gesetzes kassiert. Besonders krass angewendet wurde es gegen Fußballanhänger. Mit der Unterstützung von Fanhilfen haben sie sich nun gewehrt
Von Edgar Lopez
Es waren drei Tags, mit einem Filzstift an eine Raststätte geschmiert, die die Göttinger Polizei im Januar 2010 dazu veranlassten, mehrere Busse der Bremer Ultraszene zu kontrollieren. Die Fans waren auf dem Weg zum Spiel bei Eintracht Frankfurt. Die Polizei ermittelte wegen Sachbeschädigung. Der Verdacht fiel irgendwann auf Robert F. Der Werder-Ultra, der nicht möchte, dass sein Name in der Öffentlichkeit genannt wird, erinnert sich im Gespräch mit der taz: „Die Personalien aller Businsassen wurde aufgenommen und dadurch ist dieser Eintrag entstanden.“ Denn weil F. schon seit 2007 als Ultra im Fokus der örtlichen Polizei steht und dann Tatverdächtiger für die Schmierereien wird, wurden seine Personalien in die Datei „Gewalttäter Sport“ aufgenommen – mit dem Vermerk „Tatverdacht zur Sachbeschädigung/Graffiti in Göttingen im Rahmen der Busanreise zum Spiel Eintracht Frankfurt gegen SV Werder Bremen“.
Mit ungeahnten Folgen einige Monate später. F. erinnert sich an die Fahrt zum Champions-League-Spiel von Werder nach Enschede: Die Busse der Bremer Ultras seien an der Grenze kontrolliert worden. Alle Businsassen, die einen aktuellen Eintrag in der Datei haben, wurden gesondert kontrolliert. „Wir sind dann irgendwo an der Grenze in ein Polizeirevier gebracht worden, da haben die uns irgendwelche Zettel in die Hand gedrückt und haben uns gesagt, dass wir gehen können.“ Was auf dem Zettel stand? „Eine ‚Gefährdung für das Königreich Niederlande‘ stand da drin“, erinnert sich F. „Ich habe mir dann gesagt, das ist doch krank.“
Wegen drei Tags durfte er die Grenze nicht passieren. Verurteilt wurde F. für die Sachbeschädigung auf der Raststätte nie. Er klagt nun beim Verwaltungsgericht Köln gegen die Ausreiseuntersagung und bekommt recht. Schon damals habe der Richter bei der Verhandlung die Polizei gefragt, woher die ganzen Daten kommen. Für die Polizei ist die Datei „Gewalttäter Sport“ seit Jahrzehnten ein wichtiges Arbeitsinstrument. Auf der Homepage der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) heißt es: „Diese Datei versetzt die Polizei bundesweit in die Lage, zielgerichtet polizeiliche Maßnahmen zu treffen und dabei zwischen Störern und Nichtstörern zu unterscheiden.“ Das geschieht auch dadurch, dass die Datei in das polizeiliche Informationssystem Inpol einfließt, dem vom Bundeskriminalamt (BKA) betriebenen elektronischen Datenverbund zwischen Bund und Ländern.
F.s Beispiel zeigt, warum diese Praxis bei Fußballfans seit Jahrzehnten verrufen ist. Aus diesem Grund reicht er mit Grün-Weiße-Hilfe, einem Rechtshilfeverein für Werderfans, und der Gesellschaft für Freiheitsrechte als einer von mehreren Personen Klage gegen das BKA-Gesetz ein. Auf Grundlage dieses Gesetzes sind seine Daten in der Datei „Gewalttäter Sport“ gespeichert und weiterverarbeitet worden. Nun hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe Teile des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt. Einzelne Befugnisse zur Datenerhebung und -speicherung müssen bis Juli 2025 geändert werden.
Bijan Moini von der Gesellschaft für Freiheitsrechte hat F. als Anwalt vertreten und freut sich über das Urteil, auch wenn das Gericht nicht mit allen Punkten der Klage übereinstimmte. In wichtigen Punkten haben sie jedoch gewonnen, erklärt Moini der taz und meint damit vor allem die Einschränkungen, die das BVerfG für die Speicherung der Daten von Beschuldigten, also Personen, die einer Straftat nur verdächtigt waren, aber nicht ihretwegen verurteilt wurden, formuliert hat. Zukünftig müssen Polizeien diesen Einträgen sogenannte Negativprognosen hinzufügen. „Das heißt, die Polizei muss begründen und auch dokumentieren, warum die Person in Zukunft gefährlich ist, obwohl sie wegen keiner Straftat verurteilt wurde und warum die Speicherung der Daten gerade dazu beiträgt, die von ihr angeblich ausgehende Gefahr zu reduzieren“, so Moini.
Außerdem müsse es ein Löschkonzept geben. Der Gesetzgeber muss regeln, wie lange und unter welchen Voraussetzungen die Daten gespeichert bleiben dürfen. Insgesamt würden Fanrechte damit „deutlich gestärkt“, sagt Moini.
Für Wilko Zicht, dem Vorstand der Grün-Weißen Hilfe, ist das Karlsruher Urteil ein „wichtiger Teilsieg“, weil erstmals verfassungsrechtliche Grenzen für die Speicherung in bundesweiten Polizeidateien gesetzt wurden. Zicht fügt hinzu, dass in den Verbunddateien beim BKA nicht nur Tausende Fußballfans, sondern mehrere Millionen Menschen gespeichert seien und die Polizei nun vor dem Hintergrund des neuen Urteils eigentlich alle Einträge noch einmal prüfen und wohl viele davon löschen müsste. Schon allein aus Ressourcengründen werde sie dies aber nicht tun, ist er sicher.
Robert F., Werder-Bremen-Ultra
Für ihn ist jetzt ein guter Zeitpunkt für alle potenziell Betroffenen, eine Datenauskunft beim BKA und der örtlichen Polizei zu beantragen: „So erfahren Menschen, was genau die Polizei genau über sie gespeichert hat.“ Wer damit nicht einverstanden sei, könne von den Datenschutzbeauftragten Hilfe beim Löschen erhalten. Fußballfans sollten sich an die Fanhilfe ihres jeweiligen Vereins wenden, ergänzt er. „Die Chancen auf Löschung sind durch das Urteil jedenfalls gestiegen.“
Ganz zufrieden ist der Fanhilfe-Vorstand jedoch nicht. Seiner Auffassung nach habe das Gericht mehrere Fragen offengelassen. „Das betrifft die Regelungen zur Nutzung der gespeicherten Daten durch das BKA und die Landespolizeien, die Löschung nach Freispruch und Verfahrenseinstellung, die fehlende Benachrichtigungspflicht der Betroffenen sowie die Speicherung von Daten, ohne dass überhaupt der Verdacht einer Straftat bestand“, erklärt er. Für den Fall, dass der Gesetzgeber im Rahmen der erforderlichen Neuregelung nicht auch diese Regelungen verfassungsgemäß korrigiere, kündigt er an, „dass Fußballfans mit unserer Unterstützung erneut Verfassungsbeschwerde erheben werden“.
Werder-Ultra F. verspürt nach dem Karlsruher Urteil unterdessen erst einmal Genugtuung: „Es ist immer wichtig, dass die Behörden wissen, dass sie nicht alles machen können, weil ihnen keiner auf die Finger guckt.“
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