Trübe Aussichten

Von oben können Meere wie die Ostsee klar erscheinen. Doch nur ein paar Meter abgetaucht, sieht man, dass man viel weniger sieht als früher. Die Verdunkelung hat Folgen für Natur und Mensch

Der Meeresphysiker Zielinski ermittelt mit der sogenannten Secci-Scheibe die Sichttiefe der Ostsee in Rostock-Warnemünde

Vom Greifswalder Bodden Jonas Mayer
und Julius Nieweiler (Fotos)

Das Wasser im Greifswalder Bodden schimmert grünblau und frisch, der erste ruhige Morgen nach stürmischen Tagen. Florian Hoffmann steuert an diesem Spätsommertag ein Motorboot in diese Art Lagune der Ostsee. Er trägt einen Neoprenanzug, der Fahrtwind zerzaust seine Haare. Mit der rechten Hand gibt er Gas, in der linken hält er sein Handy, um den Kurs zu bestimmen. Schließlich stellt er den Motor ab. Das Echolot zeigt zweieinhalb Meter Wassertiefe.

Hoffmann zieht Schwimmflossen, Brille, Schnorchel, einen Gürtel mit Gewichten an und platsch, ist er weg. Er arbeitet für den WWF und taucht regelmäßig nach verlorenen Fischernetzen. Für ein paar Sekunden herrscht Ruhe, nur die Wellen schlagen sacht an die Seite des Boots. Dann taucht er wieder auf, in der Hand ein Büschel Seegras und Kamm-Laichkraut. „Hier können wir runter“, sagt er, „kommt!

Eigentlich sollte der Meeresboden hier, vor der Insel Vilm, dicht mit Seegras bewachsen sein. So wie im ganzen Greifswalder Bodden mit seinen mehr als 500 Quadratkilometern. Bis vor 70 Jahren war es eine riesige Wiese im Meer. Doch wer heute hinuntertaucht, gleitet nicht nur über Seegras, sondern auch über große Flecken aus Sand und Stein – dort, wo jede kleine Berührung des Bodens mit einem Flossenschlag eine Sandwolke aufwallen lässt. Früher musste man nur den Kopf unter Wasser halten und sah sie vor sich, die Wiese im Meer. Heute aber starrt man in einen grünen Nebel. Genau so, wie man sie mittlerweile an vielen Küsten der Welt sieht, von Neuseeland über den Golf von Mexiko und das Mittelmeer bis in norwegische Fjorde – oder eben in der Ostsee.

Schuld an dieser Trübnis, dieser Verdunkelung der Meere an den Küsten, ist der Überschuss bestimmter Stoffe im Wasser: zu viele Nährstoffe durch Überdüngung in der Landwirtschaft, zu viel Sand, zu viel organisches Material wie Erde oder Schlick. Diese Stoffe lösen sich, breiten sich in allen Wasserschichten aus und lassen Sonnenlicht weniger tief eindringen, als es sonst der Fall wäre.

Nur ein paar Dutzend Wissenschaftler ­erforschen das Phänomen, in der Öffentlichkeit ist es so gut wie unbekannt. Das Problem geht unter zwischen all den anderen Problemen, die Meere haben. Die riesigen Plastikstrudel im ­Pazifik, die dramatische Korallenbleiche vor Australien. Die Bilder davon rütteln auf. Die ­schleichende ­Verdunklung der Küstenmeere ist nicht derart ­offensichtlich und wirkt weniger ­bedrohlich. Doch sie hat konkrete Folgen. Zuerst für die ­Pflanzen im Wasser, dann die Tiere und schließlich für die Fischer, die von ihnen leben.

Claas Wollna hievt vier Kisten Fisch auf den Steg. „Barsch, Flunder, Hecht, Zander, Weißfisch“, zählt er auf und hebt ein paar der Fische an. Ein Hecht zappelt noch mal kraftlos und rutscht über die Fische, bei denen sich noch die Kiemen heben und senken. Das ist der Fang aus den 900 Metern Stellnetzen, die Wollna an diesem Morgen im August direkt vor Stralsund eingeholt hat. Er ist zufrieden damit. „Für den Sommer ist das nicht verkehrt“, sagt er.

Wollna ist der letzte Fischer aus dem Strelasund, der Meeresarm trennt Rügen vom Festland und verbindet den Greifswalder mit dem Kubitzer Bodden. Mittendrin im Strelasund liegt die Insel Dänholm. Dort, im hintersten Eck der Insel, hat er sein Motorboot festgemacht. Seine Schuppen für Material und Verkauf stehen hier. Er schleift die Kisten voller Fisch über den Steg und die Rampen hoch zum Kühlraum. Sein Mitarbeiter nimmt die Barsche und schrubbt mit einem elektrischen Schuppenentferner über jeden einzelnen, die Schuppen fliegen zur Seite weg wie die Funken bei einer Flex.

Ein Kunde will „was für die Pfanne“. Wollna verkauft ihm 700 Gramm Barschfilet für zehn Euro. Ein geringer Preis. Er fischt nur noch für Stammkunden und zwei Restaurants aus Stralsund. „Früher sind die Kunden aus Berlin und aus dem Spreewald hergekommen“, sagt er. Wobei er mit „früher“ die 2010er Jahre meint. Die Zeit, bevor die Fangquote für Hering drastisch gekürzt wurde. 2017 durfte Wollna noch 50 Tonnen im Jahr fangen, jetzt noch 1,3 Tonnen. Er kommt nur dank staatlicher Entschädigungen über die Runden. „Das macht keinen Spaß mehr“, sagt er.

Doch er weiß auch, dass der Hering geschont werden muss. Denn dem geht es sehr schlecht. „Die kalten Winter fehlen“, sagt Wollna. Die, in denen das Wasser so kalt wird, dass die Heringe nicht zu früh aus der Nordsee zu ihren Laichgründen im Bodden schwimmen, der Kinderstube des Herings in der deutschen Ostsee. Doch wegen des Klimawandels wird das Wasser nicht mehr richtig kalt. Also ziehen die Heringe schon im Februar in den Greifswalder Bodden. Dort legen sie ihren Laich auf Seegras ab. Winzige weiße Eier, geborgen zwischen kräftigen Halmen. Winzige Heringslarven, die zwischen diesen Halmen groß werden, geschützt vor Räubern.

Eigentlich. Denn das Seegras im Wasser braucht Licht, um existieren zu können. Genauso wie Bäume, Wiesen und Sträucher an Land. Wenn das Wasser jedoch dunkler wird, bekommt das Seegras weniger Licht und stirbt ab. Entlang der deutschen Ostseeküste ist es um über die Hälfte zurückgegangen. Das verstärkt die Verdunkelung des Wassers sogar noch. Denn wenn das Seegras mit seinen Wurzeln nicht mehr den sandigen Meeresgrund stabilisiert, wirbelt dieser Sand leichter auf, wenn im Winter Stürme über die Ostsee fegen. Der Sand setzt sich auf den Halmen des übrigen Seegrases ab. Und wenn der Ostseehering seine Eier auf diesen Halmen ablegen will, rutschen sie ab. Das bedeutet weniger Nachwuchs für den Hering und weniger Beute für andere Tierarten wie den Hornhecht, Eisenenten, Bergenten oder Kegelrobben. Oder Fischer wie Claas Wollna. Ja, ihm sei aufgefallen, sagt er, dass das Wasser im Strelasund an manchen Tagen trüber ist als früher. Dann muss er los, räuchern.

Der Mann, der die Verdunkelung des Wassers an der Ostseeküste genau erforscht und in Forscherkreisen bekannt gemacht hat, ist der Meeresphysiker Oliver Zielinski. Im April 1997 war er mit dem Forschungsschiff „Meteor“ im Atlantik unterwegs. Die Mission seiner Arbeitsgruppe: das Licht und seine Wirkung im Meer zu messen. Sie ließen ihre selbstgebauten Messgeräte durch den hydrografischen Schacht des Schiffs ins Wasser herab, den „Moonpool“. Liegt seine Öffnung an Deck, spiegelt sich nachts der Mond darin. Als Zielinski vor Gran Canaria den Holzdeckel vom Moonpool hob, leuchtete ihm das Wasser klar und hellblau ­entgegen. Ein paar Tage später vor der afrikanischen Küste war es trübe und blassgrün. Er hat ­Fotos gemacht, sie wirken wie aus unterschiedlichen Meeren. Dabei lagen nur ein paar hundert Kilometer zwischen den beiden Orten. In diesen Tagen, am Moonpool der „Meteor“, sagt Zielinski, habe er seine Faszination für das Licht im Meer entdeckt.

Schuld an der Trübnis ist der Überschuss bestimmter Stoffe im Wasser, etwa durch die Überdüngung in der Landwirtschaft

25 Jahre später steht er vornübergebeugt auf einem Pier in Warnemünde und lässt eine weiße Plastikscheibe an einer Kordel in die Ostsee hinab. In Kreisen trudelt sie tiefer. „Ein Gewicht wäre gut gewesen“, sagt Zielinski und wartet. Er wartet im Nieselregen, um sein Lebensthema zu erklären. Er hat ihm einen Namen gegeben: Coastal Ocean Darkening. Die Verdunkelung der Küstenmeere.

Schließlich kann Zielinski die Scheibe im grünen Wasser gerade noch erkennen. „Das ist jetzt die sogenannte Secchi-Tiefe“, sagt er. Er schätzt sie auf zweieinhalb Meter. „Die Faustregel ist, dass das Licht dreimal so tief ins Wasser reicht. Hier am Pier also siebeneinhalb Meter tief. Das ist tatsächlich ganz gut.“ Siebeneinhalb Meter, in denen das Leben im Meer genügend Licht bekommt. Mit einer solchen Scheibe prüfte der Italiener Angelo Secchi 1865 erstmals mit System, wie tief man ins Meer hinabsehen kann: die Secchi-Tiefe.

Das klappte so gut, dass die Scheibe fast 160 Jahre später immer noch die Standardmethode ist, Licht und Dunkelheit im Wasser zu messen. Keine teure Sensorik, keine Algorithmen, keine Roboter. Nur eine weiße Plastikscheibe, so groß wie ein Pizzateller, an einer Kordelschnur. Weltweit haben Forscher damit fast eine Million Mal gemessen. Dieser Datenschatz reicht über einhundert Jahre zurück. Zielinski hat ihn geborgen, hat ihn durchwühlt und kann mit Sicherheit sagen: In den Meeren ist es heute dunkler als noch vor ein paar Jahrzehnten. Weltweit geht dem Leben unter Wasser das Licht aus. „Wir sehen es nur nicht“, sagt Zielinski, „Sie können mit einem Flugzeug über das Meer fliegen, es strahlt Sie hell an, und unter Wasser ist es trotzdem dunkel.“

Licht transportiert die Energie der Sonne zur Erde. Pflanzen brauchen es, um aus Nährstoffen, Wasser und Kohlenstoffdioxid Zucker herzustellen. Dabei bilden sie Sauerstoff, der Leben erst möglich macht, die Photosynthese. Der Großteil auf unserem Planeten geschieht davon im Meer. Dort treiben 5,4 Milliarden Tonnen an Phytoplankton. Winzige Algen, die mehr als die Hälfte des Sauerstoffs auf der Erde produzieren und der Anfang allen Lebens im Meer sind. In flachen Küstenregionen wachsen zudem Seegras und andere Pflanzen, die Makrophyten. Sie sind Nahrung, Laichgründe und Verstecke für kleinere Fische. Die dann von größeren Fischen, Vögeln und Säugetieren wie Robben gefressen werden.

Ein Quadratmeter Seegraswiese bindet doppelt so viel CO2 wie ein Quadratmeter Wald an Land. Weniger Licht in den Meeren heißt also: weniger Plankton und Pflanzen, weniger Fisch, weniger Sauerstoff, weniger CO2-Bindung. So ist es für viele Küsten der Welt nachgewiesen: die Japans und Chinas, Neuseelands und der USA, vor Singapur und in der Adria. Und auch an den deutschen Küsten. In der Nordsee hat sich die Sichttiefe seit Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1980er jedes Jahr um zwei bis drei Zentimeter verringert. Noch deutlicher war es in der Ostsee und damit auch im Greifswalder Bodden: Jedes Jahr konnte man im Durchschnitt drei bis vier Zentimeter weniger tief hineinsehen.

Verdunkelungsgefahr: die Unterwasserwelt im Greifswalder Bodden vor der Insel Vilm

„Die Sicht da unten ist wirklich miserabel“, ruft der Umweltschützer Hoffmann im Wasser des Greifswalder Boddens. Da unten, wo Seegras und Kamm-Laichkraut im grünen Nebel wabern. In den Tagen zuvor hat der Sturm Sand aufgewirbelt. Vor allem schuld am Nebel sind aber die grünen Partikel, die durch das Wasser schweben wie der erste Schnee des Winters: Phytoplankton.

Das Phytoplankton, das eigentlich alles Leben im Meer ernährt, von Garnelen bis Blauwalen. Wenn es in der richtigen Menge vorhanden ist. Das hier im Bodden aber von Nährstoffen gepäppelt explodiert – und Leben verhindert, indem es das Wasser verdunkelt.

Hoffmann klettert über eine Leiter zurück an Bord des Motorbootes, zieht Flossen, Gewichte, Schnorchel aus und nimmt ein Klemmbrett mit laminierten Seekarten und Diagrammen zur Hand. „Wir sehen hier, dass lange viel zu viel Stickstoff und Phosphor in die Ostsee eingeleitet worden ist“, sagt Hoffmann. Das stamme vor allem aus Gülle und Kunstdünger für Weizen oder Raps, Mais oder Hafer. Von Russland bis Dänemark seien die Felder über Jahrzehnte mit Nährstoffen vollgepumpt worden. Und sie werden es noch immer, in Polen etwa, sagt Hoffmann. „Und sobald es im Frühjahr warm wird, lassen diese vielen Nährstoffe das Phytoplankton und die Algen explosionsartig anwachsen.“ Was an Land düngt, düngt auch im Meer.

Und nun, im Sommer, treibt das Phytoplankton wie Schneeflocken durch alle Wasserschichten und trübt sie ein, wie in einem Aquarium, das lange nicht gereinigt wurde. „Wir wissen aus historischen Aufzeichnungen, dass die Sichttiefe hier im Greifswalder Bodden früher bis auf acht Meter runterging“, sagt Hoffmann, „jetzt sind es noch zwei bis drei.“ Auch Grün- und Blaualgen wuchern. Sie treiben auf dem Wasser und halten das Licht ab wie ein dichter Theatervorhang. Auch für Menschen sind sie schädlich und führen bei Kontakt etwa zu Reizungen der Haut. Bis die Algen absterben, absinken und sich als Schleim über Seegras und Kamm-Laichkraut legen.

„Wir wissen, dass die Sichttiefe früher bis auf acht Meter runterging. Jetzt sind es noch zwei bis drei“

Florian Hoffmann, WWF-Biologe, über den Greifswalder Bodden

Der Überschuss an Agrarnährstoffen ist eine wichtige, aber nicht die einzige Ursache der Verdunkelung im Meer. Zwei weitere sind an der Nordsee erforscht worden, in Wilhelmshaven. Dort, am Ufer des Jadebusens, stehen die Strandkörbe in der Hochsaison dicht aufgereiht. Etwas abseits befindet sich ein Turm aus Backstein, der Sitz des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres der Uni Oldenburg, kurz ICBM. Hier hat der Meeresforscher Oliver Zielinski von 2016 bis 2020 das Wie und Warum der Verdunkelung erforscht, gemeinsam mit Forschern des Koninklijk Nederlands Instituut voor Onderzoek der Zee (Nioz).

Die Forscher werteten all die Secchi-Messungen aus den hundert Jahren zuvor aus. Sie entwickelten zudem moderne Messmethoden mittels der „Argo Floats“: Tauchroboter, die selbstständig durch die Meeresschichten auf- und absteigen: bis auf 6.000 Meter unter null, und das bis zu vier Jahre lang. Mit Radiometern messen sie, wie weit das Licht eindringt, und funken die Daten nach Wilhelmshaven. Aus der Erdumlaufbahn wiederum messen Satelliten die Farbe des Meerwassers. Damit können die Forschenden dann bestimmen, wie viele Nährstoffe im Wasser sind und wie sich das auf die Lichtverhältnisse auswirkt. Dafür haben die Forschenden die Daten aus Messungen mit Secchi-Scheiben, mit Tauchrobotern und Satelliten kombiniert.

Und sie haben das Meer nachgebaut, in zwölf Kesseln aus Edelstahl, 120 Zentimeter hoch, 80 Zentimeter im Durchmesser mit einer Glasplatte als Abdeckung. 600 Liter passen in die sogenannten Planktotrons. Damit lassen sich die Verhältnisse im Meer nachbilden, verschiedene Temperaturzonen und Lichtverhältnisse inklusive. „Zusammen mit einer Regentonne, einer Pumpe und Schläuchen können wir auch die Gezeiten simulieren“, sagt Maren Striebel. Sie forscht am ICBM zu Plankton und war Teil von Zielinskis Forschungsprojekt über Coastal Ocean Darkening. Dafür befüllte sie die Planktotrons mit Wasser aus der Nordsee und Erde.

Im Trüben fischen: Wegen der gekürzten Fangquoten fischt Claas Wollna nur noch für Stammkunden und zwei Restaurants aus Stralsund

Striebel nennt diese Erde tDOM: terrigenous dissolved organic matter. Sediment, das vom Land ins Meer gelangt. Man sieht es auf Satellitenbildern: braune Massen, die sich ins Wasser ergießen. Etwa, wenn Gestein von Steilküsten abbricht, oder wenn in Flüssen wie der Ems oder der Elbe die Fahrrinne vertieft wird und tonnenweise Schlick raus in die Nordsee fließt oder dort abgeladen wird. Oder wenn nach Starkregen an Land der Boden entlang von Flüssen abbricht und bis ins Meer treibt, sich im Wasser auflöst und es verdunkelt. So als würde man einen Teelöffel mit Blumenerde in ein Glas Wasser kippen und beides zu einer braunen Brühe verrühren.

In Striebels Experiment in den Planktotrons trübte die hinzugefügte Erde das Meerwasser so ein, dass das Phytoplankton im Wasser – das hier in gesunder Menge vorhanden war – nicht mehr genug Licht bekam und weniger wurde. Das habe dann wiederum die Zahl der Mikroorganismen im Wasser verringert, die sich vom Phytoplankton ernähren. Damit war klar: Erde kann Meerwasser so weit verdunkeln, dass es dem Leben darin schadet.

Genauso ist es mit Sand. Den hat Striebel in einem zweiten Experiment mit in die Planktotrons gegeben. Ist das Wasser ruhig, setzt sich der Sand zwar am Grund ab. Doch in der Realität wird er ständig aufgewirbelt, ob durch Stürme, Schleppnetzfischerei oder Bergbau am Meeresgrund. Für das LNG-Terminal vor Rügen und den Fehmarnbelttunnel reißen Bagger den Boden auf. All das wirbelt Sand auf und verdunkelt somit das Meer.

Seegras vor der Insel Vilm. Bis vor 70 Jahren war der Meeresboden hier noch eine riesige Wiese im Meer

„Ein Mysterium lösen“: Mit diesen großen Worten hatte Oliver Zielinski die Forschung zu Coastal Ocean Darkening begonnen. Nach der jahrzehntelangen Verdunklung der Nordsee bis in die 1980er Jahre gibt es seit der Jahrtausendwende wieder etwas mehr Licht im Wasser. Das liege an besseren Kläranlagen, strengeren Auflagen für Dünger in der Landwirtschaft und dem Verbot von Phosphat in Waschmitteln. Und daran, dass die Nordsee als offenes Meer gut umgewälzt wird.

Die Ostsee aber liegt ziemlich ruhig da. „Was da einmal reingeflossen ist, bleibt lange drin“, sagt Zielinski. Seit der Jahrtausendwende habe sich die Situation zumindest nicht verschlimmert.

Doch was Umweltauflagen erreicht haben, könnte durch den Klimawandel teils zunichtegemacht werden. Auch die Ostsee wird stetig wärmer, dreimal so schnell wie Meere im weltweiten Durchschnitt, seit den 1980ern schon um 2 Grad Celsius. Das lässt Algen gedeihen. Stark­regen nimmt zu, er spült Erde aus den Flüssen ins Meer. Stürme werden stärker, sie wirbeln den Sand am Meeresgrund auf.

Oliver Zielinski sagt deshalb, dass Klimaschutz zentral ist, um global wieder mehr Licht in den Meeren zu haben. Er ist seit März 2023 Direktor des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung in Warnemünde. Nun hat er sich mit so gut wie allen anderen europäischen Experten zum Thema zusammengetan. Viele sind es nicht, rund 20 in Europa, an die 100 weltweit. „Marine Shapes“ soll ihr neues Forschungsprogramm heißen. Zielinski hofft, dass er von Warnemünde aus bald eine große internationale Forschungsinitiative koordinieren wird – und damit auch in Deutschland Medien und Po­li­ti­ke­r:in­nen derart erleuchtet, dass sie auf das fehlende Licht im Meer aufmerksam werden.