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Narrative zur SelbstdarstellungPerfides Bullshit-Dreieck

Gilda Sahebi
Kommentar von Gilda Sahebi

Po­li­ti­ke­r:in­nen wie Wagenknecht und Trump definieren Menschen als Opfer von schlechter Politik. Um sich selbst als Ret­te­r:in­nen darzustellen.

Inszeniert sich gerne als Retterin – Sahra Wagenknecht, kürzlich verglichen mit Königin Nofretete Foto: Liesa Johannssen/reuters

K ürzlich sah ich ein Bild, auf dem das Profil der Politikerin Sahra Wagenknecht neben einer Büste der ägyptischen Königin Nofretete zu sehen war. Die „stoische Ruhe“ Wagenknechts, so hieß es im begleitenden Zeit-Artikel, erinnere schon immer an Nofretete, die mächtige Herrscherin im alten Ägypten. Als ich dieses Bild sah, dachte ich: Der Archetyp des Retters ist so mächtig, dass er nun schon auf eine eher mittelmäßige Politikerin wie Sahra Wagenknecht projiziert wird. Deutschland sucht die ­Retterin.

Die Figur einer rettenden Person findet sich überall wieder, in persönlichen Beziehungen, im Büro, in Partnerschaften – und ganz besonders in der Politik. Diese Figur existiert aber nie allein. Sie ist untrennbar mit zwei weiteren Figuren verbunden: dem Opfer und dem Bully. Einfach gesagt: Das Opfer braucht den Retter, der Bully ist der Böse. Eine allgegenwärtige Dreieckskonstellation. Das Dreieck, das beispielsweise von Sahra Wagenknecht bedient wird, sieht so aus: Das Opfer sind „die“ Menschen in Deutschland, der Bully sind Po­li­ti­ke­r:in­nen aller anderen Parteien, an allererster Stelle die Grünen.

So sagte Wagenknecht Anfang September in einem Spiegel-Gespräch, dass die Grünen gefährlicher seien als die AfD, „weil sie im Unterschied zur AfD regieren und natürlich in den letzten Jahren auch in vielerlei Hinsicht Weichen gestellt haben“. Und weiter: „Das, was die Grünen an Klima- und Umweltpolitik verkörpern, das empfinden sie [die Wähler, die Red.] als undurchdacht, verlogen und nicht in sich konsistent.“ Opfer: die Wähler. Bully: die Grünen. Ergo ist die Retterin: sie selbst.

Eine zentrale Sache zum Opfer-Bully-Retter-Dreieck: Es ist ein Bullshit-Dreieck. Es ist nicht echt. Es hat mit der Realität nichts zu tun. Denn wer Opfer, wer Bully und wer Retter ist, hängt immer davon ab, wen man fragt. Fragt man einen Grünen-Anhänger, würde der wahrscheinlich sagen: Opfer, das sind die Grünen. Bully: Sahra Wagenknecht. Retter: möglicherweise die Wähler. Eine Grünen-Politikerin würde vielleicht sagen: Opfer: die Wähler. Bully: Sahra Wagenknecht. Retter: die Grünen. Alles Bullshit. Alles nicht echt. Weil alles real ist, ist nichts real. Das Bullshit-Dreieck ist aber leider sehr wirkmächtig.

Allmacht des Opfernarrativs

Das liegt auch daran, dass der Archetyp des Opfers sehr verlockend und damit sehr stark ist. Er klebt an der menschlichen Psyche wie Kaugummi an Haaren. Es braucht viel Bewusstsein und Arbeit am Selbst, um es loszuwerden. Als Opfer kann man allen anderen die Schuld geben. Die Ampel ist schuld, die AfD ist schuld, Olaf Scholz ist schuld, die Grünen sind schuld. Man selbst leidet, weil andere dumm/gemein/inkompetent sind. Donald Trump ist in der politischen Welt wohl eines der anschaulichsten Beispiele für die Allmacht des Opfernarrativs. Joe Biden spaltet, Kamala Harris zerstört das Land, Richter:innen, die ihn verurteilen, sind „dumm“, „gefährlich“, „Marionetten“. Donald Trump ist alles gleichzeitig, Opfer, Retter und Bully – je nachdem, wen man fragt.

Nach dem TV-Duell mit seiner Konkurrentin Kamala Harris Anfang September – bei dem Trump allen Umfragen zufolge weitaus schlechter performte als Harris – schrieb er auf seiner Plattform Truth Social, in der Debatte hätten „drei gegen einen“ gekämpft. Die beiden Mo­de­ra­to­r:in­nen hätten also auf der Seite von Harris gestanden. Donald Trump, das Opfer, wie so oft. Es ist, und das zeigt sich an Trump gut, vermeintlich leichter, die Schuld für den eigenen Schmerz auf andere zu projizieren und ihnen die Verantwortung zu geben. Und weil es so verführerisch ist, sich als Opfer zu fühlen und darzustellen, folgen viele Menschen dieser Erzählung.

Sich als Opfer zu fühlen, gibt einem Menschen das Gefühl, im Recht zu sein, alles richtig zu machen, sich nicht zu hinterfragen. Das mag sich gut anfühlen, heißt am Ende allerdings nur, dass man die Macht über das eigene Fühlen, Denken, Handeln an andere abgibt – an die Politik, den Ehepartner, die Chefin. Eben an alle, die schuld daran sind, dass es mir nicht gut geht. Nur man selbst hat überhaupt keine Macht mehr über das eigene Leben. Stärker kann man sich selbst kaum abwerten. Und eines ist garantiert: Man wird nie wachsen, sich verändern, stärker oder gar weiser werden. Sich als Opfer zu fühlen und sich womöglich sogar darin zu suhlen – Stichwort Donald Trump –, ist Ausweis größtmöglicher emotionaler Unreife.

Es gibt keine Lösungen

Dieses allzu schmackhafte Opfernarrativ wird von Po­li­ti­ke­r:in­nen wie Sahra Wagenknecht, Donald Trump, Friedrich Merz, Björn Höcke und vielen anderen sehr geschickt ausgenutzt. Sie inszenieren sich als Retter. Björn Höcke und Donald Trump machen das so offensichtlich, dass sie sich sogar mit Jesus oder dem Allmächtigen vergleichen – dem ultimativen Retter sozusagen. Und so wundert es nicht, dass Sahra Wagenknecht das destruktive Opfernarrativ von Menschen füttert.

Po­li­ti­ke­r:in­nen konstruieren das Bullshit-Dreieck, weil sie dadurch weniger Arbeit leisten müssen, um Macht zu erlangen. Es ist nicht notwendig, politische Leistungen zu erbringen, um Wählerstimmen zu erhalten. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kam nur wenige Monate nach seiner Gründung bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen auf Ergebnisse zwischen 11 und 16 Prozent. Dank Bullshit-Dreieck. Ihr armen Opfer, wir retten euch. Den „Ret­te­r:in­nen“ geht es nicht um die Menschen.

Es geht der Person, die sich als Retterin inszeniert, allein um sich – um die eigene Macht, um ihr Selbstbild, darum, gemocht, gesehen, geliebt zu sein. Im Bullshit-Dreieck lassen sich keine Lösungen finden: Es gibt kein Mitgefühl, keine Rationalität und kein Miteinander. Es gibt nur Drama. Menschen, die sich retten lassen wollen, verlieren sich. Sie stellen die Identität des „Retters“ über die eigene Identität, über die eigenen Werte. Es geht nur noch darum, wer der Retter ist. Nicht darum, wer man selbst ist. Sahra Wagenknecht ist keine gute Politikerin. Nur das Bullshit-Dreieck – das beherrscht sie perfekt.

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Gilda Sahebi
Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.
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9 Kommentare

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  • "Po­li­ti­ke­r:in­nen wie Wagenknecht und Trump definieren Menschen als Opfer von schlechter Politik."

    Menschen sind Opfer von schlechter Politik.

  • Also sind wir Opfer Sahra Wagenknecht, Friedrich Merz, Björn Höcke & Co?



    Und wer rettet uns?

    • @jan ü.:

      Also sind wir Opfer von Sahra Wagenknecht, Friedrich Merz, Björn Höcke & Co?

      Und wer rettet uns?

      (Das Wörtchen "von" fehlte)

  • Merz, Wagenknecht und Höcke haben noch nie politische Verantwortung gehabt und labern groß rum. Wie man auf so jemanden reinfallen kann, der noch nie den geringsten Erfolg bezüglich eines aus seinen politischen Handlungen hergeleiteten Verwaltungshandeln vorweisen kann ist mir schleierhaft.



    Selbst bei Trump, der seine Chance hatte und nur Erfolge für eine kleine elitäre Minderheit erzielen konnte, sich aber ob seines eigentlichen Versagens zum Opfer stilisiert sieht es ja so aus, dass zu viele Menschen trotz dem drauf reinfallen.



    Mich würde echt mal interessieren, was die Menschen, die diesen Flachschaufeln etwas zutrauen, annehmen wie man diese hohlen Phrasen in Realität umsetzen könnte.

    Ich habe mir gerade mal vorgestellt die drei erstgenannten müssten mal ein Praktikum in einem Büro oder auf einer Baustelle machen, vom Habitus und den praktischen Veranlagungen her wären die am ersten Tag wieder draußen ...

  • Frau Sahebi sagt es ja (fast) selbst: das Bullshit-Dreieck ist ein gängiges Modell der Selbstanpreisung und gerade deswegen bei allen PolitikerInnen so beliebt. Nicht nur aber gerade im Wahlkampf, und der ist in einer föderalen Wahlrepublik bekanntlich Dauerzustand. Alle Parteien und ihre PolitikerInnen versprechen stets das Beste zu tun, für alle und alles gerecht zu sorgen; die Bedrohten und Beladenen, Arme wie Reiche, gegen das beliebig zu benennende Übel zu schützen.

    Dies soll keine Verteidigung von AfD oder BSW sein, nur der Hinweis, dass man die den Burgfrieden störenden Emporkömmlinge nicht dafür schelten kann, dass sie es genau so machen, wie die 'Altparteien', mit dem Bullshit-Dreieck. Wenn man so (potenzielle) WählerInnen von AfD oder BSW bekehren will, dann kann das nur schiefgehen. Wie all die 'liberalen Demokraten' glauben die nämlich an die Republik und sehen nicht die systemischen Ursachen für die permanente Enttäuschung durch die Politik. Diese WählerInnen hoffen schlicht darauf, dass neue Parteien es doch besser oder zumindest anders machen.

  • Sorry, Frau Sahebi, so sehr ich die meisten Ihrer Beiträge schätze, diesen leider nicht.

    Sahra Wagenknecht, Donald Trump, Friedrich Merz, Björn Höcke in einen Topf zu werfen ist völlig daneben.

    Wagenknechts Außenpolitik schätze ich nicht, wobei ich die komplexen Sachverhalte um Russland und die Ukraine nicht richtig beurteilen kann, da müsste ich mich wochenlang reinknien, die Zeit habe ich nicht. Doch selbstverständlich bin ich absolut gegen Putin. Den "Schlächter" wie man ihn nennt.

    In Bezug auf Israel bin ich völlig anderer Meinung wie Wagenknecht. Israel gilt meine volle Solidarität.

    Innenpolitisch bin ich voll auf der Linie von Wagenknecht, einfach mal mal ihr Buch lesen "Die Selbstgerechten". So viel Zeit muss sein.

    Trump wie Wagenknecht?



    Höcke wie Wagenknecht?

    Sehr unsympathisch dennoch völlig daneben.

    Merz gelten meine Sympathien nicht, doch bewegt er sich absolut im demokratischen Rahmen.

    Ich fand schon im SPIEGEL den Vergleich mit Donald Trump, Viktor Orban, Marine Le Pen und Björn Höcke als „heimliche Hitler“ völlig grotesk.

  • danke, das ist ein interessanter Aspekt, der meine Sicht erweitert!

  • Nur vergisst Frau Sahebi die Politiker, die unbedingt Menschen retten und beschützen wollen, ob diese wollen oder nicht. Und dabei sind die Grünen "Spitze". Offenbar sind immer mehr Menschen "betreutes Denken und Handeln" leid, wie nicht zuletzt die Wahlen gezeigt haben.

  • Super Artikel ! Danke!