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Soldat wegen Vierfachmord vor GerichtBei Gefährderansprache „besonnen“

Seine Ex-Frau hatte den Soldaten angezeigt. Die Polizei suchte ihn auf und stufte ihn als nicht gefährlich ein. Entwaffnet haben die Beamten ihn nicht

Gedenken an die Opfer: Ein Bundeswehrsoldat soll vier Menschen in den Gemeinden Westervesede und Brockel erschossen haben Foto: Sina Schuldt /dpa

Er schweigt weiter. Der Bundeswehrsoldat Florian G., der beschuldigt wird, vier Menschen in einem privaten Rachefeldzug getötet zu haben, weil seine Frau ihn verlassen hat, lässt auch den zweiten Prozesstag vor dem Landgericht Verden mit starrer Miene über sich ergehen.

Es ist ein kurzer Prozesstag, vorgetragen werden die ersten rechtsmedizinischen Gutachten vom zweiten Tatort im niedersächsischen Brockel, wo G. der Anklage zufolge die beste Freundin seiner Frau und deren dreijährige Tochter erschossen haben soll. „Das sind belastende Bilder“, warnt der Vorsitzende Richter Volker Stronczyk die Zuschauer noch, bevor die Fotos der durch die Schüsse grausam zugerichteten Toten auf dem Bildschirm erscheinen.

Den nebenan wohnenden Eltern und Großeltern, die damals aufgeschreckt durch die Schüsse, herbeieilten, muss sich ein schrecklicher Anblick geboten haben. Genauso wie dem Nachbar, der auf einen umgedrehten Bierkasten stieg, um den unablässig schrillenden Rauchmelder im Kinderzimmer abzudrehen. Florian G. verzieht beim Anblick der Bilder im Gerichtssaal keine Miene.

„Es ist Ihr gutes Recht zu schweigen. Aber wir als Strafkammer werden da nicht hinterherrennen, ob Sie aussagen oder nicht aussagen“, wendet sich der Vorsitzende Richter an den Angeklagten. Die weitere Beweisaufnahme plant er erst einmal ohne Einlassung des Angeklagten. Am 10. September wird es um die Untersuchungen am ersten Tatort gehen. Am 2. Oktober soll der psychiatrische Sachverständige aussagen, dem gegenüber sich der Angeklagte vor dem Prozess durchaus geäußert hatte.

Im Kreis Rotenburg versucht derweil die Linke, die Debatte darüber aufzugreifen, ob Polizei und Waffenbehörden in diesem Fall anders hätten agieren müssen. „Es ist absolut unverständlich, wie die Polizei trotz eindeutiger Warnsignale und einer gemeldeten Bedrohungslage durch die Ehefrau des Täters keine unmittelbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Waffen des Soldaten zu beschlagnahmen und das Risiko zu minimieren,“ schreibt die Landesvorsitzende Franziska Junker in einer Pressemitteilung.

Ex-Frau des mutmaßlichen Täters suchte Rat

Ihrem örtlichen Parteikollegen Stefan Klingbeil sind Chats aus einer privaten Facebook-Gruppe von Soldatenfrauen zugespielt worden, in der die Ex-Ehefrau des mutmaßlichen Täters Rat gesucht hatte. Sie habe sich getrennt und einen neuen Lebensgefährten, schreibt sie wenige Tage vor der Tat. Jetzt habe ihr Ex-Mann sie beide bedroht. In dem Chat entspinnt sich daraufhin eine Diskussion darüber, ob es reicht, damit zur Polizei zu gehen oder ob es klüger wäre, die Waffenbehörde gesondert zu informieren.

Letztlich, so viel weiß man mittlerweile, ist das Paar „nur“ zur Polizei gegangen und hat dort Anzeige erstattet. Die Waffenbehörde wurde von niemandem informiert. Die Polizei hat die Situation immerhin so ernst genommen, dass sie noch am selben Tag eine Gefährderansprache vorgenommen hat. Dabei blieb es dann aber auch.

Der Sprecher der zuständigen Polizeiinspektion Rotenburg, Heiner van der Werp, hat seither seine liebe Not zu erklären, warum das so war. „Wir haben das intern sofort und auch sehr gründlich überprüft – auch im Interesse der Kollegen, für die das natürlich auch belastend ist. Aber nach der bestehenden rechtlichen Grundlage war das alles in Ordnung.“

Was vorlag, war lediglich eine Anzeige wegen einer mutmaßlichen Bedrohung – und im Gespräch habe sich der jetzt Angeklagte „ruhig, orientiert und besonnen“ gegeben. Damit habe es keinen Anlass für weitere Maßnahmen gegeben. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch die Waffenbehörde in dieser Situation keine Handhabe gesehen hätte, die Waffen einzuziehen“, sagt van der Werp.

Allerdings sei jetzt eine unabhängige Gruppe aus der Polizeiinspektion Heidekreis damit beauftragt worden, die Abläufe noch einmal zu überprüfen und möglicherweise einen neuen Handlungsleitfaden zu erstellen, wie mit solchen Situationen künftig umgegangen werden soll. Aber die Frage, ob man da grundsätzlich anders vorgehen müsste, könne die Polizei natürlich nicht beantworten. „Das ist letztlich eine politische Frage“, sagt der erfahrene Polizist.

Rein theoretisch wäre es natürlich denkbar, die Spielregeln beim privaten Waffenbesitz noch einmal zu verschärfen – das ist auf Bundesebene ja ohnehin geplant. Möglicherweise könnte man auch bei bestimmten Konfliktlagen die Waffen vorübergehend sicherstellen. Zur Gefahrenabwehr ist das prinzipiell auch jetzt schon möglich, das muss auch nicht erst mit der Waffenbehörde abgestimmt werden. Und immerhin geschehen die meisten Femizide – oder wie in diesem Fall Stellvertreter-Femizide – in den Wochen und Monaten rund um die unmittelbare Trennungssituation.

Innenministerium hält sich bedeckt

Im niedersächsischen Innenministerium hält man sich bei der Frage nach Schlussfolgerungen und Konsequenzen aus dieser Tat jedenfalls erst einmal bedeckt. Natürlich seien solche Ereignisse immer ein Anlass, bestehende Regularien noch einmal zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren, schreibt eine Sprecherin auf taz-Anfrage. Aber für eine umfängliche Aufarbeitung müsste man hier doch auch erst einmal die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens abwarten.

Es ist absolut unverständlich, wie die Polizei trotz einer gemeldeten Bedrohungslage durch die Ehefrau keine unmittelbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Waffen des Soldaten zu beschlagnahmen

Franziska Junker, Linke

Möglicherweise will man auch erst einmal abwarten, was da im Laufe des Prozesses noch so ans Licht kommt. Die Nebenklage-Vertreter haben schon angekündigt, sich der Frage, ob sich die Taten hätten verhindern lassen, widmen zu wollen.

Die Wochenzeitung Die Zeit berichtet, die Ermittler hätten rechte Chats und verfassungsfeindliche Symbole auf dem Handy des Soldaten zutage gefördert. Auch die Beurteilungen durch Vorgesetzte bei der Bundeswehr fielen wohl nicht uneingeschränkt positiv aus. Haben also Bundeswehr und Militärischer Abschirmdienst nicht genau genug hingeschaut?

„Wäre eine Person mit Migrationshintergrund involviert gewesen, hätte man die Debatte jetzt schon wieder missbraucht, um weniger Asyl und mehr Abschiebungen zu fordern. Da es aber um Bundeswehr und Fehlverhalten der Polizei geht, wird die Sache totgeschwiegen“, sagt Linken-Landesvorsitzender Thorben Peters. Die Linke will darum in diesem Fall nicht locker lassen.

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3 Kommentare

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  • Die Polizei muss modernisiert werden und die Vorgesetzten anders positioniert. Sie sollten Vertrauensperson und Vorbild sein aber nicht der Kumpel, der alles relatviert und verteidigt bis hoch zum Innenminister.



    Die Politik sollte nicht ein oberflächliches Messerverbot diskutieren, sondern wer auffällig wird, darf keine Waffen besitzen.

  • Die Kritik der Linkspartei ist vollauf berechtigt. Eine Bedrohung ist für sich allein schon eine Straftat (§ 241 StGB). Und wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die konkrete Gefahr einer Fremdgefährdung besteht, fehlt es an der persönlichen Eignung für eine waffenrechtliche Erlaubnis (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Waffengesetz), was zur Entziehung der Erlaubnis führen kann. Daher hätte die Polizei, die ja Anlass zu einer Gefährderansprache gesehen hat, unbedingt die Waffenbehörde informieren müssen. Es handelt sich mal wieder um einen Fall, in dem die schlichte Anwendung der bestehenden Gesetze möglicherweise hätte verhindern können, dass der Gefährder weiterhin mit scharfen Waffen herumlaufen konnte.

    Aber Bedrohungen werden in Deutschland seit jeher als Kavaliersdelikte behandelt. Wer bei einer Gefährderansprache ruhig bleibt und behauptet, das alles nicht ernst gemeint zu haben, hat gute Chancen, seine Drohungen ungehindert in die Tat umzusetzen.

    • @Budzylein:

      Ja, mag alles sein. Hinterher ist es halt leicht, schlauer zu sein.