Krieg zwischen Israel und Hisbollah: Opportunistischer Zickzackkurs

Israels Ministerpräsident Netanjahu treibt den Krieg zu seinen eigenen Zwecken im Libanon voran. Damit bringt er die Liberalen in die Bredouille.

Benjamin Netanjahu spricht

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei seiner Rede vor der UNO-Generalversammlung Foto: Bianca Otero/ZUMA Press/imago

Berlin taz | Es war Benjamin Netanjahus üblicher Zickzackkurs, den er in dieser Woche der Welt gezeigt hat. Donnerstag früh hieß es, der israelische Ministerpräsident setze auf einen Waffenstillstand mit der Hisbollah. Die USA und Frankreich hatten einen Vorschlag dazu vorgelegt, der von der EU und zahlreichen Ländern, darunter auch Deutschland, unterstützt wird. Netanjahu soll dazu grünes Licht gegeben haben.

Doch kaum war er am Donnerstag in New York gelandet, um am folgenden Tag auf der UN-Vollversammlung zu sprechen, dementierte er: Israel werde mit voller militärischer Härte weiterkämpfen, bis die Ziele des Landes erreicht seien, unter anderem, dass die Bewohner des Nordens zurückkehren können.

Nicht zum ersten Mal hat Netanjahu seinen Kurs von seinen rechtsextremen Koalitionspartnern bestimmen lassen, allen voran vom Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir. Der drohte damit, die Regierungskoalition platzen zu lassen, sollte es zu einem Waffenstillstand kommen.

Die USA sind, gelinde gesagt, verärgert. Sie fühlen sich an die Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Gaza erinnert. Wie oft hatte Netanjahu erst an einem Vorschlag mitgearbeitet, um ihn kurz darauf als unmöglich hinzustellen. Doch Joe Bidens Demokraten sind in diesem Moment denkbar hilflos; einen handfesten Bruch mit Israel können sie sich kurz vor den Präsidentschafts­wahlen kaum erlauben.

Im Norden sind die Leute frustriert

Zu Hause in Israel kommt all dies Netanjahu zugute. „War of unity“ haben einige Kommentatoren die derzeitige Eskalation getauft, „Krieg der Einheit“. Denn tatsächlich versammelt sich hinter dem Krieg ein großer Teil der israelischen Gesellschaft.

Gerade im Norden sind die Leute frustriert. Seit fast einem Jahr ist das Leben dort lahmgelegt: seit dem 8. ­Oktober 2023, als die schiitische und vom Iran finanzierte Hisbollah-Miliz zur Unterstützung der Hamas den Norden Israels mit Raketen zu ­beschießen begann. Zehntausende sind noch immer aus ihren Ortschaften an der Grenze zum Libanon evakuiert, sie kommen seit einem Jahr in Hotels oder in temporären Wohnungen unter. Andere leben mit dem Raketenbeschuss vonseiten der Hisbollah.

Lange Zeit fühlten sich viele im Norden vom Staat alleingelassen. Wenn eine Rakete auf Tel Aviv fliegt, so hieß es, dann kümmere es die Politik, doch der Norden werde ignoriert. Doch jetzt scheint sich der Wind zu drehen.

So zumindest nimmt es Nir Yavon wahr. Wie so viele ist er dankbar für die Operationen des Militärs im Libanon. Sie würden wieder Sicherheit herstellen, davon ist er überzeugt. Nir Yavon lebt in Kfar Szold, einem kleinen Dorf nahe der Grenze zum Libanon, aber nicht nah genug, um offiziell evakuiert zu werden. „Am 8. Oktober wurde uns zwar geraten, das Gebiet zu verlassen“, sagt ­Yavon am Telefon: „Aber wir hätten alles selbst organisieren müssen und hätten keine Unterstützung vom Staat erhalten.“

Netanjahu nutzt die Stimmung

Erst jetzt habe er das Gefühl, dass „die Regierung anfängt, sich um uns zu kümmern“. Dafür ist Yavon bereit, einen Krieg mit der Hisbollah zu erdulden, auch wenn er Monate dauert oder noch länger. Benjamin Netanjahu nützt diese Stimmung. Im Norden liegen einige seiner Hochburgen – diejenigen Bewohner*innen, die sich nach dem 7. Oktober enttäuscht von ihm abgewandt haben, könnten nun dank des Krieges im Libanon zu ihm zurückkehren.

Seit einigen Tagen ist auch bis weit ins israelische Landesinnere das Leben fast zum Stillstand gekommen, denn die Hisbollah schießt Raketen bis zu 150 Kilometer ins Land hinein, regelmäßig auch nach Haifa, das etwa eine Autostunde nördlich von Tel Aviv liegt. Selbst wenn der Schaden bislang überschaubar ist – eine Rakete schlug am vergangenen Sonntag in einem Vorort der Stadt ein und beschädigte Häuser und Autos –, auf den Straßen sind kaum noch Menschen unterwegs, erzählt Liam Frankfurt am Telefon.

Er betreibt eine Kneipe in Haifa. Im Gegensatz zu anderen Bars sei sie offen, doch nur vereinzelt kommen Leute. Wie so viele Liberale sagt er, dass er keinen Krieg wolle. „Aber wenn jemand dich zerstören will, was dann? Dann kann man lange über Frieden sprechen.“ Und in Tel Aviv? Dort ist weiterhin kaum etwas zu spüren, erzählt Michael Gilad und schickt ein Foto per Whatsapp: Er sitzt in einem gut besuchten Café mit Freunden. Die Sonne scheint.

Am Mittwoch feuerte die Hisbollah zwar eine Rakete auf Tel Aviv ab, der Miliz zufolge war sie auf das Mossad-Hauptquartier gerichtet. Doch ein Raketenhagel auf die Stadt blieb vorerst aus. Von vielen wurde dies als Zeichen gedeutet, dass Milizenführer Hassan Nasrallah eine endgültige Eskalation zu vermeiden versucht. Israel kündigte eine „heftige Reaktion“ auf den Angriff an.

Eskalation macht Waffenstillstand unwahrscheinlicher

Zumindest dort, wo der Krieg bislang kaum spürbar ist, etwa in Tel Aviv, werden am Samstag wohl wieder die Massen durch die Straßen ziehen, um gegen die Regierung und für die Freilassung der Geiseln zu protestieren. Doch zum Krieg im Libanon sagen nur wenige laut und deutlich Nein. In weiten Teilen der Protestbewegung steht die Frage, ob ein Krieg gegen die Hisbollah prinzipiell gerechtfertigt ist, nicht zur Debatte. Das Problem sei der Iran, der seine Milizen rund um Israel aufrüstet und zur Vernichtung Israels aufruft, unabhängig von territorialen Konflikten.

Ob der Krieg Israel Sicherheit bringen wird, da sind sich die meisten hingegen nicht so sicher. Und sollten die Militäroperationen unter Netanjahu durchgeführt werden? „Natürlich nicht!“, heißt es. Zumal einige An­hän­ge­r*in­nen von Netanjahus radikalen Partnern nicht davor zurückschrecken, die Besetzung des Südlibanons vorzubereiten.

Der Rauch des Krieges hat der Opposition gegen Benjamin Netanjahu den Boden entzogen. Die Israelis versammeln sich im Kampf, den sie als Kampf ums Überleben wahrnehmen, hinter einem gemeinsamen Ziel. Man kann davon ausgehen, dass dies nicht nur ein Netanjahu willkommener Nebeneffekt ist, sondern Kalkül. Nur die Angehörigen der Geiseln entwickeln eine deutlichere Position. Sie befürchten, dass mit der Eskalation ein Waffenstillstand in Gaza noch unwahrscheinlicher wird und die Welt die Gefangenen angesichts des sich auszubreiten drohenden Flächenbrands vergisst.

Derweil stellen sich die Li­ba­nes*in­nen, die Israelis und die internationale Gemeinschaft die Frage, wie es weitergeht. Kommt die Bodenoffensive, wie von Armeechef Herzl Halevi angekündigt? Oder kann internationaler Druck noch einen Waffenstillstand erwirken?

Benjamin Netanjahu, so viel steht fest, hält sich sämtliche Optionen offen.

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