piwik no script img

„The Substance“ im KinoDas System in die Luft sprengen

In Coralie Fargeats „The Substance“ tritt Demi Moore gegen eine jüngere Version ihrer selbst an. Kompromisslos rechnet der Film mit Jugendwahn ab.

Schonungslos auch mit der Hauptdarstellerin: Demi Moore als Elisabeth Sparkle in „The Substance“ Foto: Mubi

In der Unterhaltungsindustrie hat Schönheit ein Ablaufdatum. Bei Elisabeth Sparkle (Demi Moore) ist es der 50. Geburtstag. An jenem Tag wird die Schauspielerin, die wie ihr Stern auf dem Hollywood Walk of Fame schon bessere Zeiten erlebte, kurzerhand aus ihrer Fitness-Sendung geworfen. Das Publikum erwarte einen jüngeren Körper vor der Kamera, man müsse auf die Quoten achten, und schließlich sei man auch dem Wohlwollen der Aktionäre verpflichtet. In wenigen Sätzen knallt ihr der widerwärtige Produzent Harvey (Dennis Quaid) das Ende ihrer Karriere hin.

Die französische Regisseurin Coralie Fargeat lässt in „The Substance“ den Body-Horror, der sich im Laufe der zweieinhalb Stunden Spielzeit bis ins Unerträgliche hochschraubt, bereits zu Beginn des Films ausgesprochen ekelhaft in Erscheinung treten. In einem Nobelrestaurant sitzt Elisabeth ihrem Chef gegenüber und muss die Schmach des Rauswurfs über sich ergehen lassen. Die Weitwinkelkamera ist nur wenige Zentimeter von Harveys Gesicht entfernt, während er sich in Butter getunkte Garnelen in den Mund schiebt und auf so schmierige wie sexistische Art Elisabeths Karriereende besiegelt.

Dennis Quaids tiefes und grandios selbstgefälliges Lachen, die Close-ups seiner fettüberzogenen Lippen und das hochskalierte Schmatzen erzeugen einen Body-Horror ganz eigener Art. Für Demi Moore sei es gar eine der ekelerregendsten Szenen des Films, wie sie kürzlich in der Talkshow „Late Night with Seth Meyers“ erzählte.

Eine mysteriöse Droge

Der Film

„The Substance“. Regie: Coralie Fargeat. Mit Demi Moore, Margaret Qualley u. a. Vereinigtes Königreich/USA/Frankreich 2024, 140 Min.

Als Elisabeth wenig später eine mysteriöse Droge mit dem Namen „The Substance“ angeboten wird, sieht sie darin den Ausweg aus ihrem Niedergang. Mit der Droge soll es möglich sein, durch Replikation der eigenen Zellen eine bessere Version seiner selbst zu werden. Solange man sich an eine Regel hält: Das alte und neue Selbst müssen sich im Wochentakt abwechseln. Eine Regel, die selbstredend nicht eingehalten wird.

Ein Telefonat mit einer ano­nymen Stimme genügt, und nach wenigen Tagen holt Elisabeth das Paket mit diversen Flüssigkeiten, Spritzen und Schläuchen in einem Schließfach ab. Damit beginnt der groteske Wahnsinn. Nach der Injektion der Substanz schält sich aus ihrem aufbrechenden Rücken ein jüngeres Pendant ihrer selbst heraus.

Das, was folgt, ist eine kompromisslose Abrechnung mit dem Sexismus, Schönheits- und Jugendwahn einer ganzen Unterhaltungsbranche. Die „Neugeborene“ mit dem Namen Sue (Margaret Qualley) entspricht mit ihrem wohlgeformten Körper ganz dem erwarteten Schönheitsideal. Während Elisabeths nackter Körper in einer Art komatösen Zustand auf dem Boden ihres Badezimmers liegt, wird Sue als ihre Nachfolgerin für die Fitness-Show gecastet. Der Chef und seine männliche Entourage sind hin und weg.

Pakt mit dem Teufel

Das gigantische Werbebanner vor Elisabeths mondänem Luxusapartment mit Panoramablick auf Los Angeles ziert schon bald nicht mehr ihr in hautengem Bodysuit gekleideter Körper, sondern der von Sue. Der Frauenkörper als schnell auszusortierende Ware. Wer nicht mehr jung und sexy ist, fliegt raus. Für Elisabeth, die nichts anderes als die sexualisierte Zurichtung ihres Körpers kennt, ist die Einnahme der Substanz ihr Pakt mit dem Teufel.

Mit Lust am Voyeurismus stellt die Kamera die Frauenkörper gegenüber, den jungen und den gealterten

Die Welt, die Fargeat uns zeigt, ist eine anachronistische. Die Geschichte scheint zwar im Jetzt zu spielen, zumindest deuten Smartphones und Flachbildfernseher darauf hin, doch ein Aspekt fehlt in diesem Kosmos: die sozialen Medien. Das Showbusiness im Fernsehen ist hier nach wie vor der dominante Akteur der Unterhaltungsindustrie.

Mit großer Lust am Voyeurismus stellt die Kamera die beiden Frauenkörper gegenüber. Hier der junge, straffe und makellose Körper von Sue, dort jener von Elisabeth mit seinen von der Zeit gezeichneten Hautfalten und Dellen. Den Aufstieg Sues als neuer Star am TV-Firmament zeigt Fargeat dabei mit provokanten Bildern.

Es ist ein male gaze, den sie mit ihrem Film demontieren möchte und zugleich perpetuiert. Beim Duschen tastet die Kamera Sues pralle Brüste und ihre geschwungenen Kurven lustvoll ab, immer wieder wird sie von hinten in ihren Schritt gefilmt, und wenn sie sich beim Tanzen nach vorne bückt, starrt die Kamera genüsslich durch die Beine hindurch.

Überzeichnete Mediensatire

Coralie Fargeats überzeichnete Mediensatire folgt der Logik eines dramaturgischen Exzesses, der für seine Figuren weder Läuterung noch Erbarmen kennt. Vielmehr möchte der Film das ganze System in die Luft sprengen. Das ist über weite Strecken enorm unterhaltsam und man schlägt ob der wahnwitzigen, geradezu hanebüchenen Ideen, mit denen Fargeat Elisabeths Körper malträtieren lässt, die Hände über den Kopf. Der Body-Horror, der in grandios durchgestylten und beengten Kulissen in Szene gesetzt wird, baut sich immer weiter auf, ehe er in einem großen Finale eskaliert.

Demi Moore, die in den letzten Jahren kaum mehr in großen Kinorollen zu sehen war, feiert mit ihrer schonungslosen Darbietung ein fulminantes Comeback. Dabei verliert sich der überlange Film zuweilen in Redundanzen. Fargeat, die für „The Substance“ in Cannes den Preis für das beste Drehbuch gewann, verbeugt sich unverhohlen vor den großen Klassikern des Horrors. Das Overlook Hotel in Stanley Kubricks „The Shining“ wird ebenso zitiert wie Brian De Palmas furiose Blutorgie in „Carrie“.

„The Substance“ ist ein unverschämtes und ausschweifendes Stück Genrefilm, das jegliche Form von Zurückhaltung und Nuanciertheit über Bord wirft. Das mag man entweder als ein großartiges, bitterböses Spektakel goutieren oder als eine etwas substanzlose Medienkritik abtun.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Souverän zum eigenen Alter stehen - gar nicht so einfach, aber letztlich ein Schlüssel zum Glück. Wenn ich mit 50 wie ein/e 50-Jährige/r aussehe, dann sollte dies das Normalste auf der Welt sein. Alles andere bedeutet Stress.