piwik no script img

Experte über Suche nach Atommüllendlager„Politik hält bis 2074 nicht durch“

Eine sichere Ruhestätte für hochstrahlenden Abfall soll erst in 50 Jahren gefunden sein. Das wird nicht nur teuer, mahnt Andreas Fox vom Suchgremium.

Wohin nur mit dem ganzen strahlenden Atommüll? Ihn in Fässer zu packen, dürfte nicht reichen Foto: Wolfram Kastl/dpa/picture alliance
Nick Reimer
Interview von Nick Reimer

taz: Herr Fox, ursprünglich sollte im Jahr 2031 der Standort feststehen, an dem in Deutschland ein Endlager für hochradioaktiven Müll gebaut wird. Jetzt ergab ein Gutachten des Öko-Instituts: Dies wird „frühestens im Jahr 2074“ der Fall sein. Sind Sie überrascht?

Andreas Fox: Nein, vielen Experten war schon länger klar, dass 2031 nicht zu halten sein wird. Der Termin stammt noch aus dem ersten Standortauswahlgesetz, das 2014 in Kraft getreten war. Danach hat dann die „Endlager-Kommission“ zwei Jahre lang Kriterien aufgestellt, nach denen bei der Suche vorgegangen werden soll. 2021 wurde schließlich die Suche mit einer weißen Landkarte begonnen, nach der zunächst das ganze Land einbezogen war.

taz: Ein Ausschlussverfahren, das immer weniger Flächen im Fokus hat. Wo stehen wir aktuell?

Fox: Derzeit gilt noch etwas mehr als die Hälfte Deutschlands als möglicherweise geeignet. Der nächste große Schritt ist, dies auf fünf, sechs, vielleicht zehn Regionen einzugrenzen. Die müssen dann genauer untersucht werden.

taz: Aber warum dauert das so lange?

Fox: Es ist erstens ein wissenschaftsbasiertes Suchverfahren. Wissenschaft braucht Zeit, um belastbare Ergebnisse vorzulegen. Zweitens soll das Verfahren größtmögliche Transparenz besitzen, Bürger haben Mit- und Einspruchsrechte. Drittens müssen Ergebnisse geprüft und am Ende Gesetze beschlossen werden. Auch das braucht Zeit.

taz: Die Schweiz ist wesentlich weiter bei der Standortsuche, in Finnland wird bereits ein Endlager gebaut. Warum geht es dort schneller?

Fox: Einerseits gibt es in diesen beiden Ländern weniger geologische Formationen, die zur Auswahl stehen. Andererseits haben Politik und die Atomkonzerne in Deutschland viel zu lange am Salzstock Gorleben als Endlager festgehalten. Die verlorenen 30 Jahre fehlen jetzt.

taz: Die Atomkonzerne haben für den Rückbau der AKWs und für die Lagerung des Atommülls 24 Milliarden Euro in den „Fonds zur Entsorgung kerntechnischer Anlagen“ eingezahlt. Wenn die Suche jetzt länger dauert: Wird dieses Geld ausreichen?

Fox: Das ist schwer vorstellbar, zumal bisherige Projekte stets teurer wurden als zunächst geplant. Im Schacht Konrad entsteht nahe Salzgitter ein Endlager für schwach radioaktiven Müll, beispielsweise für Bauteile zurückgebauter AKWs. Ursprünglich wurde mit 900 Millionen Euro kalkuliert, mittlerweile kostet der Bau 6,4 Milliarden.

Für den Rückbau des AKW in Greifswald waren ursprünglich 3,2 Milliarden Euro veranschlagt, mittlerweile wird mit 6,5 Milliarden gerechnet. Dazu kommen 16 Zwischenlager, die altern: Einige von ihnen verlieren bereits in den 2030er Jahren ihre Betriebsgenehmigung, müssen nachgerüstet oder neu gebaut werden, was viel Geld kostet. Völlig klar ist, dass auch ihr Betrieb teurer wird, wenn wir länger auf ein Endlager warten müssen. Und natürlich kostet der Suchprozess selbst mehr Geld, wenn er länger dauert. Die Atomkonzerne haben sich freigekauft, die finanziellen Risiken trägt der Steuerzahler, also wir.

taz: Im Herbst muss die Bundesregierung ihr neues Nationales Entsorgungsprogramm zum Atommüll vorlegen. Was ist zu erwarten?

Fox: Dieses Entsorgungsprogramm basiert auf EU-Recht: Es soll sicherstellen, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten nicht immer nur neuen Atommüll produzieren, sondern sich auch mit dessen Entsorgung befassen. Wir erwarten deutliche Konkretisierungen, beispielsweise zum Inventar des Atommülls.

privat
Im Interview: Andreas Fox

69, ist Sozialdemokrat im Rat der Stadt Helmstedt, Vorstandsmitglied der BI Morsleben und auch im BUND engagiert. Er ist Mitglied im „Planungsteam Forum Endlagersuche“, das sich als Vertreter der Zivilgesellschaft mit den Arbeiten zur Standortsuche befasst und von der Bundesregierung eingesetzt wurde.

taz: Es ist noch nicht einmal klar, welcher hochradioaktive Strahlenschrott eingelagert werden muss?

Fox: Wir kennen die Menge: 27.000 Kubikmeter in etwa 1.900 Castor-Behältern. Aber wir wissen nicht, welche Qualität vorliegt. In Deutschland liefen sehr unterschiedliche Reaktortypen, die unterschiedliche Brennelemente einsetzten – und unterschiedlichen Müll produzierten.

taz: Warum ist es wichtig, solche Unterschiede zu kennen?

Fox: Das Design der Endlagerbehälter ist abhängig einerseits von der Art des Atommülls, andererseits aber auch vom Wirtsgestein: Kristallines Gestein reagiert anders auf Hitze und Radioaktivität als beispielsweise Salzgestein. Auch die langfristigen chemisch-physikalischen Prozesse hängen von der Art der Abfälle ab.

taz: Lässt sich der Suchprozess beschleunigen?

Fox: Das „Planungsteam Forum Endlagersuche“ organisiert derzeit ein Forum, das im November genau zu dieser Frage Antworten finden soll. Und das ist dringend notwendig: Ich fürchte, dass Politik und Gesellschaft einen Suchprozess bis 2074 nicht durchhalten. Die Verlockung ist groß, irgendwann den Müll gegen ein paar Milliarden in der Wüste oder in Sibirien zu verbuddeln.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Die Nutzung der Atomenergie ist unökonomisch, unökologisch und unbeherrschbar.



    Daran hat sich nix geändert.

  • Tja.

    Dran denken: Alleine Uran strahlt 4,5 Milliarden Jahre, bis nur die Hälfte im Durchschnitt zerfallen ist.



    Solange muss dieser Stoff vor der Menschheit versiegelt bleiben. Und noch darüber hinaus, weil auch die 50%ige Menge tödlich ist. Und die 25%ige Menge, und die 12,5%ige Menge, ...

    Bestimmt wird keiner solange warten wollen. Daher kann ich mir gut vorstellen, dass der Schutt einfach irgendwo entsorgt wird. In der Hoffnung, dass der sich wieder so verteilt, wie wenn nie Uran ausgebuddelt wäre. Pflanzen, Tiere und Bakterien nehmen das Zeug bestimmt gerne auf. Als wenn die bis heute radioaktiven Pilze unweit von Tschernobyl noch kein Beweis genug wären oder die abgetöteten Bäume mit rotem Laub.

    Schön verstrahlte Welt.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Sie sprechen von Uran238, das ist ein Alphastrahler.



      Alphastrahlung, die von außen den menschlichen Körper trifft, ist relativ ungefährlich, da die Alphateilchen aufgrund ihrer geringen Eindringtiefe überwiegend nur in die oberen toten Hautschichten eindringen und dort verbleiben.

      • @Stoffel:

        Und schon haben wir den ersten, der Strahlenschäden und Radioaktivität verharmlost.

        Jammerschade, dass diese vermeintlich ungefährliche Sache nicht in gewöhnlichen Haushaltsgegenständen zu finden ist. Kein Uranglas mehr bei Woolworth zu kaufen, keine hochwertige Uhr mit radioaktiven Leuchtziffern vom Juwelier, kein Ionisationsmelder wie in den USA.

        Woran liegt es wohl? Wäre ja sonst ziemlich nützlich.

        • @Troll Eulenspiegel:

          Und jetzt ist nur reine Polemik ihre Antwort? Gehen sie doch mal in eine Strahlenklinik. Hier wird Radioaktivität genutzt um Menschenleben zu retten.

  • "Die Verlockung ist groß, irgendwann den Müll gegen ein paar Milliarden in der Wüste oder in Sibirien zu verbuddeln."

    Vor allem, wenn die Leute die sich darum kümmern sollen und das auch bezahlen müssen, heute noch nicht geboren sind.

  • Diese Frage hätte man schon 1961 geklärt haben müssen.



    Hat man aber nicht.



    Mit Absicht.



    Unter Federführung des damaligen Atomministers FJS.



    Aber es wird eine Lösung geben.



    Und die Lösung ist einfach.



    Der Müll wird in arme Länder gehen die auf jeden Cent angewiesen sind.



    Natürlich nicht als "Atommüll" sondern als Rohstoff.



    Wie jetzt schon der Plastik"rohstoff" ...

  • Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass sich immer wieder Poltikiker*innen der CDSUAFDP für einen Weiterbetreibung von Nuklearmeilern einsetzen. Es ist völlig unlogisch, dass diese Leute nicht wissen welch enorme Kosten, welch große Gefahr auf Jahrmillionen hin von dieser Energiegewinnung ausgeht. Da bleibt allein der Schluss, dass solche Forderungem nur aus rein populistichem Gründen aufgestellt werden, für ein paar Wählerstimmen in naher Zukunft - koste es was es wolle. Die Öffentlichkeit wurde und wird von Anfang an belogen, von der einschlägigen Industrie und auch der Politik.

    • @Perkele:

      Gäbe es Karma wirklich würde Christian Lindner seine nächsten 1000 Inkarnationen als Finanzminister verbringen müssen.

      • @Stechpalme:

        Neiiiiiiiiiiiiiiiiiiiin!!!!! Was für ein Fegefeuer für all' die Generationen die währenddessen leben müssen.....

    • @Perkele:

      Nach den Angaben im Interview dauert die Endlagersuche nur deswegen so lange, weil es in Deutschland zu viele mögliche Standorte gibt und nicht deswegen, weil kein Standort gefunden werden kann. Der Prozess ließe sich leicht abkürzen, wenn nicht im Verfahren der "weißen Landkarte" das gesamte Land in die Suche einbezogen würde. Dieses Verfahren hat doch nur den Zweck, die Entscheidung hinauszögern, damit die gegenwärtigen Verantwortlichen sie nicht selbst treffen müssen, sondern dies den Nachfolgern überlassen können.

      • @Budzylein:

        Sie haben vollkommen Recht, die Endlager müssen sofort in Bayern gebaut werden.