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Das Handwerk in der Krise„Sechs Nacktbild-Kalender“

Zum Tag des Handwerks berichten drei Frauen von ihren Erfahrungen. Fazit: Die Branche muss sich radikal verändern, wenn sie eine Zukunft haben möchte.

Deutsches Handwerk: sexistische Kommentare, die sich manchmal bis zu Morddrohungen steigern Foto: imago

Yantin Fleischhauer, 24, Tischlerin in Leipzig

Ich bin Tischlerin und habe vor einem Jahr meine Ausbildung abgeschlossen. Ich mag es sehr, mit Holz zu arbeiten. Dass ich jetzt den Abschluss habe, war nicht gerade einfach. Denn mir ist schon zu Beginn der zweijährigen Ausbildung aufgefallen, dass hier etwas gewaltig schief läuft.

In meiner Berufsschule herrschte ein autoritärer und respektloser Ton. Besonders schlimm fand ich die sexistischen und rassistischen Vorfälle. Ein Lehrer witzelte, dass es einfacher wäre, mit einem Schlagstock durchzugreifen, und Schü­le­r*in­nen mit Migrationshintergrund wurden regelmäßig diskriminiert, weil sie etwa die Aufgaben nicht direkt verstanden, auch das N-Wort wurde benutzt. Die Lehrmaterialien sind voller Stereotype, man fühlt sich wie in den 50ern: Männer sind immer die aktiven Handwerker, während Frauen im Hintergrund oder am Herd zu sehen sind.

Als eine von wenigen weiblich gelesenen Personen an meiner Schule fühlte ich mich oft allein. Ich war am Ende meiner Ausbildung die einzige in meiner Klasse von zwanzig Auszubildenden. Ich finde es super frustrierend, dass FLINTA-Personen im Handwerk immer noch eine Seltenheit sind.

Tag des Handwerks

Zum Tag des Handwerks am 21. September hat das Azubihilfe Netzwerk Aktionen geplant.

Info unter: https://www.azubihilfe-netzwerk.de/2024/08/29/wir-werden-laut/

Auch in meinem Betrieb war es nicht einfach. Ich musste ständig dafür kämpfen, dass ich überhaupt Arbeiten machen durfte, bei denen ich etwas lernen konnte, anstatt nur zu fegen oder zu streichen. Betriebe werden nicht genügend geprüft, ob sie überhaupt die nötige Voraussetzung erfüllen, Azubis eine anständige Ausbildung zu bieten. Ich hätte fast hingeschmissen, aber bin jetzt froh, dass ich nicht aufgegeben habe. Auf einem bundesweiten Tisch­le­r*in­nen­tref­fen vor zwei Jahren traf ich auf viele andere FLINTA-Personen, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Da ist mir zum ersten Mal richtig klar geworden: Das, was ich erlebe, ist kein Einzelfall. Wir haben uns dann schon auf dem Treffen entschieden, das Azubihilfe Netzwerk zu gründen, um andere Auszubildende zu unterstützen und uns gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen im Handwerk starkzumachen.

Im Fokus stehen marginalisierte Gruppen, wie etwa FLINTA-Personen oder Menschen mit Behinderung. Wir bieten unabhängige Beratung und rechtlichen Beistand. Dinge, die die Handwerkskammern uns Azubis leider nicht ausreichend bieten. Es ist wichtig, dass wir alle unsere Rechte kennen, denn oft werden wir von den Betrieben als billige Arbeitskräfte ausgebeutet. Viele verdienen in der Ausbildung kaum genug zum Leben und sind in Abhängigkeit von ihren Betrieben gefangen. Ich habe zum Beispiel in meiner Ausbildung nur rund drei Euro die Stunde verdient.

Eine unserer zentralen Forderungen ist, dass Lehrkräfte diskriminierungssensible Schulungen bekommen. Wir brauchen mehr Mitspracherecht in den Betrieben und gerechte Entlohnung. Außerdem fordern wir, dass unser Netzwerk finanziell gefördert wird, damit wir unsere Arbeit fortsetzen können. Aktuell arbeiten wir alle ehrenamtlich, aber es wird immer deutlicher, dass der Bedarf sehr groß ist.

Louisa Kolzau, 28, Bootsbauerin aus Usedom

Die Ausbildung, die ich gerade mache, ist super vielfältig. Wir bauen Boote neu, oder restaurieren alte. Besonders cool finde ich, dass ich hauptsächlich mit Holz arbeite, aber es gibt auch Metall- und Kunststoffarbeiten, je nach Betrieb. Bei uns in der Werft machen wir oft Workshops, in denen Teilnehmende ihr eigenes Boot bauen können. Das finde ich toll, weil es zeigt, wie handfest und kreativ dieser Beruf ist.

Was ich besonders schätze, ist der angenehme Umgang in unserem Betrieb. Wir sind vier Frauen und drei Männer. Meine Chefin ist großartig – wir reden auf Augenhöhe. Das ist leider in anderen Werften anders, wo es noch typisch männliche Dominanz gibt. In meiner Berufsschulklasse sind überraschend viele Frauen, sieben von 21 – das ist aber die Ausnahme. Auch an meiner Berufsschule tut sich in letzter Zeit ein bisschen was: Zum Beispiel haben die Schü­le­r*in­nen unter die männliche Form an den Türen einfach noch ein ‚Sternchen-Innen‘ dran geschrieben. Die Lehrer bemühen sich auch, zum Beispiel um moderneres Lehrmaterial.

So toll die Arbeit auch ist, die Bezahlung ist eine Katastrophe. Ich bekomme im ersten Lehrjahr den Mindestlohn, also knapp 490 Euro. Zusätzlich noch Berufsausbildungshilfe (BAB) vom Amt, damit darf ich am Ende des Monats aber null Euro auf dem Konto haben. Viele müssen ihre Heimat verlassen, weil die Bootsbaubetriebe oft in Wassernähe sind, und das heißt, man muss Miete zahlen und für seinen Lebensunterhalt sorgen. Einige müssen sich sogar verschulden, um die Ausbildung überhaupt durchzuhalten. Die BAB hängt vom Einkommen der Eltern ab. Wenn die zu viel verdienen, kriegt man nichts.

Ein riesiges Problem sind die Kosten, die für die Unterbringung bei der Berufsschule entstehen. Die einzige Berufsschule für Bootsbau in Deutschland ist in Lübeck, und wir müssen für unsere Schulblöcke natürlich irgendwo in der Nähe unterkommen. Es gibt ein Internat, aber das kostet 37 Euro pro Nacht. Einige aus meiner Klasse schlafen bei Wind und Wetter draußen im Wald, weil sie sich das nicht leisten können. Meine Eltern haben mir Geld geliehen, damit ich mir ein Wohnmobil kaufen konnte. In dem wohne ich jetzt full time und spare die Miet- und Internatskosten. Die Schulden muss ich nach meiner Ausbildung tilgen. Manche haben Glück, dass der Betrieb die Internatskosten übernimmt, aber das ist keine Pflicht. Von der BAB werden diese Kosten nicht gedeckt und Förderungen für die Berufsschule sind Ländersache. Und das ist ja das Verrückte: Alle wollen, dass wir Fachkräfte werden, aber es gibt so wenig Unterstützung. Da frage ich mich manchmal schon, warum sich die Leute dann wundern, dass immer weniger in solche Berufe gehen.

Anna Malli (Name geändert), 21, Mechatronikerin in Leipzig:

Mich hat Technik schon immer interessiert, deshalb wollte ich die Mechatronikausbildung machen. Das war ein harter Weg, besonders weil ich im ersten Betrieb sehr schlechte Erfahrungen gemacht habe. Ursprünglich habe ich in einer kleinen Firma auf dem sächsischen Land angefangen, aber dort wurde ich kaum betreut. Meinen Ausbildungsleiter, der Chef des Betriebs, habe ich nur gesehen, wenn ich mal eine Unterschrift brauchte.

Das eigentliche Problem hatte ich jedoch in der überbetrieblichen Lehrwerkstatt, wo ich die meiste Zeit verbrachte. Dort herrschte ein extrem feindliches Umfeld. Eine Gruppe von etwa fünf Azubis, mit denen ich da für Monate Lehrgang hatte, waren bekennende Nazis. Die haben mich als Frau nicht ernst genommen. Es begann mit abfälligen, sexistischen Kommentaren, doch das steigerte sich bis hin zu Morddrohungen. Die Ausbilder haben das entweder nicht bemerkt oder es ignoriert. Ich habe mich entschieden, nichts zu sagen, um die Situation nicht noch weiter eskalieren zu lassen. Rückblickend war das wohl die einzige Möglichkeit, durchzukommen.

Ich habe dann beschlossen, den Betrieb zu wechseln, aber das ist nicht so einfach. In Deutschland kann man eine Ausbildung nicht einfach so in einen anderen Betrieb verlagern, weil der Vertrag, der über die Handwerkskammer läuft, das nicht vorsieht. Ich musste meinen Betrieb überzeugen, mir einen Aufhebungsvertrag zu geben. Zunächst wollte man mich nicht gehen lassen, und die Sachbearbeiterin im Betrieb gab mir falsche Informationen – sie behauptete, ich könnte einfach kündigen und die Ausbildung fortsetzen. Hätte ich das getan, hätte ich jedoch meine ganze Ausbildung abbrechen müssen.

Am Ende hat der Wechsel funktioniert, aber es war ein zäher Kampf. In meinem neuen Betrieb in Leipzig lief es viel besser. Ich wurde endlich ernst genommen. Dort gibt es auch eine Jugend- und Auszubildendenvertretung, was in kleineren Betrieben oft fehlt. Diese Vertretung achtet darauf, dass die Rechte von Azubis eingehalten werden – etwa bei der Schutzkleidung oder den Arbeitszeiten. Ich bin mittlerweile selbst Teil dieser Vertretung und setze mich dafür ein, dass die Arbeitsbedingungen besser werden.

Wenn ich zurückblicke, frage ich mich manchmal, warum ich überhaupt so lange in der Ausbildung geblieben bin, vor allem nach den schrecklichen Erfahrungen. Ich wollte aber den Beruf wirklich lernen. Viele Frauen, die mit mir angefangen haben, haben die Ausbildung abgebrochen, weil sie den ständigen Sexismus und das feindliche Umfeld nicht mehr ausgehalten haben. Es gibt viele Arbeitsplätze, die für Frauen einfach nicht ausgelegt sind – oft fehlt es schon an einfachen Dingen wie Frauenumkleiden oder Toiletten. Ich war mal in einer Abteilung, da hingen sechs Nacktbild-Kalender nebeneinander. Viele Betriebe sehen keinen Grund, daran zu rütteln. Doch wenn wir mehr Frauen in Industrie und Handwerk wollen, müssen sich diese Strukturen dringend verändern.

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13 Kommentare

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  • Eine Schülerin erzählte mir, dass sie so gerne Mechatronikerin geworden wäre. Sie kann schon vieles am Auto machen, aber die Betriebe haben nicht mal auf ihre Bewerbungen geantwortet. Das einzige Bewerbungsgespräch, das sie hatte, war merkwürdig: wenn sie nicht die Hand ausgestreckt hätte und die Männer angesehen hätte, hätte es keinen Händedruck oder einen geraden Blick gegeben. Und das im Jahr 2024 - allerdings auf dem Land (Schleswig-Holstein). Sie macht jetzt notgedrungen eine andere Ausbildung. Aber sie würde viel lieber in der Autowerkstatt arbeiten. Ich kann das Gerede über unmotivierte Jugendliche nicht mehr hören.

  • 2 Tipps wegen der Nackt Kalender : Häng einen mit richtig nackten Kerlen daneben. Das gibt erst empört irritierte Blicke. Dann verschwinden irgendwann alle Bilder....



    2. "Die Bilder in dem Kalender kenn ich, aber der Kalender damals war von 1995. Die Damen dürften inzwischen Ü50 sein und sich über ihre Enkel freuen."



    Den Spruch kriegen die Kerle nicht mehr aus dem Kopf. Der sexistische Blick ist dann weg und der Kalender verschwindet auch bald.

  • Handwerk und Frauen ist meistens immer noch ein UFO. Aber auch die Behandlung der Jungs ist häufig angelehnt an Einstellungen aus dem äääh Mittelalter. Es gibt immer noch reichlich Firmen in denen Azubis drei Jahre lang vorallem eingesetzt werden um die Drecksarbeiten zu erledigen und wenn Lehrlinge versuchen die Firmen zu wechseln werden von Innung und allen Meistern in der Gegend dagegen gemauert.

  • In den kleinen Handwerksbetrieben mit 5-20 Beschäftigten, steht und fällt die Ausbildung mit dem Chef bzw. Ausbilder. Ist er engagiert, empathisch und rücksichtsvoll, verläuft die Ausbildung meist auch positiv. Ist er aber ein autoritärer Typ mit wenig Interesse an der Vermittlung von Ausbildungsinhalten und lediglich darauf erpicht, einen billigen Mitarbeiter zu haben, kann diese Zeit zur Qual werden. Die Handwerkskammern mit ihren Innungen ist zwar auch zuständig für die Ausbildung, deren Inhalte und Umsetzung, sowie für die Eignung des Ausbilders. Doch die Ausbildungseignungsprüfung, die ein Hanwerksmeister benötigt, um ausbilden zu dürfen, ist mehr oder weniger eine Farce. Priorität hat für die HK/ Innung überwiegend, dass ein Betrieb überhaupt ausbildet , egal wie. Und werden seitens der Azubis mal Beschwerden an die HK/ Innung herangetragen, verlaufen diese meist im Sand. Da braucht es nicht mal den berühmt- berüchtigten Ferrari Kalender.



    In der industriellen Ausbildung, zuständig hier die IHK, läuft es meiner Erfahrung nach etwas besser. Grössere Betriebe, mehr Azubis, meist mit einer Lehrwerkstatt und auch Jugendvertreter und Betriebsräte.

  • Mich erinnert das an eine Situation während meines Abiturjahres 1983 am 2. Bildungsweg, bis auf eine Schülerin des eher androgynen Typs waren alle männlich, weil da nur Schüler mit Abschluss in einem handwerklichen Beruf waren. Im Unterricht wird etwas zwischen den Stühlen herumgereicht. Als es bei mir ankommt, sind es Fotos der Lehrerin, die gerade Unterricht hält, wie sie nackt um eine Stange tanzt. Als sie uns später in der Zigarettenpause fragt, was eben los war, sagen wir ganz offen die Wahrheit und sie sagt, dass sie sich ihr Studium in der Peepshow verdiente. Sie wollte nicht viel nebenher arbeiten. Keiner hatte ein Problem mit der Situation, sie auch nicht. Niemand empfand sie vermutlich delikat. Wer ist nun der Böse? Der Schüler, der in der Mittagspause gelegentlich ins Rotlichtmilieu ging, wo er die Fotos her hatte? Oder die Lehrerin, die dort arbeitete.

    • @Michael84:

      Was ist das für ein undurchdachter Kommentar zu diesem Artikel? Was möchten Sie damit zum Ausdruck bringen? Dass Sexismus in den 80ern okay war und niemanden gestört hat? Coole Reaktion der Lehrerin, ja toll und?! Sie wurde dennoch vor der ganzen Klasse bloßgestellt und warum überhaupt soll sie "böse" sein, weil sie in einer Peepshow arbeitete? Ihr Text ergibt hinten und vorne keinen Sinn und offensichtlich haben Sie den Inhalt des Artikels nicht verstanden.

    • @Michael84:

      Was hat das mit dem Inhalt des Artikels zu tun?

      • @RagnarDannesjkoeld:

        ...wenn ich Ihnen das erklären muss...?

        • @Michael84:

          Mir bitte auch, danke.

        • @Michael84:

          Na dann, erklären Sie.

        • @Michael84:

          Also, ich sehe auch keinen Bezug zum Artikel. Erklären Sie es uns beiden.

          • @CarlaPhilippa:

            Sie war eine unserer besten Lehrerinnen, obwohl sie sich ihr Studium im Puff verdiente und der Mitschüler, der dort gelegentlich in der Mittagspause war, war ein exzellenter Handwerker gewesen.



            Ob die Autorin in ihrem Beruf zu den besten gehört oder am Arbeitsplatz nur ihre Religion und Weltanschauung zelebriert, ob ihre Vorfahren Fans der Inquisition waren, das weiß ich nicht.

  • ja da werden wohl einige Betriebe mit Alten Weißen Männern in der Leitung oder Nazi-Mitarbietern demnächst die Pforten schließen müssen