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Rücktritt des Grünen-VorstandsPartei ist wichtiger als Macht

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Am Mittwoch ist der Parteivorstand der Grünen zurückgetreten. Wird es mit Personal aus der zweiten Reihe besser?

Die Grünen-Spitze zieht nach den Misserfolgen der Partei bei mehreren Wahlen personelle Konsequenzen Foto: Fabian Sommer/dpa

O mid Nouripour ist Fan von Eintracht Frankfurt und erzählt das jedem, der es nicht hören will. Versuchen wir es am Tag, an dem er und Ricarda Lang ihren Rücktritt vom Grünen-Vorsitz angekündigt haben, also mit einer Fußball-Metapher: Im Frühjahr 2016 entließ die Eintracht nach sieben sieglosen Spielen ihren Trainer Armin Veh, es übernahm Niko Kovač und der Schuss saß. Am Saisonende stand der Klassenerhalt und zwei Jahre später der Gewinn des DFB-Pokals. Meistens aber führen Verzweiflungstaten im Abstiegskampf in die andere Richtung. 2001 schmissen die Hessen Felix Magath raus, mit dem Nachfolger ging es trotzdem in Liga 2.

Wenig spricht dafür, dass es für die Grünen durch ihren Personalwechsel anders läuft. Natürlich gab es am Parteivorstand fundierte Kritikpunkte: Die Kampagne zur Europawahl war langweilig. Wofür Nouripour inhaltlich steht, weiß niemand. Und Lang hat zwar ein klares sozialpolitisches Profil, vermochte es aber auch nicht, damit gegen das Klischee der Gutverdienerpartei durchzudringen.

Einwände dieser Kategorie ließen sich aber genauso gegen das übrige grüne Spitzenpersonal finden. Manchmal scheitert das reibungslose Regieren der Ampel an nörgelnden Grünen-Abgeordneten. Haben die Fraktionschefinnen ihren Laden nicht im Griff? In der Bevölkerung hängt den Grünen weiterhin Habecks Heizungsgesetz nach. Ist der Vizekanzler eine Bürde? Man könnte das Personaltableau reihum auf solche Makel abklopfen, helfen würde es auch nicht. Das Problem der Grünen sind nicht primär die Köpfe, und Wäh­le­r*in­nen werden nicht zurückkehren, nur weil in der Parteizentrale künftig jemand anderes aus der zweiten Reihe sitzt.

Deutschland muss transformiert werden

Das größte Problem für grüne Politik sind die Umstände: Das Land muss transformiert werden. Die Menschen haben vor lauter Krisen aber keine Lust darauf, verändert zu werden. Bewegen lassen sie sich höchstens, wenn die Härten gut abgefedert werden. Dafür braucht es aber Geld aus neuen Steuern oder Krediten, die es in dieser Koalition nicht geben wird.

„Jetzt ist nicht die Zeit, am eigenen Stuhl zu kleben“, sagte Lang am Mittwoch. Der Rücktritt als Symbol, das die Kehrtwende einleiten soll, könnte aber schnell verpuffen. Viel mächtiger wäre der radikalere Schritt: Die Grünen verlassen die Regierung. Sie senden damit die Botschaft, dass der Partei als Ganzes die Sache wichtiger ist als die Macht. Und sie stellen ihr Angebot, mit dem sie in der Ampel nicht durchkommen, ein Jahr früher als geplant neu zur Abstimmung. Dadurch könnte viel eher ein Momentum entstehen als durch den Personalwechsel.

Ein Risiko im aktuellen politischen Klima? Natürlich. Ein Koalitionsbruch könnte auch schiefgehen, bei Neuwahlen könnten die Grünen weiter schrumpfen. Die Union regiert hinterher mit der SPD und Friedrich Merz lässt von der Schuldenbremse trotzdem nicht ab. Aber dass die Grünen all das bei regulären Wahlen in einem Jahr abwenden und ihren Abwärtstrend stoppen, ohne ans Grundproblem zu gehen – das ist auch eine gewagte Wette.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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9 Kommentare

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  • Koalitionsbruch wäre politischer Selbstmord. Man würde von allen, von den man nicht gelobt werden will - CDU, AfD, BSW -, für seine "Einsicht" und sein "Staatspolitisches Verantwortungsbewusstsein" gelobt, eigentlich verhöhnt. Die dann Ex-Partner wären sauer und würden den Grünen den Verlust eines Jahres "verantwortungsvoller Politik" vorwerfen.



    Man wird die Suppe nun schön zu Ende auslöffeln, auch wenn es keinen Spass mehr macht. Dass die Grünen sich die Ampel mit der FDP überhaupt gegeben haben, dass sie es wenigstens versuchen wollten, ihre Ideen mit dieser Behinderung umzusetzen, muss man ihnen eigentlich anrechnen. Konnte aber fast nur schiefgehen.

  • Was ist hier eigentlich gelaufen? Nouripour und Lang haben doch einen sehr guten Job gemacht! Bauernopfer für Habeck und Baerbock? Die Wahlniederlagen im Osten haben doch eher Baerbock und Habeck zu veranworten. Vor allem beim Thema Frieden im Nahen Osten und in der Ukraine hat Baerbock's Pendeldiplomatie kaum etwas gebracht.



    Stattdessen plädiert sie für massive Aufrüstung, ohne parteiinterne Kritik.



    Jetzt also Ruck weiter nach rechts bei den Grünen mit der vollkommen unbekannten Franziska Brantner (Adlata von Habeck) und einer weiteren Person aus der zweiten Reihe? Ist nicht viel eher das Problem, dass nicht klar ist, wofür die Grünen eigentlich stehen, weil sie in der Ampel immer wieder einkickten?



    Erinnern wir uns an das brutale Abräumen von Lützerath durch die zuständige Grünen-Ministerin in NRW, den kalten Putsch aus dem Umfeld von Habeck gegen Hofreiter, der eigentlich für das Landwirtschaftsministerium vorgesehen war. Statdessen Özdemir, der dann kein Problem mit dem Pflanzenschutzmittel Glyphosat in der hatte usw. usw. . Läuft alles auf eine grüne rechtsblinkende Partei wie im Ländle mit Habeck als Kanlerkandidat heraus, weil man auf eine Koalition mit der CDU schielt?

  • Erfolg hat vieleEltern - aber der Misserfolg bei den letzen Wahlen wird auch bei den Grünen ein Waisenkind sein.



    Und der Kampf in den lLagern wird jetzt richtig losgehen.



    Ich bin gespannt obder kampf bis zu den BT-Wahlen beendet ist.

  • "Wenig spricht dafür, dass es für die Grünen durch ihren Personalwechsel anders läuft."



    Das kann man so sehen und ich teile diese Meinung. Die einstige Friedens- und Umweltpartei hat ihre Front komplett überdehnt: von Hofreiter der gefühlt mehr Ahnung von Waffen hat als ein Vorstand bei Rheinmetall bis hin zu Habeck, der 25 Gigawatt Gaskraftwerke als Reserve bauen lassen will, Flüssiggasterminals in Naturschutzgebiete bedenkenlos den Weg ebnet, etc



    Wie gesagt, Friedens- und Umweltpartei...



    Das alles haben Nouripour und Lang nicht in der Hand und auch nur (sehr) begrenzt zu verantworten. Sie sind sprichwörtlich Bauernopfer - einer muss den Kopf hinhalten, so ist das Geschäft.



    Dennoch, in Bezug auf Frau Lang: keinen erlernten Beruf, kein abgeschlossenes Studium. Ein Abitur und 8 Jahre an einer Uni eingeschrieben, das wars.



    Wie so etwas zu höchsten Ämtern befähigen kann fragt sich außerhalb der Grünen Fanbase jeder Bürger quasi seit Amtsantritt.



    Wahr ist auch Frau Lang erfuhr zeit während Hetze, fat shaming, Misogynie - ihre katastrophalen TV-Auftritte (von keiner Ahnung über die Durchschnittsrente bis hin zu Ernährungstipps) trugen dazu bei.



    Das Nouripour mitgeht ist bedauerlich.

  • Lang hatte schlicht keine Chance mehr. Die Propaganda gegen sie ist einfach zu heftig. Die österreichische Kabarettistin (!) Lisa Eckhart erzählt auf der Bühne, aus Lang "tropfe Fett" und dergleichen Haarsträubendes. Die Kampagnen gegen die Grünen insgesamt, vor allem von CDU/CSU, haben das Klimaprojekt diskreditiert. Da wird nichts mehr laufen. Insofern gebe ich dem Autor recht.

  • Wieso sollten ausgerechnet "Leute aus der zweite Reihe" den Parteivorstand übernehmen ? Das könnten ja auch mal wieder die machen, die eh für die Grünen stehen und ihre prominenten Gesichter sind, Robert Habeck, Annalena Baerbock, Cem Özdemir und Steffi Lemke haben die Kabinettsposten inne und es ist ja schon ungewöhnlich, dass solche Vorkämpfer einer Partei sich aus dem Parteivorstand komplett heraushalten ! Üblicherweise ist der/ die Parteivorsitzende auch in herausragendem Ministeramt tätig, also um die Grünen wieder etwas mehr in die Vorwärtsbewegung zu bringen, wäre das wahrscheinlich keine falsche Idee - auch wenn es mit der hochgehaltenen Trennung von Amt und Mandat kollidiert, aber diese Grundsätze werden ja seit Jahr und Tag Stück für Stück geschliffen.

    Und jetzt vorzeitig die Koalition aufzukündigen wäre so ziemlich der größte Blödsinn, den man sich vorstellen kan - es liegen noch etliche Projekte bereit, die in die Wege zu bringen sind, das zu tun tut Not, das unverantwortlichste wäre, jetzt dem Olaf und Christian die Brocken vor die Füße zu werfen, unmöglich ! Der Letzte, der geht, ist ein*e Grüne*r !

  • Na viel Glück bei der Suche. Nach Leuten, die - hoffentlich - deutlich weniger konsensorientiert, pragmatisch und flexibel sind.

  • Oh Gott, wie können die Grünen den Abzug der hochkompetenden Führung kompensieren? Wer sich in der Krise duckt, war wohl eh falsch in der Position.

  • Wichtiger als Partei ist Glaubwürdigkeit und Kompetenz



    Und das fehlt in der ehemaligen Friedenspartei seit Joschka.

    Und Toleranz mit der Meinung Andersdenkender

    Das können sich auch einige andere aufschreiben. Ich hoffe, man/frau weiß in diesen Gefilden, wer sich angesprochen fühlen sollte.