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Präsidentschaftswahlen in AlgerienGesucht: Legitimation

Wahlsieger in Algerien wird wohl der Amtsinhaber. Von seinem Vorgänger Bouteflika, der 2019 durch Proteste stürzte, unterscheidet er sich kaum.

Drei Kandidaten, keine Alternative: Re­gime­geg­ne­r*in­nen rufen zum Boykott der Wahl in Algerien auf Foto: Fateh Guidoum/ap

Berlin taz | Alt, männlich, militärnah – Algeriens 2019 von der Protestbewegung Hirak gestürzter Ex-Präsident Abdelaziz Bouteflika sowie der danach ins Amt gehievte, amtierende Abdelmajid Tebboune haben vieles gemeinsam. Immerhin könne der 78-jährige Tebboune noch selbstständig laufen und sprechen, heißt es spöttisch seitens algerischer Re­gime­kri­ti­ke­r*in­nen. Diese Anspielung auf den lange als desolat bekannten Gesundheitszustand des Ex-Präsidenten zeigt, wie frustriert Algeriens Gesellschaft ist – auch mit der amtierenden politischen Führung im Land. Und am Samstag wird gewählt.

Trotz gebetsmühlenartiger Verkündungen eines „neuen Algeriens“ und anderer leerer Versprechen seitens Tebboune und seiner Entourage hat sich seit 2019 wenig getan. Politisch, wirtschaftlich und sozial hat sich die Lage in dem nach Norwegen zweitgrößten Energie­lieferanten Europas zwar wieder beruhigt. Doch Tebbounes Beitrag dazu wird gemeinhin als gering eingeschätzt.

Dennoch dürfte der frühere Wohnungsbauminister beim Urnengang am Wochenende als haushoher Gewinner hervorgehen. Insgesamt 14 Kandidaturen waren bei der von der Exekutive gelenkten Wahlkommission ANIE eingereicht worden – nur drei wurden zugelassen. Neben dem als unabhängiger Kandidat antretenden Tebboune stehen Abdelaali Hassani Cherif von der gemäßigt islamistischen MSP (Bewegung für die Gesellschaft und den Frieden) sowie Youcef Aouchiche von der vor allem in der Ber­be­r*in­nen­re­gi­on Kabylei verankerten FFS (Front Sozialistischer Kräfte) auf dem Wahlzettel.

Wie schon zu Zeiten Bouteflikas teilt sich das parteipolitische Spektrum in Algerien grob in drei Lager auf: jene, die den Regime- und „Konsenskandidaten“ unterstützen. Jene, die mit eigenen Kandidaten antreten oder zumindest zur Wahlteilnahme aufrufen. Und jene, welche die Abstimmung boykottieren und diese als manipuliertes Theater betrachten. Nach Bouteflikas Sturz landeten zwar unzählige Funktionäre seiner früheren überparteilichen „Präsidentenallianz“ im Gefängnis, doch deren neue Führungsriegen stehen heute wieder fast geschlossen hinter dem Mann der Macht, Tebboune.

Das Regime braucht eine solide Wahlbeteiligung

Trotz Verkündungen eines neuen Algeriens und leerer Versprechen hat sich seit 2019 wenig verändert

Im Wahlkampf werden ihre Ver­tre­te­r*in­nen und jene von MSP und FFS nicht müde, Algeriens Gesellschaft zur Stimmabgabe aufzurufen. Wie schon während der 20-jährigen Ära Bouteflika ist das Wahlergebnis zweitrangig. Doch die Wahlbeteiligung bleibt für die herrschenden Eliten enorm wichtig. So suggeriert eine nicht allzu katastrophale Beteiligung eine Unterstützung der Gesellschaft für Algeriens politische Führung – und diese ist für das Regime notwendig, um seine Legitimität zu erneuern.

Auch die Begleitmusik des Wahlkampfes erinnert an die Bouteflika-Jahre: großspurige soziale und wirtschaftliche Versprechen sowie Repressalien gegen Boykottbefürworter*innen. Waren Letztere vor 2019 noch eher symbolisch, geht das Regime heute knallhart gegen jedwede Form der Opposition vor.

Der Polizeiapparat ließ seit August Dutzende Mitglieder oppositioneller Parteien verhaften. Zuletzt traf es den Linkspolitiker Fethi Ghares und zahlreiche Kader der Ka­by­l*in­nen­par­tei RCD (Sammlung für Kultur und Demokratie). Einschüchterung zählt immer noch zum Standardrepertoire des Regimes.

Der Aufstand von 2019 ist verpufft

Unterdessen macht Algeriens Zivilgesellschaft vor allem online mobil und hat erneut eine Kampagne für die Freilassung politischer Gefangener gestartet. Landesweit sitzen mindestens 225 Menschen aus politischen Gründen in Haft, so das Nationale Komitee für die Freilassung der Gefangenen.

Auch mittels derartiger Repressalien hat das formell von Tebboune und Armeechef Saïd Chengriha gelenkte Regime der Protestbewegung Hirak den Garaus gemacht. Die unter Bouteflika hart erkämpften Freiheiten sind vorerst passé. Oppositionelle Organisationen und Parteien werden verboten, Dis­si­den­t*in­nen ins Ausland gedrängt, regimekritische Äußerungen kriminalisiert.

Doch Algeriens Eliten müssen sich die fragile politische Ruhe teuer erkaufen und setzen daher auf den Ausbau extraktiver Industrien. Erstmals seit den frühen 2000ern ließ die Regierung jüngst wieder westliche Energiekonzerne ins Land und setzt heute auch auf die Förderung anderer für den Export bestimmter Rohstoffe, allen voran Phosphat.

Derlei Industrien schaffen zwar kaum Jobs, erlauben es der Regierung aber, Sozial­ausgaben zu erhöhen und der Gesellschaft Brotkrumen vor die Füße zu werfen. Algerien ist wieder fest in der Hand von Militärs und Staatseliten, der Aufstand von 2019 ergebnislos verpufft.

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