Aktivistin über Klimastreiks: „Wir brauchen diese Konstante“
Fridays for Future ruft am Freitag zum Klimastreik auf, auch wegen der Landtagswahl in Brandenburg. Die Bewegung sei noch lange nicht am Ende, sagt Darya Sotoodeh.
taz: Frau Sotoodeh, Fridays for Future ruft zum Internationalen Klimastreik auf. Gleichzeitig gibt es mit dem Hochwasser wieder ein Extremwetterereignis, das mit dem Klimawandel zusammenhängt. Mobilisieren solche Ereignisse noch oder ist das längst Alltag?
Darya Sotoodeh: Für diejenigen, die jetzt von der Flut betroffen sind, wird das nie Alltag sein, denn es ist enorm viel Schaden entstanden. Menschen sind gestorben, andere haben ihre Angehörigen verloren. Daran gewöhnt man sich nicht. Und obwohl Extremereignisse sich häufen und gesamtgesellschaftlich ein gewisser Gewöhnungseffekt eintritt, haben die Hochwasser Menschen aufgerüttelt und dem Klimawandel wieder mehr Aufmerksamkeit verschafft.
geboren 1997, ist Sprecherin von Fridays for Future Deutschland.
taz: Was fordern Sie?
Sotoodeh: Von Politiker*innen erwarten wir, dass sie das Ausmaß und die Gefahr der Klimakrise jederzeit ernst nehmen. Dass sie nicht nur in betroffene Gebiete fahren, wenn Menschen gestorben sind und dort große Versprechungen machen und gleichzeitig Klimaschutzziele aufweichen.
taz: Im Wahlkampf in Thüringen und Sachsen hat der Klimawandel kaum eine Rolle gespielt, in Brandenburg ist es ähnlich. Rechtsextreme verzeichnen Zugewinne, die Grünen gelten als Feindbild. Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Wahlen?
Sotoodeh: Die Ergebnisse sind schockierend, obwohl sie keine Überraschung sind. Viele Menschen, auch in unserer Bewegung, fühlen sich jetzt verständlicherweise weniger sicher in diesem Land. Wir sehen eine große soziale Ungerechtigkeit in Deutschland. Menschen können ihren Wocheneinkauf nicht mehr bezahlen, das kenne ich selbst. Die AfD instrumentalisiert das Gefühl von Angst und Frust, das daraus entsteht. Sie macht es sich leicht, indem sie auf Sündenböcke zeigt, denn einfache Erzählungen ziehen in Krisenzeiten. Andere Parteien lassen sich mitziehen, passen ihre politischen Maßnahmen an rechte Forderungen an.
taz: Aber noch mal: Was bedeutet das für Fridays for Future?
Sotoodeh: Wir haben gelernt, dass wir nicht auf jede Provokation eingehen müssen und uns nicht um offensichtliche Falschaussagen und Scheinlösungen drehen sollten. Denn die wahren Gründe für soziale Ungerechtigkeit liegen woanders: Die Politik investiert zu wenig in Soziales, stattdessen erhalten Konzerne jährlich Milliarden Euro Steuergeschenke und Subventionen. Wir müssen über das sprechen, was wirklich wichtig ist. Wir wollen, dass Menschen nicht ständig Geldsorgen haben, dass sie in Sicherheit leben können und keine Angst haben müssen, nächste Woche selbst von einem Hochwasser betroffen zu sein. Dafür haben wir klare und umsetzbare politische Forderungen.
taz: In Umfragen gibt eine Mehrheit an, wegen der Klimakrise besorgt zu sein. Deutlich weniger Menschen blicken positiv auf die Klimaproteste. Muss sich Ihre Strategie ändern?
Sotoodeh: Ich glaube, es ist wichtig, dass wir die Konstante der Klimaproteste weiter liefern. Es gehen Hunderttausende mit uns auf die Straße, das ist immer noch der größte Klimaprotest Deutschlands. Wir müssen der Politik zeigen, dass wir immer wiederkommen werden, wenn sich nichts ändert. Und es hat sich auch viel bewegt: Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass Klimaschutzmaßnahmen nachgeschärft werden müssen. Gleichzeitig gibt es immer wieder Rückschläge, das Klimaschutzgesetz wurde wieder aufgeweicht. Das Wichtigste ist, dass wir eine breite Unterstützung für unsere geforderten Maßnahmen erreichen.
taz: Anfang 2024 hat Fridays for Future sich im Bündnis #Wirfahrenzusammen mit streikenden Beschäftigten im Nahverkehr zusammengetan. Was ist davon geblieben?
Sotoodeh: Es konnten in einigen Betrieben bessere Bedingungen für Bus- und Bahnfahrer*innen ausgehandelt werden. Und wir konnten ein Bündnis zwischen Arbeiter*innen und der Klimabewegung schaffen. Das hat gezeigt, dass wir sehr gut zusammen für unsere Rechte einstehen können, dass es gemeinsam besser funktioniert. Das ist wichtig gegen rechte Parolen, die immer wieder behaupten, wir würden das Leben der arbeitenden Bevölkerung nicht verstehen. Das Beispiel #Wirfahrenzusammen zeigt auch, wie einfach es wäre eine sozial gerechte und klimafreundliche Gesellschaft gleichzeitig zu gestalten.
taz: Wie geht es jetzt weiter?
Sotoodeh: Wir wollen uns weiterhin mit Gewerkschaften verbinden, auch in der Automobilbranche, wo es inhaltlich erst mal schwerer ist. Denn auch da gibt es Ansätze für eine Transformation und Lösungen, bei denen gute Arbeitsplätze erhalten bleiben oder neue entstehen. Außerdem vernetzen wir uns mit Initiativen für eine gerechtere Wohnungspolitik, zum Beispiel mit dem Bündnis gegen Verdrängung #Mietenwahnsinn, bei deren Demo wir als Fridays for Future dabei waren. Dann engagieren wir uns noch für das Bündnis Soziale Wärmewände, das Klima und die Wohn- und Wärmewände direkt verbindet.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autoritäre Auswüchse beim BSW
Lenin lässt grüßen
Prozess zum Messerangriff in England
Schauriger Triumph für Rechte
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Rückgabe von Kulturgütern
Nofretete will zurück nach Hause
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument