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Wahlen in Thüringen und SachsenSchwierige Suche nach Mehrheiten

Nur das BSW und die AfD gewinnen bei der Wahl in Sachsen dazu. Das liegt nicht nur an der Ampelregierung. Eine Analyse.

Wer kann hier mit wem? Höcke, Ramelow und Voigt am Wahlabend Foto: Thilo Schmuelgen/rtr

Erfurt taz | Als um 18 Uhr die erste Hochrechnung für Thüringen kam, schienen CDU, SPD und BSW eine Mehrheit zu haben. Zwar lagen sie alle deutlich hinter einer AfD mit mehr als 30 Prozent, aber Thüringen hätte wieder eine Mehrheitskoalition. Doch im Laufe des Abends sanken die Balken der drei Parteien – nur ein wenig, doch für die Koalition ein wenig zu viel. Als um kurz nach 23 Uhr das vorläufige Ergebnis feststand, wurde klar: Es fehlt doch ein Sitz zur Mehrheit im Landtag.

Sollte nach aktuellem Stand – abseits der AfD – doch noch eine Mehrheitsregierung in Thüringen zustande kommen, dann offenbar nur unter der Beteiligung der Linken. Das schließt die CDU aus. Für deren Landesvorsitzenden Mario Voigt stehen nun schwere Zeiten an.

Ganz anders sieht es in Sachsen bei Ministerpräsident Michael Kretschmer und seiner CDU aus: Sie bekamen mit 31,9 Prozent den höchsten Stimmanteil, Kretschmer verteidigte sein Direktmandat in Görlitz und laut dem vorläufigen Endergebnis kann die CDU mit dem BSW und der SPD rechnerisch weitere fünf Jahre die Regierung anführen. Ganz ohne die Grünen, so wie sich Kretschmer das gewünscht hat.

Doch einfach wird das Regieren auch in Sachsen nicht und das liegt an den beiden Parteien, die bei dieser Wahl deutlich Stimmanteile gewonnen haben: dem BSW und der AfD. Denn zum einen ist für die CDU eine Koalition mit dem BSW nicht nur möglich, sondern zwingend, wenn Michael Kretschmer sein Wahlversprechen halten und eine AfD-Regierung verhindern möchte. Diesen Umstand wird das BSW in den Gesprächen zu nutzen wissen.

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Zum anderen hat die AfD nach der Korrektur des Ergebnisses mit nun 40 von 120 Sitzen zwar keine Sperrminorität wie in Thüringen gewonnen, wird als stärkste Oppositionspartei aber weiterhin lautstark die Regierung angehen. In Thüringen verfügt die rechtsextreme Partei hingegen über eine Sperrminorität und kann zum Beispiel die Auflösung des Parlaments oder Verfassungsänderungen blockieren.

Viele Kompromisse, wenig Zufriedenheit

Eine Regierungsbeteiligung der AfD lehnt eine Mehrheit sowohl in Sachsen (56 Prozent) als auch in Thüringen (57 Prozent) ab. Doch die rechtsextreme Partei erhält für ihre Positionen auch bei anderen Wäh­le­r:in­nen Zuspruch: Im Vergleich mit der sächsischen CDU sprachen mehr Menschen der AfD Kompetenz in der Asyl- und Flüchtlingspolitik zu. Bei der Kriminalitätsbekämpfung sind die Parteien gleich auf. Beide Themen spielten für die Wahlentscheidung der AfD-Wähler:innen die größte Rolle.

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Parteiübergreifend gaben 59 Prozent bei Infratest dimap an, sie fänden gut, dass die AfD „den Zuzug von Ausländern begrenzen will“. 55 Prozent meinen, die AfD spreche aus, was andere nicht sagen. Unter AfD-Wähler:innen war der Zuspruch für diese Aussagen noch deutlich größer, je 98 Prozent stimmten zu. Und 78 Prozent der AfD-Wähler:innen gaben an, es sei ihnen „egal, dass sie in Teilen als rechtsextrem gilt, solange sie die richtigen Themen anspricht“.

Stimmenzuwachs erhielt die AfD vor allem bei jungen Wähler:innen. In Sachsen waren es bei den 18- bis 24-Jährigen waren es am Sonntag 31 Prozent und damit 11 Prozentpunkte mehr als noch vor fünf Jahren. In Thüringen wuchs der Anteil sogar um 15 Prozentpunkte auf insgesamt 38 Prozent an. In den meisten anderen Altersgruppen ist die Zustimmung ähnlich hoch – nur bei den Wäh­le­r:in­nen ab 70 Jahren waren es in Thüringen deutlich weniger: 19 Prozent. In Sachsen gaben allerdings auch in der Kohorte 24 Prozent ihre Stimme der AfD.

Dass AfD und BSW in beiden Bundesländern so gut abschneiden konnten, hat verschiedene Gründe. Einer ist, dass die Regierungssituationen schon in der letzten Legislatur schwierig waren. Die Thüringer Minderheitsregierung von Linken, SPD und Bündnisgrünen unter Deutschlands einzigem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow brauchte in den vergangenen fünf Jahren für jedes Projekt Stimmen der Opposition. Das führte zu vielen Kompromissen und zu wenig Zufriedenheit bei den Abgeordneten der drei Regierungsparteien. Zudem stimmten CDU, FDP und AfD mehrfach gemeinsam gegen die Regierung und setzten so Gesetze durch.

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In Sachsen regierten zum ersten Mal CDU, SPD und Grüne miteinander. Von Anfang an galt vor allem die Zusammenarbeit zwischen CDU und Bündnisgrünen in Sachsen als Zweckbündnis. Spätestens seitdem die Grünen auch in der Bundesregierung vertreten sind, wurden die Uneinigkeiten zwischen den Parteien zunehmend deutlich. Mehrere Versprechen aus dem Koalitionsvertrag scheiterten.

Für SPD, Grüne und FDP in Thüringen und Sachsen erschwerte zudem den Wahlkampf, dass viele in Sachsen und Thüringen unzufrieden mit der Bundesregierung sind. Der Aussage „Olaf Scholz ist ein guter Bundeskanzler“, stimmten 19 Prozent laut einer Nachwahlbefragung des Forschungsinstituts Infratest Dimap in Thüringen zu. In Sachsen waren es sogar nur 17 Prozent. Da ist es fast erstaunlich, dass sich das SPD-Ergebnis dort kaum verändert hat: nur ein Minus von 0,4 Prozent.

Die schlechten Ergebnisse der Landesparteien allein darauf zurückzuführen, wäre zu kurz gegriffen. Laut der Forschungsgruppe Wahlen sagte ein Drittel, dass die Politik im Bund wichtiger sei als die im Land. Dass die Zustimmung für Landes- und Bundespartei stark voneinander abweichen kann, bewiesen 2019 etwa die Grünen. Während sie bundesweit in Umfragen bei mehr als 20 Prozent lagen, bekamen sie in Sachsen und Thüringen nur einstellige Wahlergebnisse.

Ein anderes Beispiel bleibt die Thüringer Linke. Während die Bundespartei schon bei der Bundestagswahl 2021 nicht über 5 Prozent kam, wählten die Linke in Thüringen am Sonntag immer noch 13,1 Prozent. Davon träumen nicht nur andere linke Landesverbände. Trotzdem hat niemand sonst an diesem Sonntag verglichen mit 2019 einen höheren Stimmanteil verloren: 17,9 Prozent weniger bekam der Landesverband von Ministerpräsident Bodo Ramelow – obwohl, oder besser, weil der in Umfragen der beliebteste Spitzenkandidat war.

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Den zweitgrößten Stimmanteil an diesem Sonntag hat die Linke in Sachsen verloren. Statt 10,4 bekam sie nur noch 4,5 Prozent – zieht aber trotzdem in den Landtag ein. Weil Juliane Nagel und Nam Duy Nguyen in Leipzig je ein Direktmandat gewinnen konnten, zieht die sogenannte Grundmandatsklausel: Hat eine Partei mindestens zwei Direktmandate, kann sie die Fünf-Prozent-Hürde umgehen. Neben der FDP in Thüringen haben es auch die Bündnisgrünen nicht in den Landtag geschafft. Laut der Forschungsgruppe Wahlen lagen die Gründe dafür vor allem „bei der jeweiligen Partei im Bund“. Allerdings spielte auch etwa das grüne Kernthema Klimakrise im Wahlkampf kaum eine Rolle.

Die wichtigen Themen der Landtagswahl

Stattdessen waren laut Infratest dimap soziale Sicherheit, Kriminalität und Zuwanderung insgesamt die drei wichtigsten Themen bei den Wahlentscheidungen in Sachsen und Thüringen. Allerdings gibt es dabei Unterschiede zwischen den Parteien. Während für 36 Prozent der AfD-Wähler:innen die Zuwanderung das wichtigste Thema war, gaben das bei der SPD nur 9 Prozent an. Für 26 Prozent der CDU-Wähler:innen in Sachsen war hingegen keins der drei Themen das entscheidende, sondern die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.

Unter den Wäh­le­r:in­nen des BSW in Thüringen gaben mit 23 Prozent die meisten an, soziale Sicherheit sei für sie entscheidend. Das Thema „Ukraine und Russland“ nannten hingegen nur 17 Prozent – obwohl sich die Partei vor allem damit profiliert. In Sachsen war der Anteil größer: 21 Prozent. Doch auch dort gaben mehr an, die soziale Sicherheit sei für sie entscheidend: 26 Prozent. Über alle Parteien hinweg gaben in Sachsen 7 Prozent und in Thüringen 5 Prozent an, das Thema „Ukraine und Russland“ habe bei ihrer Wahlentscheidung die größte Rolle gespielt.

Als Grund, für das BSW zu stimmen, nannten in Sachsen zudem 70 Prozent der Wäh­le­r:in­nen „weil ich von der Linken enttäuscht bin“. Infratest dimap und die Forschungsgruppe Wahlen schätzen beide, dass rund die Hälfte der BSW-Wähler:innen vorher bei der Linken das Kreuz gesetzt hat.

In der Altersstruktur fällt auf, dass das BSW bei höheren Altersklassen besser abschneidet. In beiden Bundesländern läge das Ergebnis bei den Wäh­le­r:in­nen über 70 Jahren drei Prozentpunkte über dem tatsächlichen Ergebnis.

Die AfD schneidet in der Altersgruppe hingegen am schlechtesten ab. Dafür ist sie auffällig erfolgreich bei Männern, Ar­bei­te­r:in­nen und Menschen in schlechter finanzieller Lage. Bei der letzten Gruppe hat sie sogar die Hälfte der Stimmen.

Hinweis: Die Landeswahlleitung in Sachsen hat die in der Nacht angegebene Sitzverteilung am Montagmorgen korrigiert. Nach den errungenen Stimmen bekommen laut Wahlleitung nun die Grünen und die SPD je einen Sitz mehr. Die CDU und die AfD bekommen einen Sitz weniger als ursprünglich angegeben. Wir haben die entsprechenden Stellen im Text angepasst.

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7 Kommentare

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  • Einen solch sachlichen und informativen Text habe ich in der 'taz' nicht erwartet.



    Danke!

  • Wenn in beiden Ländern die Linksparteien, und damit meine ich Die Linke, SPD und BSW, mit der CDU koalieren, können sie nur verlieren. Erfahrungsgemäß verlieren in den nächsten Wahlen immer die kleinen Parteien.



    Auch wenn ich hier Gegenwind erhalte, ich denke die CDU sollten mit der AFD koalieren, das wäre der einzige Weg die Rechte zu entzaubern. Da wächst zusammen was mit Merz auch schon fast zusammengehört.



    Dann würde in der nächsten Wahl die Linke wieder Aufwind erhalten.



    Die AfD hat keine Regierungserfahrung, die CDU jede Menge. Außerdem ist dem Wählerwille damit genüge getan. Wozu gibt es demokratische Wahlen?



    Sonst können wir die Regierung gleich an den Verfassungsschutz übergeben.



    Wird die AfD bessere Infrastruktur und Bildung schaffen? Werden Sie die Wirtschaft verbessern? Natürlich nicht. Und die Flüchtlingspolitik haben die Mitte Parteien doch sowieso schon von der AFD übernommen.

  • Wie kann es bundesgesetzlich eigentlich sein, dass eine als gesichert rechtsextreme Fraktion die Sperrminorität besitzen kann, selbst wenn sie genügend Sitze im Parlament gewonnen hat?

  • Kretschmer hat sich durch seine Festlegungen vor der Wahl (keine Bündnisse mit Grünen oder AfD) slebst aller Verhandlingsoptionen und ßdruckmittel beraubt und dadurch an das BSW ausgeliefert. Was erstens seine Eignung als Verhandler in Zweifel ziehen lässt und zweitens natürlich dem BSW den langen Hebel gibt. Zusammen mit den intellektuellen und politischen Fähigkeiten von SW bedeutet das, dass die CDU und Kretschmer hier gnadenlos über den Tisch gezogen werden, fürchte ich. Aber das haben K. und die CDU ausschliesslich sich selbst zuzuschreiben. Ich bin jedenfalls gespannt.

  • Die Regierungskoalition in Sachsen hat insgesamt 4,1 Prozent verloren, aber noch eine Mehrheit. Abgewählt sieht anders aus, das ist doch fast eine Bestätigung in den letzten Jahren ordentlich gearbeitet zu haben.

    • @FancyBeard:

      Mathematik ist offensichtlich nicht Ihre Stärke. Die bisherige Koalition in Sachsen wurde klar abgewählt, sie hat gerade mal noch 44,3 Prozent bekommen. Im Landtag hat sie 8 Sitze verloren und hat noch 56 Sitze. Das sind 5 zu wenig, um weiter regieren zu können.



      Mehr abgewählt geht gar nicht.



      Außer natürlich in Thüringen.



      Da blieben von der Regierungskoalition ganze 22,4 Prozent übrig. Und da die Grünen an der 5-Prozent-Hürde gescheitert sind, sind es eigentlich nur noch 19,2 Prozent im Landtag.

  • Langweilig war der Wahlabend. Wie bei jeder zähen Berichterstattung über einen (sportlichen) Wettkampf; immer die gleichen Abläufe: Spielstand im Minutentakt aktualisiert, kommentiert und über Folgen spekuliert. Alle Beteiligten verfügen über einen Fundus von eingeübten Floskel, beschwören die Bedeutung der Wahl und des Wählerwillens und (ihre) Verantwortung für das Land.

    Was nur gelegentlich durchsickert: Die WählerInnen haben ihren Dienst erbracht und die Gewählten (und ihre Parteihierarchien) sind nun frei sind, damit zu tun, was sie wollen. Nur Abseits erklärte der Politikwissenschaftler und Publizist A. v. Lucke die banale Wirklichkeit der deutschen Demokratie: 'BürgerInnen lebten in der falschen Vorstellung lebten, PolitikerInnen seien Dienstleister, die den eigenen Willen der BürgerIn verwirklichen sollten'.

    Nicht erklärt wird auch, dass selbst bei Rekordwahlbeteiligungen am Ende die Stimmen von kaum mehr als 33% aller Wahlberechtigten für die Regierungsbildung ausreichen könnten. Die Wahldemokratie schützt Wahlberechtigte und WählerInnen vor sich selbst, ihrem Willen und ihren Mehrheiten. Vom Gegenteil wird aber immer geredet, beim Lob auf unsere Demokratie(?).