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Missstände an der Berliner Charité?„Es brennt auch bei den Besten“

Miese Qualität in der Charité? Peter Bobbert von der Ärzte­gewerk­schaft Marburger Bund über Vorwürfe gegen die Vorzeigeklinik.

Hohes Haus, tiefer Fall? Das ikonische Bettenhochhaus der Charité in Berlin-Mitte
Manuela Heim
Interview von Manuela Heim

taz: Die Charité gilt als Vorzeigekrankenhaus. Nun kratzt eine Stern-Recherche an diesem Bild. Zu Recht?

Im Interview: 

Peter Bobbert

ist Internist und Vorstandsvorsitzender des Ärzteverbands Marburger Bund Berlin/Brandenburg und Präsident der Ärzte­kammer Berlin.

Peter Bobbert: Die Charité ist ein extrem wichtiges Krankenhaus, das allerdings genau mit den gleichen Problemen kämpft wie alle anderen Krankenhäuser derzeit in Deutschland.

taz: Ihr Ärzteverband hat eine Umfrage unter Me­di­zin­stu­den­t*in­nen im Praktischen Jahr durchgeführt. Demnach ist die Ausbildungsqualität an der Charité schlechter als an anderen Berliner Krankenhäusern.

Bobbert: Die Charité steht wie jedes andere Universitätsklinikum vor der Herausforderung, Patientenversorgung, Forschung und Lehre gleichermaßen zu beherrschen. Alles braucht intensive Betreuung und auch eine entsprechende Finanzierung. Aktuell ist diese Finanzierung nicht gesichert, und das wird auf dem Rücken der Mitarbeitenden ausgetragen.

In unserer Umfrage haben gerade einmal 9,5 Prozent der Studierenden gesagt, dass sie sich durch das Praktische Jahr gut vorbereitet fühlen auf ihr zukünftiges berufliches Leben. Das ist eine erschreckende Zahl, ein Alarmsignal. Es zeigt, welche Probleme wir derzeit haben – sowohl an der Charité, aber auch an allen anderen Universitätskliniken in Deutschland. Das belegen auch bundesweite Umfragen des Marburger Bundes.

taz: Unterfinanzierung, Fachkräftemangel – müsste nicht gerade Deutschlands berühmtestes Krankenhaus bessergestellt sein?

Bobbert: Dass die Charité im Vergleich zu den anderen Lehrkrankenhäusern in Berlin so viel schlechter bewertet wird, hat uns in dieser Klarheit auch überrascht. Anscheinend bietet die aktuelle Situation an der Charité nicht die Möglichkeit, die Studierenden angemessen zu betreuen.

taz: Me­di­zin­stu­den­t*in­nen fühlen sich schlecht ausgebildet und stehen doch als As­sis­tenz­ärz­t*in­nen schnell vor schwierigen medizinischen Entscheidungen. Was bedeutet das für die Patient*innen?

Bobbert: Als Ärztinnen und Ärzte haben wir niemals ausgelernt. Aber natürlich wird die Ausbildungssituation nach dem Praktischen Jahr nicht unbedingt besser. Das ist eine Herausforderung.

taz: Laut einer aktuellen Stern-Recherche bewertet medizinisches Personal der Charité auch die Qualität der Behandlung überwiegend als mangelhaft oder ungenügend.

Die Charité

Plus Deutschlands größtes Uniklinikum ist vielfach ausgezeichnet. In mehr als 100 Einzelkliniken und Instituten werden jährlich knapp 130.000 Patient*innen stationär und 790.000 ambulant behandelt. Über 23.000 Menschen sind hier beschäftigt.

Minus Wie viele andere Krankenhäuser macht auch die Charité Minus, zuletzt

. Eine Stern-Recherche berichtet nun über eine miserable Behandlungs- und Ausbildungsqualität. In einer Umfrage des Marburger Bunds unter Medizinstudent*innen im Praktischen Jahr berichteten knapp zwei Drittel, sie würden die Charité nicht weiterempfehlen. Bei anderen Berliner Kliniken war es nur ein Drittel. (mah)

Bobbert: Das kann ich nicht interpretieren, diese Umfrage ist nicht von uns.

taz: Wenn jetzt selbst aus der Charité solche Bewertungen kommen, was heißt das für die Gesundheitspolitik?

Bobbert: Es brennt an allen Krankenhäusern, auch bei den besten. Wir haben ein echtes Problem mit der Krankenhausstruktur und brauchen dringend eine Krankenhausreform.

taz: Der Kern dieser Reform soll noch im Oktober im Bundestag beschlossen werden.

Bobbert: Leider müssen wir feststellen, dass das Kranken­haus­versorgungsverbesserungsge­setz nicht das bietet, was es versprochen hat. Unsere Befürchtung ist, dass die Reform das Ganze sogar noch verschlimmert, insbesondere für die Ärztinnen und Ärzte.

taz: Tatsächlich?

Bobbert: Versprochen wurde eine Entökonomisierung der Krankenhäuser. Das System der Fallpauschalen hat eine schlechte Entwicklung eingeleitet, das Hamsterrad muss gestoppt werden – das sagt auch der Bundesgesundheitsminister immer wieder. Aber im geplanten Gesetz bleiben die Fallpauschalen als Teil der Finanzierung bestehen. Der Rest wird über Vorhaltepauschalen abgedeckt, die wir uns alle gewünscht haben und die richtig sind. Aber jetzt sollen auch diese Pauschalen nach den behandelten Fällen der Vorjahre berechnet werden, das ist ein Etikettenschwindel.

taz: Die Pflegekräfte wurden aus dieser fallbezogenen Finanzierung rausgenommen.

Bobbert: Zu Recht! Aber nun bleiben vor allem die Ärztinnen und Ärzte als ökonomische Stellschraube. Die aktuelle Berichterstattung zur Charité zeigt, dass wir deren Arbeitsbedingungen dort und in allen Krankenhäusern dringend verbessern müssen. Dass die Krankenhausreform genau das Gegenteil bewirken könnte, ist sehr besorgniserregend.

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5 Kommentare

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  • Das System kann so gar nicht funktionieren. Mit der Fallpauschalenfinanzierung können nur Häuser, die komplizierte und schwierige Operationen/ Behandlungen anbieten, überleben. Häuser der Regelversorgung haben keine Chance. Das Krankenhäuser Gewinn orientiert arbeiten sollen hat ebenfalls falsche Anreize geschaffen. Als Kassenversicherte frage ich mich schon, wie es sein kann, das börsennotierte, Dividende ausschüttende Klinikkonzerne über die Pflichtbeiträge der gesetzlich Versicherten finanziert werden können. Aber Umverteilung von unten nach oben ist ja seit der Kohlregierungszeit die Regel. Die Klinikreform wird kommunalen und kirchlich getragenen Häuser eher nicht nutzen. Die Versorgung auf dem Land wird ebenfalls nicht besser werden. Eher im Gegenteil: kleine Häuser der Regelversorgung werden verschwinden, weil sie einfach nicht finanzierbar sind. Die Gewinnorientierung muss weg. Krankenhäuser sollen auskömmlich wirtschaften, aber keine Gewinne erzielen müssen. Gesundheitsfürsorge ist eine gesellschaftliche Aufgabe und darf nicht irgendwelchen gewinnorientierten Konzernen überlassen werden.

  • Ich bin sicher, dass sich Privatpatienten auch dort gut aufgehoben fühlen. Die unwichtigen Kassenpatienten können ja warten, bis sie schwarz wählen. Und dann wird's noch schlimmer.

    "Spaß" beiseite. Unser durch profitmaximierendes kapitalistisches Management zerstörte und damit viel zu teure Gesundheitssystem dadurch sanieren zu wollen, dass man noch mehr gutes Geld schlechtem hinterherwirft, halte ich nicht für unbedingt zielführend. Das einzige, was man erreicht: es wird noch teurer.

    Wir haben ja schon lange ein Zwei- oder Dreiklassensystem. Auf ein dringendes MRT warte ich 3 Monate - oder 2 Wochen. Je nachdem welcher Klasse ich angehöre.

    In unserem Gesundheitssystem geht es nicht um Heilung, sondern um Profit. Solange das System nicht geändert wird, wird sich an den Verhältnissen nichts ändern.

    Jemand hat das mal in einem Satz wunderbar klar ausgedrückt: wir backen kein Brot, um es zu essen. Wir backen Brot, um es zu verkaufen.

  • "Die laufenden Gesundheitsausgaben in Deutschland erreichten 2021 rund 12,9 % des BIP. Das war der höchste Wert seit Beginn der Datenreihe im Jahr 1992. Gemessen an der Wirtschafts­leistung gab Deutschland damit von allen 27 EU-Staaten den höchsten Anteil für sein Gesundheitssystem aus. Im EU-Durchschnitt lagen die Gesundheitsausgaben bei 10,9 % des BIP."



    Nur die USA und Schweiz geben prozentual mehr aus, aber das deutsche Gesundheitsausgaben ist weder das drittbeste aller westlichen Länder, noch das beste der EU. Im Gegenteil, es ist nur mittelmäßig. Wie in diversen anderen Bereichen (Infrastruktur, Militär, ...) "versickern" auch hier Milliarden. Es gilt, das Geld ist nicht weg, es hat nur jemand anderes!

  • Das Gesundheitssystem in Deutschland ist am zerfallen. Ich kann nur sagen, dass ich keinem wünsche in den kommenden Jahren, auf gute medizinische Versorgung angewiesen zu sein. Denn die Chance diese hier zu erhalten sinkt rapide!

  • Naja, aus der Pflege kommen ja erst seit über 10 Jahren Forderungen nach strukturellen Veränderungen. Der Pflegekräftemangel ist ebensolange bekannt. Die Zustände in der ärztlichen Versorgung auch. Nur hat niemand auf das "Fußvolk" gehört. Politik und Verwaltung wussten es ja besser. Nun, zumindest hatten die Politiker die wir dort betreut haben immer eine 1:1 Versorgung erhalten. Solange die Entscheider keine Konsequenzen haben, wird sich kaum etwas ändern.