Vechtaer CDU-Ratsherr verleumdet SPDler: Der „Steineschmeißer“ von der SPD
CDU-Fraktionschef zahlt 2.100 Euro für die Behauptung, ein SPD-Kollege habe beim G20-Gipfel Steine und Molotowcocktails auf Polizisten geworfen.
Was ist da passiert? Ramnitz ist auch Vorsitzender des Vereins ContRa, der sich in Vechta seit 2006 gegen Rassismus engagiert. In dieser Funktion meldete Ramnitz im Januar, nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche über das Potsdamer „Remigrations“-Treffen, eine Kundgebung an, unter dem Motto „Nie wieder ist jetzt – AfD verhindern“.
Es kamen mehr als 2.500 Menschen – statistisch jeder 14. Einwohner der Stadt, und das im erzkonservativen Oldenburger Münsterland. Wohl auch, weil ein wirklich breites Bündnis aus 40 Organisationen dazu aufgerufen hatte. Auch fast alle Ratsparteien waren dabei, neben Ramnitz' SPD natürlich die Grünen und Linken, aber auch das Wählerbündnis „Wir für Vechta“ und die „Vechtaer Christdemokraten“, eine CDU-Abspaltung. Nur die echte CDU blieb auf Distanz.
„Viele haben sich darüber gewundert“, sagt Berthold Knipper, der selbst an der Kundgebung teilgenommen hatte und dort auch CDU-Mitglieder getroffen hatte. Der Rechtsruck in Deutschland mache ihm Sorge, sagt er, er fühle sich auch persönlich betroffen. Der pensionierte Lehrer hat drei Kinder aus Indien adoptiert. „Die trauen sich nicht, in den Osten zu fahren“, sagt er. „Mein Sohn sagt: Ich lass' mich da doch nicht von diesen Pegida-Typen anmachen.“
Irokesenschnitt ja, aber Molotowcocktails?
Dass die CDU sich nicht mit gegen die AfD stellen wollte, ging ihm nicht aus dem Kopf. Deshalb rief er nach der Kundgebung deren Fraktionschef im Stadtrat an, Thomas Frilling. Der habe ihm gesagt, mit dem Ramnitz könne er nicht gemeinsam auf die Straße gehen. Das sei ein Linksradikaler, der habe 2017 beim G20-Gipfel in Hamburg Steine und Molotowcocktails auf Polizisten geworfen.
„Ich kannte Ramnitz“, sagt Knipper der taz. „Der hat mal vor zwölf oder 13 Jahren in meiner Schule Propaganda gegen Rechts gemacht, sehr gut!“ Damals habe er einen bunt gefärbten Irokesenschnitt getragen und sei bei seinen Hauptschülern richtig gut angekommen. „Der hat bestimmt dazu beigetragen, wenn die heute nicht AfD wählen“, meint Knipper. Aber Steine? Molotowcocktails? Das konnte er sich nicht vorstellen.
Er rief Ramnitz an. Der sagte, nein, er habe nichts auf Polizisten geworfen. Und fragte, ob Knipper das Gehörte auch in einer Vernehmung bestätigen würde. Ramnitz erstattete Anzeige.
„Ich habe Frilling dann wieder angerufen und ihm das erzählt“, sagt Knipper. Der habe geantwortet: „Dem sehe ich gelassen entgegen – es gibt Polizeivideos, die belegen können, dass er Steine und Molotowcocktails geworfen hat.“
Frilling selbst will auf taz-Anfrage zunächst nichts sagen, nur so viel: „So wie ich das gesagt habe, ist es nicht wiedergegeben worden.“ Warum er dann den Strafbefehl akzeptiert und bezahlt hat, inklusive Gerichtskosten immerhin 2.181 Euro? „Weil ich damit nicht vorbestraft bin“, sagt er. Der Ex-Polizist bestätigt aber: „Ich habe auf meiner Wache Bilder gesehen, aber die existieren leider nicht mehr.“ Darauf habe er „Ramnitz neben diesen Personen“ gesehen. Ob es am Ende nur „diese Personen“ sind, die die Polizei beworfen haben, und nicht Ramnitz selbst, das lässt sich in diesem Gespräch nicht aufklären. Frilling beendet es mit den Worten: „Ich will mich nicht noch tiefer reinreiten.“
Die Polizeiinspektion Cloppenburg-Vechta teilt auf taz-Nachfrage mit, nach dem G20-Gipfel seien Fahndungsfotos „allen Beschäftigten der Landespolizei Niedersachsen“ zugänglich gemacht worden. Insofern könne auch Frilling als damals noch aktiver Polizist sie gesehen haben. Ob darauf der SPD-Ratsherr Ramnitz zu sehen war? Das sei „hier nicht bekannt“, jedenfalls habe es keine eigenen Ermittlungen gegeben.
Ramnitz selbst geht offen damit um, dass er beim G20-Gipfel in Hamburg war – „auf so ziemlich jeder Demo, auch mal in der ersten Reihe“, wie er der taz sagt. Er hat im Nachgang auch Übergriffe der Polizei öffentlich kritisiert. „Aber Steine und Molotowcocktails habe ich nicht geworfen“, bekräftigt der Sozialdemokrat. „Da gäbe es ja auch eine Strafverfolgungspflicht.“
SPD-Mann Ramnitz kämpft um seinen Ruf
Warum ihm diese Feststellung so wichtig ist? Sein kleiner Verein ContRa hat einen tadellosen Ruf, Ramnitz selbst wurde schon von der Bundeszentrale für politische Bildung als „Botschafter für Toleranz und Demokratie“ ausgezeichnet, hat eine ebenfalls prämierte Broschüre über den Umgang mit Rechtsextremen und Verschwörungsgläubigen im Betrieb geschrieben. Doch nun machen Unterstellungen wie die von Frilling die Runde. „Ich habe schon von Leuten gehört, die nicht zu unseren Veranstaltungen kommen oder ihren Kindern die Teilnahme an unseren Projekten verbieten, weil sie gehört haben: Da ist dieser Steineschmeißer dabei.“
Auch seine Partei leide unter den Gerüchten, das habe sich beim Haustürwahlkampf gezeigt, so Ramnitz. Und nicht zuletzt müsse er zusehen, dass er in seinem Beruf als Coach und Mediator noch Aufträge bekomme.
Über zivilrechtliche Schritte habe er sich „noch gar keine Gedanken gemacht“, sagt Ramnitz – auch weil Amtsgericht und Staatsanwaltschaft es nicht für nötig befunden hatten, ihn über den Verfahrensausgang zu informieren, so dass er erst auf aktive Nachfrage und mit vier Monaten Verzögerung von dem Strafbefehl erfuhr.
Er kennt sich aus mit dem Prozedere: Vor acht Jahren musste er einmal selbst 600 Euro zahlen, wegen übler Nachrede zu Lasten des Osnabrücker Professors Hermann von Laer, CDU-Mitglied, aber unter den Hauptunterzeichnern des Aufrufs „Wahlalternative 2013“, eines AfD-Vorläufers. Ramnitz hatte ihm öffentlich unterstellt, er habe in mehreren rechtsradikalen Zeitschriften publiziert. „Nur die Hälfte davon stimmte“, sagt Ramnitz. Er habe seinen Fehler eingesehen, online richtiggestellt und dafür gezahlt. So eine Fehlerkultur lässt die CDU bislang vermissen.
Im Stadtrat waren Frillings Anwürfe bisher nicht Thema. Die Ratsvorsitzende Simone Göhner, ebenfalls in der CDU und dort gleichzeitig stellvertretende Kreisvorsitzende, will sich zu der Affäre in beiden Funktionen nicht äußern. „Ich sage da gar nichts zu. Herr Frilling hat sich als Privatperson geäußert und damit ist die Sache für mich erledigt.“ Sie sorge dafür, dass die Dinge in der Ratssitzung ordentlich laufen – „aber ich bin nicht die Erziehungsberechtigte“. Die Abstinenz ihrer Partei bei der Vechtaer Kundgebung begründet Göhner damit, dass es im Aufruf geheißen habe, sie wende sich „gegen rechts“, wo es „gegen Rechtsextremismus“ heißen müsse. „Ich halte es für sinnvoller, für etwas zu demonstrieren, für Demokratie.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Demokratie unter Beschuss
Dialektik des Widerstandes
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück