piwik no script img

Razzia bei Andrew TateHausarrest statt hinterm Steuer

Andrew und Tristan Tate wurden als frauenfeindliche Influencer bekannt. In ihrer Wahlheimat Rumänien gab es nun Razzien wegen diverser Straftaten.

Auch Andrew Tates pinker Ferrari wurde beschlagnahmt, bei Bukarest 24. August Foto: Vadim Ghirda/ap

Es ist der 22. August, und die Brüder Andrew und Tristan Tate sitzen in einem Livestream. Andrew Tate, vor allem bekannt für seinen extremen Frauenhass, die offensive Zurschaustellung seines primär aus Zuhälterei und Multi-Level-Marketing-Betrügereien resultierenden Vermögens auf Social Media und letztendlich seine Millionen an jungen, männlichen Fans, ist oberkörperfrei.

Der Titel des auf der Plattform X veröffentlichten Streams trägt den reißerischen Namen „Slanderous lies“, also „verleumderische Lügen“. Aufgenommen wurde der Podcast kurz nach der Durchsuchung von vier Häusern am 21. August durch die rumänische Behörde Diicot, die für besonders schwere Kriminalitätsfälle verantwortlich ist. Sowohl Andrew und Tristan Tate als auch vier weitere Kom­pli­z*in­nen wurden im Rahmen der Durchsuchungen für 24 Stunden festgehalten.

In Rumänien wird den Tates die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Menschenhandel und Vergewaltigung vorgeworfen

Die Vorwürfe lauten: Geldwäsche, Bestechung und am schwerwiegendsten: Menschenhandel mit Minderjährigen. Diese Anklagen reihen sich ein in weitere laufende Prozesse, die sowohl von rumänischen als auch britischen Behörden verhandelt werden. Im Rahmen der Durchsuchungen wurden unter anderem Luxusgegenstände und Krypto-Währungen beschlagnahmt.

In Rumänien wird den Tates die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Menschenhandel und Vergewaltigung vorgeworfen, in Großbritannien sind sie wegen weiterer Fälle sexueller Gewalt angeklagt. Die beiden Brüder stammen ursprünglich aus England, haben aber auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft.

Fast 10 Millionen Abonnenten

2017 erfolgte der Umzug nach Rumänien. Als Grund für den Landeswechsel gibt Tate in Interviews die angebliche Bestechlichkeit der dortigen Behörden an und kokettierte in den sozialen Medien mit seinem Einfluss, den auch er auf sie habe. Unter Hausarrest sitzen die Tates in Rumänien gerade trotzdem – was auch bedeutet, dass sie nach wie vor Internetzugang haben und dort ihr Verschwörungsdenken und ihren Frauenhass weiterverbreiten können.

Andrew Tate hat auf X fast 10 Millionen Abonnenten. Im Laufe der Anklagen gegen den Influencer haben Meta, Twitter (heute X) und TikTok Tates Account 2022 eingeschränkt. Nachdem der zunehmend dem Faschismus zugeneigte Milliardär Elon Musk Twitter aufgekauft hatte, wurde Tates Account wieder freigeschaltet. Auch der Tate-­Pod­cast „Emergency Meeting“ wird auf X ausgestrahlt.

Wie es bei sexuellen Gewalttätern so häufig der Fall ist, dementieren Andrew und Tristan die Vorwürfe und steigern sich dabei in verschwörungsideologische Opferinszenierungen: Laut seinem Twitter-Account wollen wahlweise Israel, „die Matrix“ oder „Globohomo“ die aufrechten Kämpfer für Redefreiheit und Männerrechte zum Schweigen bringen.

Sich keiner Schuld bewusst

Die aktuellen Anklagen seien alle an den Haaren herbeigezogen. Sie hätten weder Minderjährige gegroomt – also in eine sexuelle Beziehung hineinmanipuliert – und vergewaltigt, noch wären sie an Menschenhandel beteiligt gewesen. Das heute 24 Jahre alte Opfer hätte mit 17 eigenständig den Kontakt zu den Tates gesucht – sie sei also quasi selbst dafür verantwortlich, gegroomt worden zu sein.

Andrew Tate retweetet diesbezüglich den Verschwörungsideologen Mike Cernovich, der behauptet, dass „feindliche Regime“ inzwischen jede Form von Prostitution als „Menschenhandel“ bezeichnen würden. Tate verleugnet damit einerseits die Tatsache, dass Zuhälterei und Menschenhandel eng mit­ein­ander verwoben sind, und suggeriert andererseits, dass sexuelle Ausbeutung eine legitime Tätigkeit sei.

Auch der Anwalt der Brüder, selbst ernannter „Verteidiger amerikanischer Patrioten, der Konstitution und Andrew & Tristan Tates“, dementiert die Vorwürfe. Wer also glaubt, dass die zahlreichen Anklagen Andrew Tate dazu bringen würden, vorsichtiger mit seinen Aussagen zu sein, irrt sich. Er ist sich keiner Schuld bewusst.

Emotionale, körperliche und sexuelle Gewalt

Auf der anderen Seite stehen die Aussagen von sieben Frauen. Sie geben an, durch die „Loverboy“-Masche manipuliert, nach Bukarest gelockt und zu Sexarbeit gezwungen worden zu sein, und reihen sich neben ähnlichen Vorwürfen anderer Betroffener ein.

Zudem existieren Tausende Seiten Leaks aus einer Chatgruppe um Andrew Tates „War Room“, einem exklusiven Zirkel um den Influencer. Der Preis für die Mitgliedschaft beläuft sich auf 8.000 Dollar pro Monat.

Innerhalb dieser Chatgruppe tauschen sich die Mitglieder ganz konkret über Methoden aus, junge Frauen in eine emotionale Abhängigkeit zu groomen, sie von ihrem sozialen Umfeld zu isolieren, grundlegend missbräuchliche und gewalttätige Beziehungen zu ihnen einzugehen und sie zu Sexarbeit, primär über die Bezahlplattform OnlyFans, zu zwingen. Die Mitglieder des „War Room“ geben unverblümt zu, emotionale, körperliche und sexuelle Gewalt einzusetzen, um die oft noch sehr jungen Frauen gefügig zu machen.

Überwältigende Beweislage

Neben den ernstzunehmenden Anklagen war Andrew Tate in den letzten Wochen immer wieder Witzfigur im Internet. Nach einem geflüchtetenfeindlichen rassistischen Tweet im Rahmen der muslimfeindlichen Ausschreitungen in Großbritannien wurde Tate von ihm ansonsten ideologisch recht nahestehenden Neonazis und Rassisten aufgrund seines Schwarzen Vaters beleidigt.

Anfang August veröffentlichte Tate zudem ein Foto in recht knappen Badeshorts und wurde daraufhin von sogenannten Transvestigatoren, also notorischen TransfeindInnen, die Beweise dafür finden wollen, dass Berühmtheiten in Wahrheit transgeschlechtlich seien, aufgrund eines schwer auszumachenden Penis zum trans Mann deklariert. Auch bei anderen Menschen sorgte das Foto für recht naheliegende Witze über Tates anscheinenden Zwang, etwas kompensieren zu müssen.

Zwar steht noch kein Datum für die Gerichtsverhandlung fest, aber die Beweislast ist überwältigend. Doch selbst wenn Andrew und Tristan Tate die kommenden Jahre hinter Gittern verbringen, der Schaden, den sie gesellschaftlich angerichtet haben, ist irreparabel. Sie sind zu Ikonen von Millionen Jungen geworden, die Frauenhass und Sozialchauvinismus zu ihrer Identität gemacht haben, in der Hoffnung zu einem Alphamann, einem Anführer zu werden.

Und Tausende Influencer imitieren Tates Ideologie und Habitus. In Großbritannien ist die Lage so drastisch, dass die derzeitige Labour-Regierung im Rahmen der Überprüfung ihrer Extremismusstrategie berät, Misogynie als Form von Extremismus zu definieren und dementsprechend Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Dies wäre eine angemessene Strategie, denn nur durch Präventionsarbeit kann die Ideologie von Männern wie den Tates im Keim erstickt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Absoluter Anfängerfehler. Spielt keine Rolle, wie bestechlich viele Behörden in Rumänien sind, wenn man das als Person des öffentlichen Lebens so rausposaunt, kann man sich die Schlinge auch einfach selbst enger schnüren. Ich gehe schwer davon aus, dass die Rumänen an ihm ein Exempel statuieren.

  • Widerlicher Typ. Trotzdem:

    Anfang August veröffentlichte Tate zudem ein Foto in recht knappen Badeshorts und wurde daraufhin von sogenannten Transvestigatoren, also notorischen TransfeindInnen, die Beweise dafür finden wollen, dass Berühmtheiten in Wahrheit transgeschlechtlich seien, aufgrund eines schwer auszumachenden Penis zum trans Mann deklariert. Auch bei anderen Menschen sorgte das Foto für recht naheliegende Witze über Tates anscheinenden Zwang, etwas kompensieren zu müssen."

    Was soll das? Was ist der Informationsgehalt? Oder soll das versteckte (Contra-)Hatespeech sein?

    Ich glaube man kann auf so was verzichten und den Kerl trotzdem vorführen.

    • @Ringsle:

      Diese Tate-Geschichte gehört ausgiebig für die Nachwelt dokumentiert und als Unterrichtsstoff in den Sozialkundeunterricht. Sollte man eigentlich in der Schule lernen, dass man sowas nicht tut und sich auch nicht antun lässt.

      Und solche Anekdoten wie ein "Transvestigator" sollte man auch unbedingt drin lassen. Dieses Internet ist eine Brutkammer, in der die Evulotion neben vielen guten Dingen auch mal sowas gebiert. Ich kannte das noch nicht und es hat mich sehr interessiert.

  • Mich irritiert nicht so sehr die Tatsache, daß es solche "Rattenfänger" gibt. Vielmehr beunruhigt mich, daß solche Typen bis zu 10 Millionen Follower haben. Und relativ sicher ist wohl, daß der Großteil davon ihn auch noch abfeiert.

    • @Mopsfidel:

      Trost ist, dass sich die Gefolgschaft solcher Führer über viele Länder verteilt. Trotzdem ist es erschreckend.

  • "Als Grund für den Landeswechsel gibt Tate in Interviews die angebliche Bestechlichkeit der dortigen Behörden an und kokettierte in den sozialen Medien mit seinem Einfluss, den auch er auf sie habe."

    Das war aber dumm. Bestechlichkeit ist zwar in Rumänien tatsächlich weit verbreitet. Aber das will doch niemand so im Internet lesen 😁

    Na ja. Rumänische Gefängnisse sollen recht "nett" sein...

  • Isolation ohne Internet wäre wohl die größte Strafe für solche Typen.Nach einem halben Jahr Abstinenz „followed“ denen keinen mehr

    • @vieldenker:

      das wäre doch tatsächlich mal eine adäquate Strafe für Intensiv(hass)täter. In jedem Fall ist das wirkungsvoller als eine Haftstrafe, die Inhalte verschwinden und die Täter verschwinden auch aus der (Medien)Welt