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Rechtsextremismus in der ÖffentlichkeitEin Tag in Frankfurt (Oder)

Ist Brandenburg ein großer „Nazi-Kiez“? Fakt ist, dass die rechte Präsenz Einfluss auf den Alltag hat – häufig ohne Widerstand. Alltag in der Uni-Stadt.

Die meisten Studierenden kommen aus Berlin und sind nur ein paar Stunden die Woche in Frankfurt (Oder) Illustration: Marlena Wessollek

Frankfurt (Oder) taz | Der Wecker klingelt. Es ist 8 Uhr, ich muss gleich zur Uni. Die Sonne scheint. Auf dem Weg zur Tram kommt mir ein junger Mann mit Hund entgegen, auf seinen Körper ist eine schwarze Sonne tätowiert. Er wohnt hier irgendwo. In der Tram sitzt ein Mann Mitte 30, den ich auch vom Sehen kenne, er trägt ein Pitbull-T-Shirt, etwas unauffälliger als seine Thor-Steinar-Winterjacke. Sein Kind auch. Ich versuche, seinem Blick auszuweichen.

Während der Fahrt scrolle ich durch die Meldungen des Vereins Utopia e. V. in Frankfurt (Oder) zu den Ereignissen des letzten Abends: 10 rechte Sticker gefunden, eine ausländisch gelesene Person wurde nicht im Bus mitgenommen, Jugendliche sind mit Deutschlandflaggen durch die Stadt gefahren und haben Menschen angepöbelt. Im Durchschnitt 5 bis 10 Meldungen am Tag: mal nur Sticker, teilweise Beleidigungen und körperliche Übergriffe.

Utopia ist eine der Meldestellen für rechte Vorfälle und Aktivitäten. Auch die Opferperspektive (OPP) Brandenburg führt ihre Statistik. Der Anstieg der Zahl „direkt Geschädigter“ in den letzten drei Jahren, also von Personen, die von rechten und rassistischen Übergriffen betroffen waren, lässt eine Trendwende vermuten. Es gibt immer mehr rechte Sticker, und Vorfälle in der Öffentlichkeit häufen sich.

Durch solche Dokumentationen werden diese Vereine vermehrt zum Feindbild der AfD, und sie müssen um ihre Finanzierung und Existenz kämpfen. Die AfD arbeitet dabei mit kleinen Anfragen im Landtag, Bundestag oder in der Stadtverordnetenversammlung (SVV) und mit Ablehnung von Anträgen oder der Kürzung von Fördertöpfen.

Ostjugend-Dossiers

Der Text ist aus einem zu den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Rahmen eines Online-Workshops der taz Panter Stiftung entstandenen Ostjugend-Dossier, das durch Spenden finanziert wird: taz.de/spenden

Ratlosigkeit in der Uni, Ämter bleiben unbesetzt

Wir fahren durch den Bahnhofstunnel weiter. Allein dort erkenne ich fünf rote Quadrate mit einem Kreuz durch, die mal Hakenkreuze waren und jetzt dürftig unkenntlich gemacht wurden. Aus der Tram ausgestiegen finde ich noch einen Sticker mit einer Reichsflagge – ich melde ihn und entferne ihn schnell.

Mein Seminar ist klein. Die Studierendenzahlen an der Fakultät für Kulturwissenschaften gehen bergab – und sie war mal die größte! Es herrscht Ratlosigkeit. Ein Amt des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) blieb die gesamte Wahlperiode trotz Bewerbungen unbesetzt. „Zu politisch und nicht konservativ genug“, so die Begründung des Studierendenparlaments (StuPA).

Die meisten Studierenden sind nur 2 bis 3 Stunden in der Woche für ihre Kurse in Frankfurt. Eine weiblich und nichtdeutsch gelesene Person berichtet, sie habe in Frankfurt gewohnt, sei aber zurückgezogen, sie fühle sich hier nicht sicher. Ihre eineinhalbstündige Anreise aus Berlin geschehe nur geplant und in der Gruppe, niemals alleine.

Linke Sticker kleben nicht lange

Sobald das Seminar vorbei ist, baue ich mit meiner Hochschulgruppe einen Stand im Foyer auf, um Leute über die Hochschulpolitik aufzuklären. Der Nahostkonflikt und die AfD sind sofort Gesprächsstoff. Eine befreundete Person berichtet, auf der Toilette einen „1 %“-Sticker gefunden zu haben. Der Ein Prozent e. V. ist eine 2015 gegründete, vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Organisation – mit 1 Prozent ist eine „deutsche Elite“ gemeint.

Sticker, die nicht aus dem rechten Spektrum kommen, gibt es hier kaum – oder sie kleben nicht lange. Plakate der Students for Climate Justice, des Uni-Ablegers von Fridays for Future (FFF), werden täglich abgerissen. Plakate gegen Extremismus, wie die Demoaufrufe von „Frankfurt bleibt bunt“, mussten täglich ersetzt werden.

Ich fahre nach Hause zurück. Auf dem Weg laufe ich an einer Person in Kutte vorbei, darauf ein Logo der Frankfurter Neonazibruderschaft Wolfsschar. Bisher haben sie ihre Kleidung nur außerhalb der Stadt getragen, in der letzten Zeit aber zunehmend auch in der Innenstadt. Andere Szenemodemarken wie Yakuza und Amstaff sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Mit einem Antifaschismus-Pulli traue ich mich nicht mehr raus, denn die Leute sollen nicht wissen, wo ich wohne.

Rechte fühlen sich mehr und mehr wohl in der Öffentlichkeit

Später abends sitze ich mit Freunden in einer Bar. Schnell kommen wir mit den Leuten am Nachbartisch ins Gespräch über eine Hausarbeit. Das Thema: die Gedenkkultur und moderne Aufbereitung von Anne Franks Tagebuch. Nach einer Weile wird der Holocaust relativiert: „Warum müssen wir uns immer noch damit auseinandersetzen?“ Danach folgt ein klares Bekenntnis zur AfD. Die Partei ginge noch realistisch mit dem Holocaust um. Wir brechen das Gespräch ab.

Die Kneipe ist eigentlich offen für alle, jedoch scheinen sich immer mehr rechte Menschen in der Öffentlichkeit wohlzufühlen. Einen Tisch weiter wird diskutiert, ob die Aussage „Ich mag die meisten Ausländer nicht, das sind Messerstecher und Vergewaltiger“ rassistisch sei. Es wird die Angst junger Frauen gegen Rassismus aufgewogen.

Ich verabschiede mich, denn ich habe morgen wieder Uni. Einschlafen fällt mir schwer. Wie gehe ich damit um? Wo ist die antirassistische und demokratische „Mehrheit“? Wenn in Deutschland so viel Empörung über rechtsextreme Gesänge auf Sylt herrscht, warum empört sich kaum einer über diesen Alltag in meiner ostdeutschen Uni-Wahlheimat? Brandenburg ist nicht rechts, aber falls es kein Einschreiten gibt, wird dieses Stigma schnell Überhand gewinnen.

Leandre Schepers (24), an der niederländischen Grenze aufgewachsen, studiert seit vier Jahren in Frankfurt (Oder), arbeitet in einer Bar und engagiert sich für Kulturarbeit.

ILLUSTRATION: Marlena Wessollek (22) studiert Visuelle Kommunikation in Berlin. Wenn sie erzählt, dass sie in Eberswalde aufgewachsen ist, ist das den meisten Menschen wahlweise ein Begriff wegen der dort ansässigen Hochschule für nachhaltige Entwicklung oder wegen der Eberswalder Würstchen – in seltenen Fällen auch wegen der O-Busse.

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2 Kommentare

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  • Wie war das jetzt mit Vielfalt und Toleranz? Schön zu lesen, dass auch die Toleranten ihre Grenzen haben.

  • Beim Lesen dieses Artikels wurde mir bewusst, in was für einer glücklichen und privilegierten Situation ich mich befinde, in einer Stadt zu leben, in der die Grünen stärkste Partei sind, die AfD bei den Europawahlen "nur" 7,7% eingefahren hat (was ich schon beängstigend viel finde) und die örtlichen Fußball-Ultras Antifa-Sticker auf die Ampelmasten kleben.