Food-Trend in Kalifornien: Wie ein 22-Dollar-Smoothie schmeckt
Der Supermarkt Erewhon in L.A. löst mit einem Haley-Bieber-Smoothie einen Hype aus. Der verrät viel über Hoffnungslosigkeit.
Vor ein paar Wochen bin ich dann doch schwach geworden: Ich musste ihn probieren, den mittlerweile geradezu mythischen Hailey-Bieber-Smoothie bei der kalifornischen Supermarktkette Erewhon. Wer im letzten Jahr auch nur zufällig auf Social Media unterwegs war, wird es gesehen haben, ein weiß-pinkfarbenes Getränk im klaren Plastikbecher, am besten in professionell manikürten Händen gehalten.
Mit Kollagen und dem aus Algen gewonnenen Carrageen angereichert soll der Mix aus Erdbeeren, Datteln, Avocado, Banane, Kokosnuss und Mandelmilch zu schöner Haut verhelfen, so zumindest das vage Versprechen seines Namens „Strawberry Glaze Skin Smoothie“. Nicht überraschend ist seine Namensgeberin, die Unternehmerin, Influencerin und Justin-Bieber-Ehefrau Haley Bieber, für ihre gute Haut und ihre Skincare-Marke bekannt. Der Preis für den hautverschönernden Smoothie? Rund 22 US-Dollar, inklusive Steuern.
Wie gut kann ein Smoothie für 22 US-Dollar schmecken? Leider muss ich zugeben: überraschend gut. Durch die Süße von Datteln und Stevia und der cremigen Textur von Kokossahne und Mandelmilch erinnert er eher an einen saftigen Milkshake denn an einen Health-Drink – auch wenn man ihn an einer sogenannten Tonic Bar bestellt, die nicht zufällig mit der Referenz an Gesundheitstonika spielt.
Einer Kosten-Nutzen-Abwägung hält der Smoothie allerdings kaum stand. Vielmehr muss man ihn und den Hype darum als popkulturelles Phänomen betrachten. Eines, das so vielleicht nur in Los Angeles möglich ist, genauso wie auch der Supermarkt, der ihn anbietet.
Ein Symbol für die Wellness-Obsession der Stadt
Erewhon, ein Anagramm des Begriffs „Nowhere“, also „Nirgendwo“, wurde 1966 von dem japanischen Ehepaar Michio und Aveline Kushi in Boston gegründet, die auch makrobiotische Ernährung in den USA popularisierten. 1983 verkaufte das Ehepaar Kushi die Filiale in Los Angeles an ihre Angestellten. Heute existiert kein Erewhon mehr in Boston oder in irgendeiner anderen Region der USA außer in LA County, dafür wird dieses Jahr noch die elfte Filiale eröffnen, im bislang eher ein wenig verschlafenen Glendale.
Den Namen lieferte die gleichnamige Satire des Engländers Samuel Butler aus dem Jahr 1872, in der in einem utopischen Land Krankheit als Verbrechen behandelt wird. Und tatsächlich ist der Besuch einer Erewhon-Filiale auch ein wenig Realsatire: Gleich in der Obst- und Gemüseabteilung am Eingang fällt mir eine kleine Packung Erdbeeren für 20 US-Dollar ins Auge, Baumwollbeutel gibt es ab 50 US-Dollar, Grünkohlchips für 16 US-Dollar.
Mehrere Regalmeter sind für teils obskure Nahrungsergänzungsmittel vorgesehen, und außer mir interessierte sich niemand für die junge Frau, die mit einem orangefarbenen Leguan auf der Schulter die Steinfrüchte der Saison begutachtete. Da Haustiere in der Filiale in Santa Monica keinen Eintritt erhalten, kann es sich nur um ein sogenanntes Emotional Support Animal gehandelt haben, eine beliebte Klasse von Assistenztieren in den USA, die eigentlich Patient*innen psychisch unterstützen sollen, aber oftmals ohne besondere Ausbildung für bisweilen vage Diagnosen von Ärzt*innen als solche erklärt werden, damit Halter*innen sie auch in Flugzeugkabinen oder etwa Highend-Supermärkte mitnehmen können.
Die Kette ist mittlerweile eine Art Symbol für die Wellness-Obsession der Stadt und wurde auch in der Netflix-Serie „You“ persifliert. Der Besuch eines Erewhon ist in den letzten Jahren zu einer Art Statussymbol geworden. Zahlreiche Influencer*innen drehen in ihm und über ihn Videos, regelmäßig werden dort Hollywoodfiguren gesichtet. Seit Hailey Bieber haben weitere Personen des öffentlichen Lebens wie etwa Kendall Jenner, Olivia Rodrigo und aktuell Sabrina Carpenter nach ihnen benannte Smoothiekreationen vermarktet. Für das Privileg, dem Getränk Zutaten beimischen zu dürfen, sollen laut kalifornischen Gatronomieunternehmern und Medienberichten Produzenten von Kollagen, Stevia und Co zahlen. Wie hoch die Gebühr ist, bleibt unklar.
Vergleichsweise erschwinglicher Luxus
Für die Marken scheint es sich zu lohnen, denn nicht nur profitieren sie von der Nähe zu Influencer*innen und Künstler*innen wie Bieber oder Carpenter, sondern auch von der Loyalität der Erewhon-Kund*innen für ihren Lieblingssupermarkt: Letztes Jahr veröffentlichte das New York Magazine eine Reportage über Menschen, die drei Jobs haben, nur um sich den regelmäßigen Einkauf bei Erewhon leisten zu können. Immerhin, wer 100 US-Dollar im Jahr für eine gewöhnliche oder 200 US-Dollar für eine Plus-Mitgliedschaft ausgibt, erhält einen Smoothie im Monat kostenlos.
Der Smoothie in der Hand, der Erewhon-Beutel am Arm und die Dose Reishi-Pilz im Kühlschrank stehen für Luxus, für Teilhabe, und ermöglichen es, sich als Teil einer In-Crowd zu positionieren. In Zeiten, in denen die hohen Lebenshaltungskosten ein, wenn nicht das große Wahlkampfthema in den USA sind und in denen Los Angeles mit einer beispiellosen Obdachlosigkeitskrise zu kämpfen hat, wirkt die Obsession mit Erewhon absurd.
Doch gleichzeitig bieten genau diese Aspekte eine Erklärung: Mittelklassesicherheiten wie ein eigenes Haus, eine stabile Altersvorsorge oder eine feste Arbeitsstelle sind spätestens seit der Coronakrise, aber eigentlich seit Deregulierungsbestrebungen der 80er, 90er und Nullerjahre, insbesondere für Millennials und Gen Z in Großstädten in immer weitere Ferne gerückt.
Erewhon und seine 22-US-Dollar-Smoothies bieten im Vergleich dazu einen erschwinglichen Luxus und stehen damit für einen Hedonismus der Hoffnungslosigkeit. Nur dass dabei keine Rauschmittel konsumiert werden, sondern Kollagen und Carrageen.
Lebensmittelwüsten in Los Angeles
Auch heute sind Obst und Gemüse gerade an einem Ort wie Los Angeles für viele Bewohner ein Luxus. Weite Teile der Stadt gelten als Lebensmittelwüsten, also Regionen, in denen der Zugang speziell zu frischen Lebensmitteln stark eingeschränkt ist; die Präsenz von Drogen, primär Fentanyl, dagegen ist unübersehbar. Die bukolische Fülle eines Erewhon wird da zum ultimativen Flex.
Meine Haut zeigt übrigens auch nach einem ganzen Becher Erdbeersmoothie keine Veränderungen. Aber vielleicht ist es wie so oft bei Pflegeprodukten: Erst regelmäßige Nutzung bringt Resultate. Ob ein dritter Job zur Finanzierung ausreichen wird? Unklar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos