40 Jahre Karola e.V. in Hamburg: Ein Zufluchtsort am Zufluchtsort
Vor 40 Jahren wurde im Hamburger Karolinenviertel der Verein „Karola“ gegründet, um Frauen und Mädchen zu unterstützen. Fast alle von ihnen sind Romnja.
Maul ist eine von vier Mitarbeiterinnen des Vereins „Karola“ im Hamburger Karolinenviertel. Seit nun 40 Jahren unterstützt der Verein Mädchen und Frauen verschiedener Generationen. Das besondere: Nahezu alle von ihnen sind Romnja.
Zu Beginn der 1990er wurde das Karolinenviertel abrupt zum Zufluchtsort vieler Rom*nja. Aufgrund des Jugoslawienkrieges kamen etwa 500 von ihnen aus dem serbischen Dorf Negotin zu Verwandten, die bereits in den 1980ern als Gastarbeiter*innen hergezogen waren.
„Hier steigt eine Giftsuppe auf“, betitelte der Spiegel im Oktober 1991 eine lange Reportage über die Situation. Unter Rückgriff auf allerlei antiziganistische Stereotype wird darin beschrieben, wie die deutschen Anwohner*innen des Viertels sich von den geflüchteten Rom*nja-Familien bedroht fühlten und extreme soziale Spannungen bestanden.
Schon vor dem Zustrom waren die Wohnungen vieler Rom*nja-Familien völlig überbelegt. Die Stadt brachte 150 der Neuankömmlinge in Hotels am Rande des Karolienenviertels unter, was jedoch längst nicht reichte. Die damals stadteigene Wohnungsgesellschaft Steg, die bis heute Eigentümerin vieler Wohnungen im Karoviertel ist, veröffentlichte im Januar 1993 einen Bericht, nach dem sich 400 Rom*nja auf nur 24 Wohnungen verteilten.
„40 Jahre Karola“, 13. September,14–20 Uhr, Beckstraße 2, Hamburg
Trotz der antiziganistischen Ressentiments vieler deutscher Anwohner*innen gab es auch eine solidarische Gegenbewegung: Schon 1984 gründeten Gemeindemitglieder der nahe gelegenen Gnadenkirche einen Verein, um den interkulturellen Dialog im Viertel zu fördern – es war der Vorläufer von Karola, dessen Entstehungsgeschichte in einer umfassenden Chronik nachzulesen ist.
Im Juli 1991, als der Zuzug vieler Rom*nja ganz akut war, trafen sich Anwohner*innen aus dem Umfeld des Vereins und der „Karo-Ini“, um über die zunehmende „Drogendealerei und Frauenanmache“ in ihrer Nachbarschaft zu beraten. Bei dem Treffen waren auch zwei Zivilpolizisten anwesend, die allerdings weggeschickt wurden – die Mehrheit wollte das Problem ohne Polizei in den Griff kriegen.
Gemeinsam forderten die Anwohner*innen mehr Wohnräume für die Rom*nja und setzten sich für Dialog zwischen den verschiedenen Gruppen ein. Die Räume des Vereins wurden für Nachbarschaftstreffen genutzt und der Verein organisierte erste Sozialberatungen und Alphabetisierungskurse für die Rom*nja.
Auch wenn viele Rom*nja das Karoviertel inzwischen verlassen haben, hat Karola sich über die Jahre gehalten und ist sogar gewachsen. Etwa 180 Personen sind heute an den Verein angedockt und kommen regelmäßig zu Sozialberatungen, Bildungsangeboten oder dem Freizeitprogramm. Fast alle von ihnen sind Angehörige und Nachfahren der Rom*nja-Familien, die früher im Viertel lebten.
Finanziert wird die Arbeit aktuell von der EU, Ende 2025 läuft die Förderung aus. „Die finanzielle Unsicherheit ist ein großes Hindernis für unsere Arbeit. Es wäre schön, wenn die Stadt sich hier mehr einbringen würde“, sagt dazu Annalena Maul.
Auch die Schwestern Jelena und Jana Beganovic sind mittlerweile zum Treffen der Filmgruppe eingetroffen. Sie sitzen gemeinsam mit Samira auf der Veranda und schmieden Zukunftspläne. Die drei sind aktuell auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. „Wir sollten ein Kosmetikstudio eröffnen!“, sagt Jana. „Ich sag’ euch: Das werden Menschen immer wollen, diese Arbeit wird nie aussterben.“ Samira und Jelena stimmen ihr zu.
Starke patriarchale Strukturen
Der Geschäftssinn von Jana ist nicht selbstverständlich. Lange war es innerhalb der Rom*nja-Community unüblich, dass Frauen überhaupt arbeiteten. Bis heute bestehen starke patriarchale Strukturen.
Der Verein wendet sich deshalb bewusst in erster Linie an Frauen und Mädchen. „Wir bieten einen Safe Space für Frauen an, durch den sie ihre Selbstwirksamkeit erhöhen können. Der Papierkram soll aber nicht nur an ihnen hängenbleiben, deshalb nehmen wir in die Sozialberatung auch manchmal Männer auf, damit die sich ebenfalls damit auseinandersetzen“, erklärt Maul das Konzept.
„Die Voraussetzung für unsere Arbeit ist dabei immer, die Kultur und Strukturen in der Community zu respektieren und den Frauen auf Augenhöhe zu begegnen.“
Über die Jahre hinweg hat sich in dieser Hinsicht bereits einiges verändert: „Unsere Großmutter sagt uns immer wieder, dass wir unseren eigenen Weg gehen und eine Ausbildung machen sollen“, sagt Jana. „Wir wachsen anders auf als die Generationen vor uns.“
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