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Wahlen in Sachsen und ThüringenTriste Manifestation im Osten

Anne Fromm
Kommentar von Anne Fromm

Die Wahlen im Osten sind kein Rechtsruck. Sie zeigen mit Wucht, was längst da war. Wichtig sind jetzt die Engagierten.

Auf die Zivilgesellschaft kommt es an, sie gilt es zu schützen Foto: Piotr Pietrus

J eder Dritte. Auch wenn die Prognosen es vorausgesagt hatten, muss man das Ergebnis der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen erst einmal verdauen: Ein Drittel der Menschen in Thüringen, ein knappes Drittel in Sachsen hat eine rechtsextreme Partei gewählt.

Man könnte nun einwenden: In Thüringen leben zwei Millionen Menschen, in Sachsen vier Millionen. Das ist ein Drittel der Einwohner von Nordrhein-Westfalen. Aber der reine Blick auf die Größe der beiden Länder wird der Bedeutung dieser Wahl nicht gerecht.

Natürlich sind die Erfolge der Rechtsradikalen kein rein ostdeutsches Spezifikum. Sicher lassen sich einige Prozentpunkte des AfD-Erfolgs mit dem Osten erklären – Transformationsgeschichte, Diktaturerfahrung, dazu ist viel geschrieben worden. Aber der Rechtsruck passiert global. In Frankreich haben die Rechtsradikalen nur deshalb nicht gesiegt, weil ihnen ein breites linkes Bündnis gegenüberstand, Italien wird von einer Postfaschistin regiert, in den USA spricht Trump wieder vor jubelnden Massen.

Und auch im Osten ist der Rechtsruck längst da. Die Kommunalwahlen im Frühjahr dieses Jahres haben in fast alle Stadträte und Kreistage im Osten große AfD-Fraktionen gespült. Die greifen seither von unten nach der Macht, mit ganz konkreten Folgen im Alltag.

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Eine geschwächte Linke

Die Linke hat dem derzeit in Deutschland kaum etwas entgegenzusetzen. Der einzige linke Ministerpräsident ist abgewählt – und das, obwohl Bodo Ramelow vor der Wahl der beliebteste Politiker in Thüringen war. Trotzdem wird seine Partei in Thüringen nur viertstärkste Kraft, in Sachsen kommt sie wohl nur über Direktmandate in den Landtag. Sah es Anfang des Jahres noch so aus, als sei zumindest die gesellschaftliche Linke so stark wie nie, sind die Wahlergebnisse auch für sie ein heftiger Schlag.

Was folgt also daraus?

Politisch ist nun wichtiger denn je: Die Brandmauer muss stehen. Das mag naiv klingen angesichts der vielen Beispiele, bei denen vor allem CDU und AfD gerade im Kommunalen zusammenarbeiten. Katja Wolf, die BSW-Spitzenkandidatin in Thüringen, hat angekündigt, AfD-Anträgen zuzustimmen, wenn diese vernünftig seien. „Mehr Pragmatismus, weniger Ideologie“, nennt sie das. Nur geht es bei dieser Frage eben nicht um Ideologie, es geht um einen demokratischen Grundkonsens, den es zu verteidigen gilt.

Wer mit der AfD paktiert, der normalisiert sie, mit jedem Antrag ein Stückchen mehr. Mehr als 50 Prozent der CDU-Wähler*innen in Thüringen und Sachsen sagen von sich, sich haben die CDU nur gewählt, damit die AfD nicht zu viel Einfluss bekommt. Diese Wäh­le­r*in­nen und alle, die für eine demokratische Partei gestimmt haben, haben ein Recht darauf, dass die De­mo­kra­t*in­nen den Fa­schis­t*in­nen nicht zu (mehr) Macht verhelfen.

Rückenwind für Zivilgesellschaft

Und zweitens brauchen jetzt vor allem jene Rückenwind, die für eine demokratische, plurale, friedliche und offene Gesellschaft in Thüringen und Sachsen kämpfen. Die taz hat in den vergangenen Monaten ganz besonders die ostdeutsche Zivilgesellschaft beleuchtet. In Erfurt und Chemnitz haben wir Kongresse mit den Engagierten aus den Bundesländern veranstaltet, die Panter Foren. In Cottbus machen wir das in knapp zwei Wochen. Mit dabei sind Menschen, die gegen Rechtsextremismus kämpfen, die auf demokratischen Demos Pizza backen oder dort mit Musik für gute Stimmung sorgen. Leute, die mit Jugendlichen im ländlichen Raum arbeiten, die sich um Geflüchtete kümmern, die in der sächsischen Provinz einen CSD organisieren, Omas gegen Rechts.

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Was wir von diesen Leuten gelernt haben, ist: Ja, die AfD ist stark im Osten, aber sie ist nicht unwidersprochen. Die, die sich ihr entgegenstellen, brauchen jetzt viel: Sie brauchen Geld – Spenden von Privatpersonen, von NGOs, von Stiftungen. Sie brauchen ein Demokratiefördergesetz, was ihnen Finanzierungssicherheit gibt. Sie brauchen den Schutz einer demokratischen Polizei und das Rückgrat von demokratischen Politiker*innen, die ihr Überleben sichern. Das zu fordern, ist nicht hilflos, sondern alternativlos.

Was wir von den Aktiven in Sachsen und Thüringen auch gelernt haben, ist: Die politische Situation, die hohe Zustimmung zur AfD mögen frustrierend sein. Ein Grund aufzugeben sind sie nicht.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Anne Fromm
Reporterin
Ressortleiterin Reportage & Recherche und Vorständin der taz. // Berichtet vor allem über sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch, Rechtsextremismus und Desinformation. // Davor war sie Medienredakteurin im Gesellschaftsressort taz2. // Erreichbar über Threema: 9F3RAM48 und PGP-Key: 0x7DF4A8756B342300, Fingerabdruck: DB46 B198 819C 8D01 B290 DDEA 7DF4 A875 6B34 2300
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14 Kommentare

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  • > die modernen Demokratien sind mit dem Kapitalismus entstanden ... und werden wohl mit ihm untergehen

    Der Kapitalismus ist eins der sehr wenigen Systeme, die bisher nicht untergegangen sind.

  • Der Artikel zeigt exemplarisch sehr gut, was schiefläuft.

    Die "Brandmauer" ist nicht naiv.

    Sie ist schlicht realitätsfern.

    Sie funktionierte bei den Republikanern mal.

    Heute ist offensichtlich, dass es so nicht mehr läuft.

    Pizzabacken und "gute Stimmung" heißt, man will sich selbst feiern, weil man von seiner moralischen Überlegenheit überzeugt ist.

    Eine Analyse, warum eine Linke als Regierungspartei mit einem nicht unbeliebten so deutlich verloren hat?



    Fehlanzeige

    Überzeugsarbeit gegenüber den Andersdenkenden?



    Nirgends.

    Eine erstarrte Linke (nicht nur die Linkspartei), die einer Defizitpartei ohne größere Konzepte und mit wenig Wahlkampf die Wähler zutreibt.

    In 5 Jahren braucht die AfD keine Koalitionspartner mehr. Da wird sie die nötigen Mehrheiten selbst zustande kriegen.

    Wann bewegt sich die Linke?

  • Noch ein Punkt: 》Aber der Rechtsruck passiert global. In Frankreich haben die Rechtsradikalen nur deshalb nicht gesiegt, weil ihnen ein breites linkes Bündnis gegenüberstand, Italien wird von einer Postfaschistin regiert, in den USA spricht Trump wieder vor jubelnden Massen.《 - vielleicht würde es sich lohnen, den Faschismus als ein periodisch wiederkehrendes¹ Scheitern des Kapitalismus zu begreifen, beispielsweise anhand von Parametern wie der Intensität globaler Verflechtungen.

    Auch hierzu gäbe es "grüne" Ansätze, etwa den der Taz-Autorin Ulrike Herrmann

    shorturl.at/Ilz5m

    ¹und zwar wiederkehrend in Zeiträumen, die persönliche Erfahrungungsmöglichkeiten normalerweise sprengen - es waren 90-jährige, die die Ukraine-Politik der Ampel fundamental und fundiert kritisiert haben, etwa Klaus von Dohnany www.blog-der-repub...inder-des-20-juli/ , Otto Schily, der den Bellizismus der Grünen geißelte und natürlich Jürgen Habermas www.oldenburger-on...-krieg-100368.html

  • 》Die Wahlen im Osten sind kein Rechtsruck. Sie zeigen mit Wucht, was längst da war《

    So gesehen lassen sich diese Wahlergebnisse da im Osten auch als eine Reise in die Vergangenheit, eine Regression analysieren: die Menschen haben sozusagen mit absoluter Mehrheit für - Helmut Kohl gestimmt

    In dessen CDU die AfD - also die Glasers, Gaulands, Hohmanns - integraler Bestandteil waren, alleine Heinrich Lummers de.m.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Lummer Wirken als Berliner Innensenator (unter v. Weizsäcker!) für eine Einstufung 'in Teilen gesichert rechtsextrem' locker reichen würde.

    BSW und Linke stünden in dieser Analogie für den linken Flügel der damaligen SPD, die heutige Scholz-SPD für die Helmut Schmidt Agenda, die Tomahawks-Stationierung entspräche dem Nato-Doppelbeschluss, nur ohne Verhandlungsangebot.

    Die Grünen, in diesem Kontext als Friedenspartei groß geworden, haben sich in dieser Frage verabschiedet, sind, wie die FDP folgerichtig laut Wahlergebnis weitestgehend überflüssig.

    Brandt ist es 1969 das erste Mal gelungen, das rechte Kartell zu brechen, Schröder mit den Grünen dann ein zweites Mal - vielleicht lassen sich aus solchen Parallelen Lehren ziehen.

  • Ich stimme dem Kommentar zu, aber die Brandmauer ist nie naiv gewesen. Inzwischen spricht Alice Weidel passagenweise wie Udo Voigt, äußert etwa, dass sie findet, alle Einbürgerungen müssten gestoppt werden. Es geht bei der AfD schon seit B. Lucke um ein Bild von Menschen, was diese extrem bewertet, ging das Anfangs noch in die Richtung Neoliberale Herabsetzung von Arbeitnehmern, sind wir jetzt bei Rassismus und Aussonderungs- und Deportationsvorstellungen gelandet. Da frage ich mich eher, wann muss so eine Partei verboten werden, wann sind die offen gegen die Verfassung.



    Dennoch sollte nach Ursachen und Motiven geschaut werden. Für mich stehen dabei zwei Sachen im Vordergrund a) soziale Ungleichheit und / oder Armut und b) die Bildung von Großen Koalitionen, die mindestens bei einem Bundestag die Folge hatte, dass 80 Prozent der Abgeordneten zur Regierungskoalition gehört haben.



    Da müssen sich Politiker Fragen stellen lassen. Die Antwort kann aber weder AfD, noch Abschaffung der Brandmauer heißen.

  • Die Hälfte wählt den russischen Imperialismus. Das war vorher nicht so sichtbar. Kretschmer ist da übrigens kein Deut besser. Sind das die Spuren von 40 Jahren Antiamerikanismus? Damit keine Missverständnisse aufkommen: Äquidistanz zwischen Russen und Amerikanern ist außenpolitisch die Original-Naziposition.

  • Es gibt nichts zu verteidigen. Diese Angriffs- und Verteidigungslogik ist nicht zielführend.



    Fakt ist, dass Gymnasiallehrer aus Hessen den zu Pflegenden im Altersheim nicht den Po abwischen werden.



    Thüringen hat 500.000 Einwohner seit 1990 verloren.



    Dieses Problem wird sich nicht lösen, indem man kluge Frauen - und das sind alle - zu Gebärmaschinen macht.



    Arme Rentner werden die Wirtschaft nicht aufrechterhalten.



    Zu denen da oben hat die AfD schon immer gehört.



    Indem man sich von der Jugend bejubeln lässt, schafft man keine Lösungen.

  • Es ist zum Haareausreißen, daß die Gesellschaft solche reaktionäre Reflexe entwickelt. Es sind Bedingungen, die bis zum Bürgerkrieg führen können.

    Andererseits: die modernen Demokratien sind mit dem Kapitalismus entstanden ... und werden wohl mit ihm untergehen. Das Wahlverhalten könnte diese Revolution ankündigen. Leider sieht man keine Perspektive auf eine bessere, postkapitalistische Gesellschaft, ganz im Gegenteil.

  • Und wieder steht der weiße Elefant im Raum und wird nicht benannt. Unglaublich. Die Nichtnennung des Hauptgrundes für den europaweiten Erfolg der rechten Parteien wird einfach nicht genannt: Es geht um illegale Migration.

    • @Piratenjäger:

      Das impliziert, dass es illegale Menschen gibt, die illegal migrieren.

      Kein Mensch ist illegal.

      • @Troll Eulenspiegel:

        Nö.

        Das impliziert es nicht.

        Illegal migrieren kann jeder, eine Aussage über den Menschen ist damit nicht getroffen.

      • @Troll Eulenspiegel:

        Doch, auch wenn sie das anders sehen, sieht die Bevölkerung das so und es ist tatsächlich auch so, auch wenn es ihnen schwer fallen wird.

  • Die Autorin fordert Geld vom Steuerzahler, um politische Meinung zu machen ("Demokratiefördergesetz, was ihnen Finanzierungssicherheit gibt"). Dafür ist der Steuertopf nicht da. Besser wäre wohl auf Harald Schmidt zu hören: "Wem das Wahlergebnis nicht passt, der sollte mit dem Wähler reden. Ansonsten Wahlen abschaffen oder das Ergebnis vorher festlegen."

  • Ein hervorragendes Ergebnis für den beginnenden Abschwung in Thüringen, nachdem es seit 1990 mit einigen Rückschlägen (Pleite der volkseigenen Unternehmen) aufwärts ging.