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Misstrauensantrag in GriechenlandAus für Syrizas Millionär

Einst gehypt, nun geschasst: In Griechenland verliert Parteichef Kasselakis das Vertrauen von Europas einstiger linker Vorzeigepartei Syriza.

Aus für Stefanos Kasselaki, hier bei einer Wahlveranstlatung vor den Europawahlen im Juni 2024 Foto: One Inch Production/imago

Athen taz | Erst triumphierte er, dann polarisierte er, nun wurde er seines Amtes enthoben: Stefanos Kasselakis ist nicht mehr Chef von Europas einstiger linker Vorzeigepartei, dem Bündnis der radikalen Linken (Syriza) in Griechenland. Der Posten soll nun durch eine Neuwahl von der Parteibasis besetzt werden.

Dabei hatte die Basis Kasselakis erst am 24. September vorigen Jahres zum Syriza-Chef gemacht, nachdem Ex-Premier Alexis Tsipras nach einer herben Niederlage bei den Parlamentswahlen gegen die weiter alleine regierende konservative Nea Dimokratia (ND) unter Premier Kyriakos Mitsotakis nach mehr als 15 Jahren an der Spitze verbittert seinen Rücktritt erklärt hatte.

Kasselakis wollte in Tsipras’ Fußstapfen treten. Nun wurde er durch das Syriza-Zentralkomitee (ZK) geschasst. In einer geheimen Abstimmung votierte eine klare Mehrheit von 163 der insgesamt 295 ZK-Mitglieder für einen Misstrauensantrag gegen Kasselakis. Den Antrag hatten 100 ZK-Mitglieder eingebracht. Kasselakis wurde so des Amtes enthoben – ein bisher einmaliger Vorgang.

Sichtlich genervt erklärte dieser danach, dass er „erlöst“ sei. „Es ist beispiellos in der politischen Geschichte des Landes, dass die Parteibürokratie das Votum der Parteimitglieder vom ersten Tag an nicht akzeptiert hat.“ Der heute 36-jährige Kasselakis, der mit 14 Jahren in die USA zog, bei der US-Investmentbank Goldman Sachs anheuerte, dann Reeder wurde und zum Multimillionär aufstieg, kehrte erst nach seiner Wahl zum Syriza-Chef in sein Geburtsland zurück.

Die Anzeichen für Kasselakis’ Entmachtung hatten sich zuletzt verdichtet. Das Band zwischen ihm und seinen Kritikern war schon früh zerschnitten. Kasselakis bemühte sich nie darum, die Kluft zu schließen. Im Gegenteil: Er goss Öl ins Feuer, oft mit üblen Attacken gegen seine Kritiker.

Dessen überfallartige, für sie „feindliche“ Machtübernahme konnten seine parteiinternen Widersacher nie verdauen. Im November vorigen Jahres verließen elf Syriza-Abgeordnete die Partei, darunter Ex-Finanzminister Euklid Tsakalotos sowie Ex-Arbeitsministerin Efi Achtsioglou die Partei. Sie gründeten die Neue Linke.

Ist Syriza ein „wildgewordener Hühnerhaufen“?

Kasselakis warfen sie vor, Syriza jäh nach rechts rücken zu wollen. Das Genick brachen Kasselakis jene Syriza-Politiker, die ihn zuvor noch unterstützt hatten. Die Gründe für ihren Sinneswandel waren nicht nur seine offenkundig fehlende Sachkompetenz gepaart mit einer exzessiven Zurschaustellung seines Privatlebens. Zum Verhängnis wurde Kasselakis sein autoritärer Führungsstil. Und dies ausgerechnet in einer Partei, die die innerparteiliche Demokratie in ihrer DNA hat.

Die letzte Episode war die auf Geheiß von Kasselakis veranlasste Entfernung von Sokrates Famellos vom Fraktionsvorsitz im Athener Parlament. Famellos genießt in der Partei ein hohes Ansehen. Immer mehr Syriza-Abgeordnete griffen Parteichef Kasselakis heftig an. Syriza verkam in der öffentlichen Wahrnehmung zu einem „wildgewordenen Hühnerhaufen“.

Wie das Syriza-Politbüro beschloss, findet vom 1. bis zum 3. November ein außerordentlicher Parteitag statt. Am 24. November soll die Parteibasis einen neuen Syriza-Chef wählen. Der Kasselakis-Kritiker Pavlos Polakis hat angekündigt, für das Amt des Syriza-Chefs kandidieren zu wollen. Sein oberstes Ziel sei es, durch eine Frontalopposition Premier Mitsotakis aus dem Amt zu jagen.

Kasselakis, der kein Abgeordneter im Parlament ist, nach seiner Amtsenthebung kein Parteiamt mehr inne hat und ein einfaches Syriza-Mitglied ist, lässt offen, ob er für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren werde. „Meine Entscheidungen werde ich dort verkünden, wo ich immer Rechenschaft ablegen muss: nämlich vor dem Volk von Syriza.“ Premier Mitsotakis frohlockt mit Blick auf die Turbulenzen bei Syriza: „Es gibt keine Alternative zur ND-Regierung.“ Er wolle bis 2027 regieren, sagt er. Syriza hat es ihm leichtgemacht.

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7 Kommentare

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  • Griechenland ist eines der erschreckendsten korrupten Länder der Welt.



    Korruption ist nicht nur ein Wort aus dem Vokabular für den Morgenkaffee.



    Sie ist ein Krebsgeschwür, das Menschen zu Monstern macht.



    Die Syriza-Partei besteht aus Griechen mit einer „Vergangenheit“.



    Vergangenheit bedeutet in Griechenland „Casting“ der bürgerlichen und politischen Mafia.



    Jeder weiß, dass man sonst nicht auf den Zug der Macht aufspringen kann.



    Kaselakis war ''naiv'' und weniger ''griechisch'', weshalb er Gefühle des Schreckens hervorrief.



    Eine linke Zeitung sollte objektiver sein und mehr wissen, bevor sie jemandem die Möglichkeit gibt, solche Artikel voller Hintergedanken und „griechischer“ Heuchelei zu schreiben.

  • Ich habe mich immer gefragt, was diese Nummer bedeuten sollte.

    @VIELDENKER



    Wie meinen?

    Es waren bestimmt einige Egomanen dabei (das bringt das Geschäft mit sich), die Egomanendichte ist sicher nicht höher als hier bei CDU oder SPD. Sicher niedriger als bei FDP, CSU oder FW.

    • @tomás zerolo:

      Vielleicht haben Sie recht, aber an einen vorgeblich basisdemokratischen Verein hätte ich andere Ansprüche als an die AfD, oder den BSW. Über die Entwicklung der FW kann man sich in der Tat nur wundern.

  • Kasselakis hat den teilweise fast schon trumpesken Populismus der Syriza-Partei, den bereits sein Vorgänger, Alexis Tsipras, gezielt befördert und zynisch instrumentalisiert hat (Sarah Wagenknecht lässt grüßen), bloß zur Formvollendung gebracht. Sein Pech war, dass er noch nicht fest genug im Sattel saß, um alle zu eliminieren, die ihm innerparteilich hätten gefährlich werden können, obwohl er damit schon erstaunlichweit gekommen ist. Leider gibt es kaum Aussicht auf Besserung, denn diejenigen, die ihn jetzt zu Fall gebracht haben, sind die gleichen, die ihm den Weg an die Parteispitze bereitet haben. Sie sind aus ähnlichem Holz geschnitzt.

  • Irgendwie ist die Partei in meiner Wahrnehmung schon immer ein Verein der Egomanen. Da war der letzte nur der Tropfen Populismus zuviel.

    • @vieldenker:

      Populismus ist das krankhafte Gegenteil von Egomanie. Statt krankhafter Ich-Sucht wird ein krankhaftes Wir propagiert.

      • @Rudolf Fissner:

        Kann durchaus beides zusammen kommen, wie Geschichte und Gegenwart zeigen. Das „krankhafte wir“ unter der Führung eines „Ich-Süchtigen“ als vermeintliche Heiksgestalt.