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Wandteppich im Braunschweiger RathausNeuer Anlauf zur Entnazifizierung

Ein Wandteppich des Nazi-Künstlers Karl Wollermann hängt immer noch im Braunschweiger Rathaus. Nun hat ein Künstlerkollektiv ein Ultimatum gestellt.

Die Dornse im Braunschweiger Altstadtrathaus: heimelig mit Wandteppich „Braunschweig“ von Karl Wollermann Foto: Be­nut­zer:­Brunswyk / Wikipedia / Creative Commons (CC-by-sa 4.0)

Braunschweig taz | Vielleicht wird Braunschweigs Rathaus jetzt ja doch entnazifiziert. Das Künstlerkollektiv Bezugsgruppe Rainer Rauch hat jedenfalls ein Ultimatum gestellt: Bis Donnerstag ist der Wollermann-Teppich abzuhängen, der die Dornse ziert. Das ist der Saal im Altstadtrathaus, in dem die Stadtspitze ihre Gäste festlich empfängt – eben vor dem Wandteppich des Gründungsrektors der Hochschule für Bildende Künste.

Jenseits von Braunschweig ist der Multikünstler Karl Wollermann heute kein Begriff. Zwei Ausstellungen hatte ihm zu Lebzeiten das Städtische Museum gewidmet, die erste, ein Rundumschlag, 1959. Die zweite, elf Jahre später, feierte seine Textilarbeiten, obwohl doch in der Zwischenzeit mit großem Knall Wollermanns Tätigkeiten als hochrangiger NS-Kulturfunktionär in Nürnberg und in Franken aufgeflogen waren. In der Folge hatte er 1967 die Frühpensionierung antreten müssen. Die Ausstellung von 1970 zeigt: Manche hielten auch danach noch zu ihm.

Bei seiner Berufung nach Braunschweig 1951 hatten es alte NS-Seilschaften offenbar verstanden, kritische Fragen zu Wollermanns Vorleben zu unterdrücken. Weshalb hatte die US-Militärregierung ihn 1946 aus der Nürnberger Kunstakademie entlassen? Warum musste er nach einem ersten Entnazifizierungsverfahren sogar in Haft, Vermögen abtreten? Niemand schien interessiert. Er wurde Leiter der Werkkunstschule. Als die 1963 zur Hochschule aufgewertet wurde bekam Wollermann den Rektorenposten. Aber er überstand nicht nur gut 15 Jahre Lehrtätigkeit in Braunschweig unbehelligt. Er wurde auch mit Aufträgen für Bildteppiche versorgt.

Der erste war 1956 ein an Geschmacklosigkeit kaum zu übertreffender 250 mal 400 Zentimeter großer Wandbehang des Ratssitzungssaals. Er zeigt einen Phönix aus der Asche, entstiegen den lodernden Feuern aus Braunschweigs Kirchtürmen nach alliierten Bombardements.

Wollermann war im Rahmen der Entnazifizierung inhaftiert und wurde trotzdem 1963 Gründungsrektor der Hochschule für Bildende Künste

„Auf diese Weise wird in künstlerisch bedeutsamer Form der ungebeugte Lebenswille unserer Stadt bekundet“, hieß es zur metaphorischen Idee. Dieses Stück, gefertigt durch eine während NS-Zeiten mit Staatsaufträgen „gearteter Innenausstattung“ bedachten Nürnberger Manufaktur, wurde dann offenbar nicht so recht geschätzt. Es gilt schon lange als verschollen.

Öffentlich präsent geblieben ist die zweite, wesentlich größere Auftragsarbeit, der 40-Quadratmeter-Bildteppich „Braunschweig“ von 1960. Er kombiniert in neusachlichem Formen-Repertoire wichtige Architekturen und das Wappen der Stadt zu einer gefälligen Collage.

Optisch tut er niemandem weh. Und das wiederauferstandene Mittelalter seines Aufhängungsortes, der besagten Dornse im Altstadtrathaus, irritiert auch ohne ihn. Aber wie konnte sich, nachdem Wollermanns Vergangenheit bekannt wurde, diese NS-Nachfolge-Kunst im kommunalen Repräsentationsraum halten?

Dazu schwieg das öffentliche Bewusstsein lange. Erst in diesem Mai warf endlich ein Symposium im Städtischen Museum, das Wollermann einst so kritiklos huldigte, die Frage nach dem kulturellen Erbe der NS-Diktatur und dessen oft unreflektierter Rezeption nach dem Krieg auf. Was tun? Reicht die häufig praktizierte „Kontextualisierung“ durch einen Kommentar am Objekt?

„Nein“ meint die Bezugsgruppe Rainer Rauch. Ihre Mitglieder, drei HfBK-Absolventen, wollen Braunschweig aber helfen. Wenn Donnerstag der Teppich nicht abgehängt sein sollte, überreichen sie der Stadt ein Geschenk: ein Banner zum Verhüllen, groß wie der Teppich, „mit einer zeitgemäßen ansprechenden Motivik, die sich auf Braunschweig und seine Geschichte bezieht – und auf die Zukunft.“

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5 Kommentare

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  • Wichtig ist ja, dass man es weiß. Nürnberg wird die NS - Hinterlassenschaften samt Granit aus Flossenbürg wegen ihrer Masse auch nicht los (Reichsparteitagsgelände). Man hat ein paar Jahrzehnte! gebraucht, bis man auf die Idee gekommen ist ein Memorium zu gestalten, weil die NS - Aberziehung der Fähigkeit der Selbstreflexion individuell sowie kollektiv wirksam und deswegen 'nachhaltig' war. Heute kommen Bildungstouristen und lassen authentisch den Eindruck auf sich wirken, der mit diesen 'Kunst'- und Bauwerken ausgedrückt wird. Das finde ich zeitlos wertvoll, denn wir wollen ja verstehen warum und wie es wurde. - So wie ich es verstanden habe ist der Wandteppich nicht gerade NS-Kunst. Er steht durch seine Anpassung an den Stil der Nachkriegskunst aber für das Anpasserische, das Charakterlose. Das wollen wir nicht, weil es alles möglich macht.Deswegen wäre es ganz gut, wenn der Teppich im Ratsaal verschwindet und in einem Museum für Kunst der 'Nach - NS- Zeit' mit einem pädagogischen Hinweis landet.Braunschweig müsste sich eh anstrengen.Der spätere Reichskanzler wurde m.W.durch den Regierungspräsidenten 1932 eingebürgert. Sonst hätte er gar nicht unser Unheil werden können.

  • Als Braunschweiger finde ich den Teppich nur mäßig hübsch.

    Aber trotzdem, und auch, wenn Herr Wollermann wohl teilweise moralisch fragwürdig gehandelt hat, halte ich von Bilderstürmerei wenig bis gar nichts.

    Der Teppich enthält keine Nazisymbole und verherrlicht weder Krieg, Judenhass oder Nationalismus.

    Wenn man sämtliche Gegenstände tilgen möchte, die von Nationalsozialisten geschaffen wurden, müsste man in Braunschweig beispielsweise auch zwei Schulen abreißen, die in „schönstem“ nationalsozialistischem Stil erbaut wurden (IGS Franzsches Feld und Braunschweig-Kolleg). Wenn man auch noch die Gebäude und Werke von „Imperialisten“ (z. B. Brandenburger Tor), religiösen Fanatikern und Verbrechern (katholische Kirche des Mittelalters mit Inquisition) und sonstigen Missliebigen Gestalten zerstören will, was ja dann nur konsequent wäre, bleibt von unserer historischen Bausubstanz und unseren Kunstwerken nicht mehr viel!

    Wir sollten nicht die Erinnerung an die dunklen Zeiten der deutschen Geschichte tilgen, sondern auf sie Hinweisen und uns an sie erinnern, damit sie nicht wiederkommen.

  • Ich habe längerer Zeit in China gearbeitet und mich erinnert der Vorgang an die chinesische Kulturrevolution: Es wurden zum Teil Jahrtausende alte Kulturgüter zerstört, welche nicht im Sinn der Revolution waren und das Volk jubelte. Schließlich kam es nicht darauf an, was war, sondern wer es geschaffen hat. Heute werden viele Kulturgüter, wie Pagoden, wieder aufgebaut, nachgebildet und die Chinesen blicken mit Stolz auf ihre Jahrtausendalte Geschichte.

    Wie es scheint, läuft unsere Kulturrevolution schleppend, schön daß wenigstens die Braunschweiger voll mit einsteigen - wenn auch ein paar Jahrzehnte zu spät. Auch hier sind uns die Chinesen voraus.

    • @Jörg Radestock:

      Ich würde eher nicht sagen, dass das Volk freiwillig jubelte. Das bringen alle 'Revolutionen' mit sich, die Köngisgräber in St. Denis wurden auch geschändet etc. Das sind gelenkte Wutausbrüche. Wir haben umgekehrt das Problem des Denkmalschutzes, es wird zu wenig geschützt und zu viel abgerissen. So gesehen haben wir eine Dauerkulturrevolution durch Bauträger und Baumärkte, gegen die die Kulturrevolution oder vereinzelte Wutausbrüche der Geschichte wenig sind.

    • @Jörg Radestock:

      Kennzeichnen Sie Ironie bitte, in Kommentarforen wird die nur selten



      als solche erkannt.