Krieg in Nahost: Israel bombardiert Schutzzone
Mindestens 19 Menschen sind bei einem israelischen Angriff im Gazastreifen gestorben. Darunter sollen mehrere hochrangige Hamas-Angehörige sein.
Die israelische Luftwaffe hat in der Nacht auf Dienstag eine humanitäre Schutzzone im Süden des Gazastreifens bombardiert. Auf Pressefotos sind tiefe Krater im sandigen Boden und zahlreiche zerstörte Zelte zu sehen, zwischen denen Frauen und Kinder nach Habseligkeiten suchen. Das von der Hamas geleitete Gesundheitsministerium in Gaza meldete 19 Tote, am Morgen hatte ein Sprecher des Zivilschutzes noch von 40 Toten gesprochen.
Nach Angaben von Israels Armee wurden bei dem Angriff bei Chan Yunis mehrere hochrangige Hamas-Angehörige getötet. Sie seien an dem Überfall auf Israel am 7. Oktober beteiligt gewesen. Die Zivilschutzbehörde sagte, eine Warnung sei dem Angriff nicht vorausgegangen. Die Opferzahlen der Zivilschutzbehörde unterscheiden nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten. Die Hamas selbst bestritt, dass sich Kämpfer in der humanitären Zone aufgehalten hätten. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
„Ich bin mitten in der Nacht vom Geräusch der Raketen aufgewacht“, sagte eine Bewohnerin der Schutzzone al-Mawasi bei Chan Junis der taz. Sie habe fünf oder sechs Explosionen gehört und Brände gesehen, berichtet die junge Frau, die mit ihrer Familie in einem Zelt rund 300 Meter von der Einschlagstelle lebt. „Danach habe ich mehr als eine Stunde lang die Sirenen der Krankenwagen gehört.“
Im Gebiet al-Mawasi
Al-Mawasi ist ein vor dem Krieg kaum bewohnter sandiger Küstenstreifen, den die israelische Armee im Oktober 2023 zur „humanitären Zone“ erklärt und die Bevölkerung von Gaza seitdem mehrfach aufgefordert hatte, sich dorthin zurückzuziehen. 86 Prozent des Gazastreifens ließ Israel den Vereinten Nationen zufolge evakuieren. Nun drängen sich auf dem Gebiet al-Mawasi laut Hilfsorganisationen mehr als 380.000 teils mehrfach vertriebene Palästinenser in Zelten zusammen.
„Wir haben zu acht in einem Zelt ohne Toilette gelebt“, sagt die 23-jährige Dima, die bis vor wenigen Wochen mit ihrer Familie in al-Mawasi war, aus dem benachbarten Chan Yunis am Telefon. „Oft gab es kein Wasser, und wir mussten mehrere Kilometer laufen, um etwas zu essen zu finden.“ Medizinische Versorgung gebe es nicht.
Der Angriff in der Nacht ist nicht der erste in al-Mawasi. Trotz der Ausweisung als humanitäre Schutzzone hat die Armee das Gebiet immer wieder beschossen. Im April etwa feuerte ein israelischer Panzer auf ein Wohnhaus der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Dabei wurden zwei Menschen getötet. Ein Luftangriff im Juli soll mutmaßlich den militärischen Anführer der Hamas in Gaza, Mohammed Deif, getötet haben. Dabei starben nach Angaben des Gesundheitsministeriums mindestens 92 Menschen. Seit Kriegsbeginn sollen mehr als 41.000 Menschen in Gaza getötet worden sein.
Die humanitäre Situation bleibt katastrophal. UN-Generalsekretär António Guterres sagte am Montag, er habe „noch nie solch ein Ausmaß an Tod und Zerstörung gesehen“. Am Dienstag soll die dritte Phase einer Polio-Impfkampagne in Nordgaza starten, nachdem kürzlich der erste Fall von Kinderlähmung seit 25 Jahren gemeldet worden war. Die Vereinten Nationen wollen in lokal beschränkten Kampfpausen insgesamt rund 640.000 Kinder impfen. Am Sonntag war die zweite Phase mit rund 256.000 verabreichten Impfdosen in Südgaza abgeschlossen worden.
Das Ende einer militärischen Formation?
Während der Pausen waren die Kämpfe im Rest des Gebiets weitergegangen. Israel hat das Gebiet seit Kriegsbeginn abgeriegelt. Hilfsorganisationen warnen seither, dass nicht ausreichend humanitäre Hilfe nach Gaza gelangt.
Israels Verteidigungsminister Joav Gallant erklärte in einer Pressekonferenz am Dienstag: „Die Hamas existiert nicht mehr als militärische Formation.“ Er drängte erneut auf ein Abkommen für einen Waffenstillstand und die Freilassung der verbliebenen Geiseln. Seit Monaten stocken die Verhandlungen wegen immer neuer Forderungen von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und der Hamas. Israel müsse sich anderen Sicherheitsrisiken zuwenden, forderte Gallant.
Auch der Oppositionsführer Benny Gantz forderte bei einer Konferenz in Washington, Israel solle seinen Fokus auf die Hisbollah und die libanesische Grenze verlagern. Der Iran und seine Stellvertreter in der Region seien „das wahre Problem“. Nissim Vaturi, ein Abgeordneter der Regierungspartei Likud, ging noch einen Schritt weiter und sagte, ein ausgewachsener Krieg mit der Hisbollah sei „eine Frage von Tagen“. Der Beiruter Vorort Dahiyeh, eine Hochburg der Hisbollah, werde „aussehen wie Gaza“, sagte er dem israelischen Sender KAN.
Ein hochrangiger US-Vertreter warnte am Montag vor „katastrophalen und unabsehbaren Konsequenzen“ eines ausgewachsenen Krieges zwischen Israel und der Hisbollah. „Am Ende könnte Israel einen hohen Preis zahlen, ohne seine Ziele zu erreichen“, zitierte der Axios-Journalist Barak Ravid den US-Beamten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen