Nationalversammlung in Frankreich: Barnier hält Antrittsrede
Frankreichs Regierungschef verordnet dem Land einen Sparkurs. Er ist mit einer „extrem schlechten“ Finanzlage konfrontiert, die kaum Spielraum lässt.
Der Grund dafür ist einerseits die dramatisch verschlechterte Finanzlage. Die akkumulierte Verschuldung von 3228 Milliarden Euro sei ein „Damoklesschwert“, eine Bedrohung für die Nation. Das Haushaltsdefizit hat 6 Prozent BIP-Anteil erreicht, das Barnier mit einer Sparpolitik im kommenden Jahr auf fünf und ab 2029 auf drei Prozent senken möchte.
Niemand möchte mehr Steuern bezahlen. Barnier will und kann besonders die Einkommen aus Arbeit nicht höher belasten. Er erwägt dagegen eine Sonderabgabe für die Gewinne der Großunternehmen und die Vermögen der Reichsten im Land. Um das Defizit zu senken und es wieder auf den Kurs in Richtung der Maastricht-Kriterien zu bringen, wären laut Rechnungshof in den kommenden Jahren Einsparungen von jeweils 20 bis 30 Milliarden Euro nötig. Barnier verspricht, immer die „Wahrheit“ über die Staatsfinanzen und Wirtschaftslage zu sagen.
Barnier ist sich auch bewusst, dass es eine schwierige Mission sein wird, das Vertrauen der Franzosen und Französinnen in die Staatsführung wiederherzustellen. Er bietet dazu einen Dialog an. Seine Methode bestehe im „Zuhören, Respektieren und Diskutieren“. Die vorgezogenen Wahlen haben indes anstatt der von Präsident Emmanuel Macron gewünschten Klärung eine politisch verfahrene Situation ohne regierungsfähige parlamentarische Mehrheit geschaffen.
Abhängig von Duldung der Rechtspopulisten
Zwar ist es Barnier nach offenbar schwierigen Verhandlungen gelungen, eine Regierungskoalition aus Macronisten und den Konservativen der Partei Les Républicains zu bilden. Doch diese verfügt in der Nationalversammlung nur über ungefähr 230 von 577 Abgeordneten. Das ist eine schwache parlamentarische Unterstützung, die jede Abstimmung zu einer Zitterpartie für die Regierung macht. Die linke Opposition will die Regierung so schnell wie möglich stürzen. Sie hängt nun von der Duldung der rechtspopulistischen Opposition ab. Marine Le Pens Rassemblement National will Barniers Politik eine Chance geben, solange diese nicht gewisse „rote Linien“ überschreite.
Zu diesen Bedingungen gehört die Ausländerpolitik: „Wir werden die Einwanderung begrenzen und kontrollieren, weil sie oft unerträglich wird und dazu führt, dass wir jene nicht gut integrieren, die wir aufnehmen“, lautet Barniers Vorgabe. Eine neue Verschärfung hatte Barnier bereits angekündigt, nachdem kürzlich mehrere Kriminalfälle mit Ausländern ohne gültigen Aufenthaltsstatus als mutmaßliche Täter die Öffentlichkeit schockiert hatten. Im Zentrum der Debatte stehen Personen, die sich in administrativer Abschiebehaft befinden und Frankreich verlassen müssten, aber bleiben, weil ihre Herkunftsländer sie nicht zurücknehmen wollen.
„Ordnung, Ordnung, Ordnung!“ hatte bei seinem Amtsantritt als Devise der neue Innenminister Bruno Retailleau genannt. Er verspricht, die „Ordnung auf der Straße und an den Grenzen“ zu sichern. Namentlich wolle er „keine tätlichen oder verbalen Angriffe auf die Ordnungskräfte tolerieren“. Um seine Entschlossenheit zu untermauern, sagte er, für ihn sei „der Rechtsstaat weder sakrosankt noch unantastbar“.
Barnier hat sein Amt als Premierminister gerade angetreten und schon fragen französische Medien, wie lange er durchhalten könne und ob er sich nicht von Anfang an auf einem Schleudersitz befinde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Tierkostüme als Gefahr aus dem Westen
Wenn Kinderspiele zum Politikum werden